Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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uns der Himmel verliehen hat, von Natur Güter für uns sind, können sie doch auch ihrer Natur nach diesen Charakter nur zu leicht verlieren, und der Himmel hat ihnen die Vernunft beigesellt, damit wir sie unterscheiden lernen. Wenn diese Richtschnur uns nicht berechtigte, die einen zu wählen, die andern zu verwerfen, wozu wäre sie dann dem Menschen nütze?

      Den genannten Einwurf, der so wenig Halt hat, bringen sie in tausend Wendungen wieder. Sie betrachten den Menschen auf Erden als einen Soldaten auf dem Posten. Gott, sagen sie, hat dich in diese Welt gesetzt; wie darfst du sie ohne Urlaub verlassen? Wie, und du? Hat er doch dich in deinen Geburtsort gesetzt; wie darfst du ihn ohne Urlaub verlassen? Ist der Urlaub nicht durch das Uebelbefinden gegeben? Wohin er mich setze, in einen Leib oder auf die Welt, es ist immer nur, um so lange zu bleiben, als ich mich wohlbefinde, und die Lage zu wechseln, sobald es mir übel geht. Das ist die Stimme der Natur, und die Stimme Gottes. Man muß Geheiß abwarten, ich gebe es zu; aber gerade wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, zieht mir Gott nicht Geheiß, das Leben zu verlassen, er nimmt es mir vielmehr; dagegen dadurch, daß er es mir unerträglich macht, heißt er es mich verlassen. Im ersteren Falle widerstehe ich aus allen Kräften, im zweiten habe ich das Verdienst, zu gehorchen.

      Wie kann es nur Leute geben, die so unbillig sind, freiwilligen Tod als Auflehnung gegen die Vorsehung zu rügen, gleich als wollte man sich dadurch ihren Geboten entziehen? Im Gegentheil, nicht um sich ihnen zu entziehen, entzieht man sich dem Leben, sondern um sie zu erfüllen. Wie denn? Hat Gott nur über meinen Leib Macht? Giebt es irgend einen Ort auf der Welt, wo irgend ein Geschöpf nicht in seiner Hand stände? Und wird er weniger unmittelbar auf mich einwirken, wann mein geläutertes Wesen mehr Eines, und ähnlicher dem seinen sein wird? Nein, seine Gerechtigkeit und seine Güte sind der Grund meiner Hoffnung, und wenn ich glaubte, daß der Tod mich seiner Macht entziehen könnte, so würde ich nicht sterben mögen.

      Dies ist eines der Sophismen im Phädon, der übrigens voll erhabener Wahrheiten ist. Wenn sich der Sklave tödtete, sagt Sokrates zu Cebes, würdest du ihn nicht dafür bestrafen, wenn es möglich wäre, daß er dir dein Gut ungerechter Weise geraubt hat? Guter Sokrates, was sagst du uns da? Gehört man nicht Gott mehr an, wenn man todt ist? Es ist gerade umgekehrt; es müßte heißen: wenn du deinem Sklaven eine Kleidung auflädest, die ihm in dem Dienste, welchen er dir zu leisten hat, hinderlich ist, wirst du ihn bestrafen, wenn er das Kleid ausgezogen hat, um seinen Dienst besser zu verrichten? Der große Fehler ist, daß dem Leben zu viel Werth beigelegt wird, als ob davon unser Sein abhinge und man nach dem Tode nichts mehr wäre. Unser Leben ist nichts in den Augen Gottes, nichts in den Augen der Vernunft, und darf in den unsrigen nichts sein; und wenn wir unsern Leib verlassen, so thun wir nichts, als daß wir ein unbequemes Kleid ablegen. Ist es der Mühe werth, so viel Aufhebens davon zu machen? Milord, diese Leute gehen bei ihren Declamationen nicht ehrlich zu Werke; sinnlos und grausam zugleich in ihrer Betrachtungsweise, machen sie die vorgebliche Sünde schwer, als ob man sich das Dasein nähme, und bestrafen sie, als ob man es ewig hätte.

