Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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schwache Mensch sich selber weiß, ist gar nicht anzutreffen. Diesen Irrthum gilt es zu zerstören; das wahrhaft Große muß man sich gewöhnen zu empfinden und vor Augen zu haben, damit man sich jeden Vorwand benehme, es nicht nachzuahmen. Die Seele wird gehoben, das Herz entstammt bei der Betrachtung dieser göttlichen Vorbilder; je mehr man sie anschaut, desto mehr trachtet man, ihnen ähnlich zu werden, und man kann nichts Mittelmäßiges mehr ohne tödtlichen Widerwillen sehen.

      Suchen wir also nicht in den Büchern Grundsätze und Regeln, die wir sicherer in uns selbst finden. Lassen wir alle jene nichtigen Streitigkeiten der Philosophen über das Glück und die Tugend; nutzen wir, um uns gut und glücklich zu machen, die Zeit, welche sie mit der Untersuchung, worin Beides bestehe, verlieren, und halten wir uns lieber große Beispiele zur Nachahmung, als hohle Systeme zur Befolgung vor.

      Ich habe immer geglaubt, daß das Gute nichts Anderes ist als das Schöne in Handlung gesetzt, daß das Eine eng mit dem Andern zusammenhängt und daß sie beide in der wohl geordneten Natur ihre gemeinschaftliche Quelle haben. Es folgt aus diesem Gedanken, daß sich der Geschmack durch dieselben Mittel vervollkommnet wie die Weisheit, und daß eine Seele, welche von den Reizen der Tugenden recht eingenommen ist, auch nach Verhältniß für jede andere Art von Schönheit empfänglich sein muß. Man übt sich im Sehen wie im Fühlen, oder vielmehr ein gebildetes Auge ist nichts weiter als ein feines und zart entwickeltes Gefühl. So begeistert sich ein Maler beim Anblick einer schönen Landschaft oder vor einem schönen Gemälde an Gegenständen, welche ein gewöhnlicher Zuschauer nicht einmal bemerkt. Wie viele Dinge giebt es nicht, die man nur mit dem Gefühle wahrnimmt und über welche es unmöglich ist Rechenschaft zu geben! Wie viel Unsagbares stößt uns immerfort auf, worüber der Geschmack entscheidet! Der Geschmack ist im gewissem Maße das Mikroskop der Urtheilskraft; er ist es, der ihr das Kleinste erreichbar macht, und seine Wirksamkeit beginnt, wo die ihrige aufhörte. Was ist also nöthig, um ihn zu bilden? Nichts als daß man sich übe zu sehen wie zu fühlen und das Schöne mittelst der Anschauung wie das Gute mittelst des Gefühls zu beurtheilen. O, ich behaupte, daß nicht einmal das allen Herzen gegeben ist, beim ersten Anblick Juliens bewegt zu werden.

      Deshalb nun, meine reizende Schülerin, beschränke ich alle Ihre Studien auf Bücher, die den Geschmack und die Sitten bilden; deshalb, meine ganze Methode auf das Beispiel richtend, gebe ich Ihnen keine andere Erläuterung der Tugenden als ein Gemälde tugendhafter Menschen, noch andere Regeln, um gut schreiben zu lernen, als wohl geschriebene Bücher.

      Wundern Sie sich daher nicht, daß ich Manches von dem bei Seite lasse, was Sie früher lasen; ich bin überzeugt, daß man weniger lesen muß, um mit Nutzen zu lesen, und ich sehe täglich mehr ein, daß Alles, was nicht zu der Seele spricht, nicht werth ist, Sie zu beschäftigen. Wir werden die Sprachen liegen lassen, mit Ausnahme der italienischen, die Sie verstehen und lieben. Wir werden die Elemente der Algebra und Geometrie aufgeben. Wir würden selbst die Physik bei Seite werfen, wenn die Ausdrücke, von denen Sie Gebrauch machen, mir den Muth dazu ließen. Wir werden auf die neuere Geschichte ganz verzichten, mit Ausnahme unserer vaterländischen; und auch diese kümmert uns nur, weil wir es in ihr mit einem freien und unverkünstelten Lande zu thun haben, in welchem man antike Menschen in der modernen Zeit findet; denn lassen Sie sich nicht von der Behauptung blenden, daß für jeden Menschen die Geschichte seines Landes das größte Interesse haben müsse. Dies ist nicht wahr, Es giebt Länder, deren Geschichte man gar nicht zu lesen vermag, wenn man nicht etwa ein Dummkopf oder ein Handelsmann ist. Die interessanteste Geschichte ist diejenige, in welcher man die besten sittlichen Muster, Charaktere jeder Art, kurz die meiste Belehrung findet. Die Leute werden Ihnen sagen, daß dieses bei uns ebenso gut der Fall sei als bei den Alten. Das ist nicht wahr. Schlagen Sie ihre Geschichte auf und bringen Sie sie zum Schweigen. Es giebt Völker ohne Physiognomie, die keine Maler brauchen; es giebt Regierungen ohne Charakter, die keine Geschichtschreiber brauchen, und wo, wenn man weiß, welche Stelle ein Mensch bekleidet, sich mit Gewißheit Alles voraussagen läßt, was er thun wird, Sie werden Ihnen sagen, daß es uns nur an guten Geschichtschreibern fehle; aber fragen Sie doch, woher das komme. Es ist nicht wahr. Gebe man nur Stoff zu guter Geschichtschreibung, und die guten Geschichtschreiber werden sich schon finden. Endlich werden sie Ihnen sagen, daß die Menschen aller Zeiten einander gleichen, daß sie die nämlichen Tugenden und die nämlichen Laster haben, daß man die Alten nur bewundere, weil sie alt sind. Das ist ebenfalls nicht wahr; denn man that ehedem große Dinge mit kleinen Mitteln und heutiges Tages thut man gerade das Gegentheil. Die Alten waren Zeitgenossen ihrer Geschichtschreiber und haben doch gemacht, daß wir diese bewundern. Gewiß, wenn die Nachwelt je die unsrigen bewundert, so wird das nicht unsere Schuld sein.

