Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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      Sie fragen mich, ob ich glücklich bin. Diese Frage rührt mich, und dadurch daß Sie sie thun, erleichtern Sie mir die Antwort; denn weit entfernt, nach dem Vergessen zu trachten, wovon Sie reden, gestehe ich, daß ich nicht glücklich sein könnte, wenn Sie aufhörten mich zu lieben; aber ich bin es in jeder Hinsicht, und nichts fehlt zu meinem Glücke, als das Ihrige. Wenn ich es in meinem vorigen Briefe vermieden habe, von Herrn von Wolmar zu sprechen, so that ich es aus Schonung für Sie. Ich kannte Ihre Reizbarkeit zu sehr, um nicht zu fürchten, daß es Ihren Schmerz vermehren möchte; aber da Ihre Unruhe über mein Schicksal mich nöthigt, von Dem zu sprechen, von dem es abhängt, so kann ich es nur in einer Weise thun, wie er es verdient, nur so, wie es seiner Gattin und einer Freundin der Wahrheit geziemt.

      Herr von Wolmar ist fast funfzig Jahre alt; sein einfaches geregeltes Leben und seine Gemüthsruhe haben ihm seine Constitution so kräftig und sein Aussehen so frisch erhalten, daß er kaum vierzig alt scheint, und er hat von dem vorgerückteren Alter nichts als die Erfahrung und Weisheit. Seine Züge sind edel und gewinnend, sein Benehmen ist einfach und offen; er ist höflich, aber ohne sich damit aufzudrängen; er spricht wenig; was er sagt, ist inhaltreich, ohne daß er nach Gedrungenheit und sententiösem Tone hascht. Er ist gegen Jedermann der nämliche, sucht und vermeidet Niemanden, und hat keine Vorliebe, außer für das, was vernünftig ist.

      Trotz der Kälte, die ihm eigen ist, schien ihm sein Herz, den Ansichten meines Vaters entgegenkommend, zu sagen, daß ich für ihn paßte und zum ersten Male in seinem Leben faßte er eine Zuneigung. Seine gemäßigte, aber dauerhafte Neigung gab sich einen so schicklichen Ausdruck, und blieb sich darin stets so gleich, daß er seinen Ton nicht zu ändern brauchte, als sich unsere Lage änderte, und daß er, ohne dem ehelichen Ernst Eintrag zu thun, sich, seit wir verheiratet sind, gegen mich ganz ebenso benimmt wie zuvor. Ich habe ihn nie weder lustig noch traurig gesehen, aber immer zufrieden; nie spricht er von sich, selten von mir; er sucht mich nicht, aber es ist ihm nichtunlieb, wenn ich ihn suche und er verläßt mich ungern. Er lacht nicht, er ist ernsthaft, ohne Andere ernst zu machen; im Gegentheil, sein heiterer Blick scheint mich zur Fröhlichkeit aufzufordern, und da die Vergnügungen, welche ich genieße, die einzigen sind, für die er Sinn zu haben scheint, so ist das eine von den Aufmerksamkeiten, die ich ihm schuldig bin, daß ich mir Vergnügen zu machen suche. Mit Einem Worte, er will, daß ich glücklich sei: er sagt es mir nicht, aber ich sehe es, und das Glück seiner Frau wollen, heißt das nicht, es erreicht haben?

      Wie sorgfältig ich ihn beobachten mochte, ich habe keine Art von Leidenschaft an ihm entdecken können, außer der, die er für mich hat. Und auch diese ist so gleichmäßig und ruhig, daß man sagen sollte, er liebt nur, soweit er will, und will nur, so weit es die Vernunft erlaubt. Er ist in Wahrheit, was sich Milord Eduard zu sein einbildet, und ich finde, daß er hierdurch uns Gefühlsmenschen, die wir uns so viel dünken, weit überlegen ist; denn uns trügt das Herz auf tausenderlei Weise und verfährt nach Bestimmungsgründen, die doch immer verdächtig sind: aber die Vernunft hat nie etwas Anderes vor Augen als das Rechte; sie bietet einen sichern, klaren, bequemen Maßstab für die Führung des Lebens, und nie verirrt sie sich, wenn sie nicht zu müßigen Spekulationen gebraucht wird, die gar nicht ihrem Wesen angemessen sind.

      Das, woran Herr von Wolmar am meisten Gefallen findet, ist Menschenbeobachtung. Er spricht sich gern über Charaktere und Handlungen aus. Er urtheill mit tiefer Einsicht und vollkommener Unparteilichkeit. Wenn ein Feind ihm Böses thäte. würde er dessen Beweggründe und die Mittel, deren sich derselbe bedient hätte, mit einer solchen Ruhe untersuchen, als ob die Sache ihn nicht selbst anginge.

      Ich weiß nicht, wie er von Ihnen gehört haben mag, aber er hat Ihrer gegen mich mehrmals mit vieler Achtung erwähnt, und ich weiß, daß er keiner Verstellung fähig ist. Ich habe manchmal zu bemerken geglaubt, daß er mich bei diesen Gesprächen beobachtete, aber es ist sehr wahrscheinlich, daß diese vermeintliche Bemerkung nichts als der geheime Vorwurf eines unruhigen Gewissens ist. Wie dem sei, ich habe dabei meine Pflicht gethan; weder Furcht noch Scham haben mir eine unbillige Zurückhaltung aufnöthigen können, und ich habe Ihnen bei ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, wie ich sie ihm bei Ihnen widerfahren lasse.