      Was den Phädon betrifft, der ihnen das einzige scheinbare Argument geliefert hat, das je von ihnen gebraucht worden ist, so wird dort die Frage nur obenhin und wie beiläufig behandelt. Sokrates, durch einen ungerechten Spruch verurtheilt, das Leben in einigen Stunden zu verlieren, hatte nicht nöthig, erst noch sorgfältig zu untersuchen, ob es ihm erlaubt sei, darüber zu verfügen. [Dies ist unrichtig. Der Spruch War den athenischen Gesetzen gemäß, Sokrates war überführt, ,,andere Götter eingeführt und die Jugend verführt zu haben," dieses Alles nach der hergebrachten Anschauungsweise und Sitte des athenischen Volks betrachtet. Sokrates hatte eine innere Berechtigung, das Feststehende, Geltende in Athen anzutasten, aber das Volk hatte das Recht, weil er, wie man es jetzt zu nennen pflegt, negativ, subversiv zu Werke ging, ihn zu strafen. Daß Sokrates wegen jener ihm zur Last gelegten Vergehungen, wie häufig geglaubt wird, zum Tode verurtheilt worden wäre, ist ebenfalls unrichtig. Er zog sich die Todesstrafe dadurch zu, daß er sich weigerte, den Rechtsspruch anzuerkennen, und sich demselben zu entwerfen oder die Gnade des souveränen Volks in Anspruch zu nehmen. Xenophon erzählt den Hergang in der ,,Apologie des Sokrates" wie folgt: ,,Es lag dem Sokrates nur daran, sich nicht als Gottesverächter und Zerstörer der sittlichen Verhältnisse darzustellen; dagegen hielt er nicht für nöthig zu bitten, um dem Tode zu entgehen, war viel mehr der Ueberzeugung, es sei für ihn Zeit, aus dem Leben zu scheiden. Daß er so dachte, wurde recht offenbar, als das Schuldig über ihn ausgesprochen war. Er wurde aufgefordert, sich selbst die Strafe zu bestimmen; er weigerte sich dessen, verbot es auch seinen Freunden, indem er erklärte, nur Dem stehe es an, sich die Strafe zu bestimmen, der sich für schuldig bekenne." Er hatte nämlich die Wahl zwischen Verbannung und Geldbuße; die Gnade des Volks konnte ihm beides erlassen; nur auf die Auflehnung gegen die öffentliche Ordnung stand der Tod, und Sokrates litt ihn, wie erzählt, um sich durch keinerlei Handlung schuldig zu bekennen. Er machte also einen höhern Begriff von Schuld geltend, als das athenische Volk ihn besaß, denn nach den herrschenden Begriffen war er allerdings schuldig, und machte sich durch seine Widersetzung gegen die öffentliche Ordnung noch weit schuldiger. D. Ueb.] Gesetzt, er habe wirklich die Reden gehalten, die ihm Plato in den Mund legt, glauben Sie mir, Milord, er würde reiflicher darüber nachgedacht haben, wenn er in dem Falle gewesen wäre, sie unmittelbar in Anwendung zu setzen, und der Beweis, daß man aus diesem unsterblichen Werke keinen guten Einwurf gegen das Recht der freien Verfügung über sein eigenes Leben hernehmen kann, ist, daß Cato es zwei Mal von vorn bis hinten durchlas in der Nacht, in welcher er die Erde verließ.

      Unsere Sophisten werfen sodann die Frage auf, ob das Leben jemals ein Uebel sein könne. In Betrachtung der Masse von Verirrung, Qual und Laster, davon es strotzt, möchte man eher versucht sein zu fragen, ob es je ein Gut gewesen. Die Sünde setzt auch dem tugendhaftesten Menschen unaufhörlich zu; jeden Augenblick seines Lebens ist er auf dem Sprunge, eine Beute des Bösen oder selber böse zu werden. Kämpfen und leiden, das ist sein Schicksal in der Welt; schlecht handeln und auch leiden, das Schicksal des Ungerechten. In allem Uebrigen sind diese beiden von einander verschieden, gemein haben sie nur das Elend des Lebens. Wenn Sie Belegstellen und Thatsachen verlangten, könnte ich Ihnen Orakel, Antworten weiser Männer anführen, und Tugendhandlungen, deren Lohn der Tod war. Lassen wir alles Das bei Seite; ich spreche ja zu Ihnen, und ich frage Sie, was ist hienieden das Hauptgeschäft des Weisen, wenn nicht, sich so zu sagen, in die Tiefe seiner Seele zu versenken, und zu trachten, daß er im Leben dem Leben gestorben sei. Ist nicht das einzige Mittel, welches die Vernunft gefunden hat, um uns den Uebeln zu entrücken, mit denen die Menschheit behaftet ist, daß wir uns von allem Irdischen, von Allem, was sterblich in uns ist, lossagen, uns tief in uns sammeln und uns zu erhabenen Betrachtungen aufschwingen? Und wenn unsere Leidenschaften und Irrthümer unser Unglück sind, wie heiß muß unser Verlangen nach einem Zustande sein, der uns von allen beiden erlöst! Was thut der Sinnliche, der seine Schmerzen so thöricht durch seine Lüste vervielfältigt? Er vernichtet, so zu sagen, seine Existenz. indem er sie im Irdischen ausbreitet, er erschwert sich die Last seiner Ketten durch die Menge der Punkte, an denen er hängen bleibt, er hat keinen Genuß, der ihm nicht tausend bittere Entbehrungen bereitete; je mehr er empfindet und leidet, desto tiefer läßt er sich in das Leben ein, und desto unglücklicher ist er.

      Aber möge es doch, wenn man will, im Allgemeinen ein Gut für den Menschen sein, trübselig auf der Erde zu kriechen, ich will es zugeben: ich behaupte nicht, daß das ganze Menschengeschlecht sich einhellig opfern und aus der Welt ein weites Grab machen müsse. Es giebt aber, es giebt Unglückliche, die zu auserlesen sind, um der gemeinen Heerstraße zu folgen, und denen ihre Verzweiflung und ihre bittern Schmerzen der Paß sind, den ihnen die Natur ausstellt; von diesen wäre es ebenso unsinnig, zu glauben, daß ihr Leben ein Gut sei, als von dem Sophisten Possidonius zu leugnen, daß die Gicht, die ihn plagte, ein Uebel sei. Solange es gut für uns ist zu leben, wünschen wir es auch sehr, und nur das Gefühl, daß unser Leiden auf's Höchste gestiegen, kann diese Lust in uns besiegen, denn wir alle haben von Natur eine große Scheu vor dem Tode, und diese Scheu macht, daß wir das Elend unseres Daseins nicht ansehen. Lange erträgt man ein jammervolles, schmerzliches Dasein, bevor man sich entschließt, es aufzugeben; wenn aber einmal der Lebensüberdruß über die Todesfurcht das Uebergewicht bekommen hat, so ist dann augenscheinlich das Leben ein großes Uebel und man kann sich nicht schnell genug

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