      Ich habe aus Rücksicht auf Ihre unzertrennliche Cousine einige leichte Literatur mit aufgenommen, die ich Ihretwegen nicht aufgenommen hätte. Außer Petrarca, Tasso, Metastasio und den Meistern der französischen Schaubühne, habe ich ganz gegen den Brauch, den man bei Ihrem Geschlecht einzuhalten pflegt, weder Dichterwerken noch Liebesgeschichten eine Stelle eingeräumt. Was sollten wir über die Liebe in diesen Büchern lernen? Ach Julie, unser Herz sagt uns mehr als sie, und die nachgeahmte Sprache der Leidenschaft in den Büchern ist gar kalt für Den, der selbst in Leidenschaft ist. Ueberdies entnerven dergleichen Studien die Seele, verweichlichen sie und rauben ihr alle ihre Federkraft. Dagegen die wirkliche Liebe ist ein verzehrendes Feuer, das allen übrigen Empfindungen Wärme mittheilt und sie mit neuer Kraft belebt. Deswegen hat man gesagt, die Liebe mache Helden, Glücklich wäre Der zu preisen, dem das Schicksal diese Bahn eröffnete und der Julien zur Geliebten hätte!

      Dreizehnter Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich sagte es Ihnen wohl, daß wir glücklich sind; nichts beweist es mir besser, als die Unlust, welche mir die kleinste Veränderung der Lage verursacht. Wenn wir recht empfindliche Leiden hätten, würde uns dann eine Abwesenheit von zwei Tagen so viel thun? Ich sage: uns, denn ich weiß, daß mein Freund meine Ungeduld theilt; er theilt sie, weil ich sie empfinde, und er für sich empfindet sie auch; es ist nicht mehr nöthig, daß er mir dies noch erst sage.

      Wir sind erst seit gestern Abend auf dem Lande; es ist noch nicht die Stunde, da ich in der Stadt Sie sehen würde, und dennoch macht die Ortsveränderung, daß ich schon Ihre Abwesenheit unerträglicher finde. Wenn Sie mir nicht die Geometrie verboten hätten, so würde ich Ihnen sagen, daß meine Unruhe im zusammengesetzten Verhältnisse der Abstände von Zeit und Raum steht, so viel, finde ich, thut die Entfernung zu dem Verdrusse hinzu, nicht bei Ihnen zu sein.

      Ich habe Ihren Brief und Ihren Studienplan mitgenommen, um mir Beides durchzudenken, und habe den erstern schon zweimal wieder gelesen: der Schluß rührt mich außerordentlich. Ich sehe, mein Freund, daß Sie wahre Liebe fühlen, da sie Ihnen nicht den Sinn für das Edle geraubt hat und da Sie noch in dem empfindlichsten Theile Ihres Herzens der Tugend Opfer darzubringen wissen. In der That, wer den Weg des Unterrichts einschlüge, um eine Frau zu verderben, würde von allen Verführungskünsten die verdammlichste üben, und wer seine Gebieterin mit Hülfe von Romanen rühren wollte, müßte wenig Hülfsmittel in sich selbst besitzen. Hätten Sie in unseren Stunden die Philosophie nach Ihren Absichten gedreht, hätten Sie Grundsätze aufzustellen gesucht, die Ihrem Interesse dienen konnten, so würden Sie, in der Meinung, mich zu täuschen, mich gar bald enttäuscht haben; aber daß Sie keine verführerische Kunst gebrauchen, das ist gerade die gefährlichste von Ihren Künsten. Seit sich in meinem Herzen der Durst nach Liebe regte und ich in mir das Bedürfniß empfand, mich auf ewig hinzugeben, seit dem ersten Augenblicke flehte ich den Himmel an, nicht einen liebenswürdigen Mann, wohl aber einen Mann von schöner Seele mir zu verbinden; denn ich fühle wohl, daß es unter allen Annehmlichkeiten, die man besitzen kann, diese ist, an der man am wenigsten den Geschmack verliert, und daß Redlichkeit und Ehrliebe alle Gefühle, denen sie sich beigesellen, verherrlichen. Und weil ich recht gewählt hatte, so erhielt ich, wie Salomo, zu dem, was ich gebeten hatte, auch was ich nicht gebeten hatte. [1. Buch

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