      Ich vergaß, Ihnen von unserm Einkommen und der Verwaltung desselben zu sagen. Die Trümmer seiner Habe, nebst der meines Vaters, der sich nur eine Pension vorbehalten hat, sichern ihm zusammen ein mäßiges aber anständiges Vermögen, von dem er einen edlen und klugen Gebrauch macht, indem er bei sich zu Hause nicht das eitele und lästige Gedränge des Luxus, sondern Gemächlichkeit und Fülle in den wahren Annehmlichkeiten des Lebens [Nichts findet sich häufiger beisammen als Prachtaufwand und Filzigkeit. Man entzieht der Natur, dem wahren Vergnügen, selbst dem Bedürfniß, was man der Meinung opfert. Mancher schmückt sein Palais auf Unkosten seiner Küche; Mancher hält mehr auf schönes Tafelzeug als auf eine gute Tafel; Mancher giebt ein Prunkessen und stirbt das ganze Jahr hindurch Hungers. Wenn ich ein mit Silber besetztes Büffet sehe, rechne ich stets auf Wein, der mich vergiftet. Wie oft auf Landsitzen läßt man sich durch die Morgenkühle, durch den Anblick eines schönen Gartens locken: man steht früh auf, geht spazieren, macht sich hungrig, will endlich frühstücken; ja, da ist der Offficiant nicht da, oder nichts im Hanse, oder nichts herausgegeben, oder man muß warten. Bisweilen kommt man euch zuvor, bietet euch das Schönste und Beste an, nur müßt ihr nichts annehmen. Man muß bis drei Uhr hungern, oder Tulpen zum Frühstück genießen. Ich erinnere mich, einmal in einem sehr schönen Park gewesen zu sein, dessen Besitzerin, sagte man, sehr den Kaffee liebte, ihn aber niemals trank, weil die Tasse auf vier Sous zu stehen käme; jedoch gab sie ihrem Gärtner mit Freuden tausend Thaler. Ich glaube, ich würde lieber weniger gut geschorene Hecken halten, und öfter Kaffee trinken.], und seinen dürftigen Nachbarn

      das Nothdürftige schafft. Die Ordnung, welche er in sein Hauswesen gebracht hat, ist das Bild deren, die in seiner Seele herrscht und scheint in einer kleinen Wirthschaft diejenige nachzuahmen, welche in der Regierung der Welt eingerichtet ist. Man bemerkt darin nicht jene unverrückbare Regelmäßigkeit, welche mehr Zwang als Nutzen stiftet, und nur für Den erträglich ist, der sie auferlegt, noch auch jenes schlechtverstandene Hin und Her, in welchem zu viel erreicht werden soll, und deshalb nichts erreicht wird. Man erkennt vielmehr überall die Hand des Herrn und fühlt sie doch nie; immer hat er die erste Veranstaltung so gut getroffen, daß dann Alles von selbst geht, und daß man der Ordnung und der Freiheit zugleich genießt.

      Dies, mein werther Freund, ist in wenigen, aber treuen Zügen der Charakter des Herrn von Wolmar, soweit ich ihn, seit ich mit ihm lebe, kennenlernen konnte. So erschien er mir den ersten Tag, so erscheint er mir noch heute ohne die geringste Abweichung; was mich denn hoffen läßt, daß ich recht gesehen habe, und daß mir nichts weiter zu entdecken bleibt; denn ich denke mir, daß er sich nicht anders zeigen könnte, ohne dadurch zu verlieren.

      Nach dieser Schilderung können Sie sich nun schon selbst Antwort geben; es wäre viel Verachtung, mich nicht für glücklich zu halten, wenn ich so viel Ursache habe, es zu sein [Wahrscheinlich hatte, sie das unselige Geheimniß noch nicht entdeckt, welches in der Folge so quält, oder sie wollte es ihrem Freunde noch nicht anvertrauen.]. Ich habe lange in dem Irrthume gelebt, und Sie hegen ihn vielleicht noch, daß Liebe vorhanden sein müsse, wenn eine glüchliche Ehe zu Stande kommen solle. Es ist nicht so, mein Freund: Rechtschaffenheit, Tugend, ein gewisses für einander Passen, weniger dem Stande und Alter als dem Charakter und der Gemüthsart nach, dies ist zwischen Gatten genug, und schließt nicht aus, daß nicht aus solcher Verbindung eine sehr zärtliche Anhänglichkeit entspringe, die, wenn auch nicht gerade Liebe, doch deshalb nicht weniger süß, und nur desto dauerhafter ist. Die Liebe hat in ihrem Gefolge stets eine Unruhe, entweder der Eifersucht oder der Entbehrung,

      dergleichen nicht in die Ehe paßt, da diese ein Zustand des friedlichen Genusses ist. Man heiratet sich nicht, um unaufhörlich an einander zu denken, sondern um gemeinschaftlich die Pflichten des bürgerlichen Lebens zu erfüllen, klug das Haus zu verwalten, seine Kinder gut zu erziehen. Liebende haben nur immer sich vor Augen, beschäftigen sich unaufhörlich nur mit sich, und das Einzige, was sie

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