Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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einer erloschenen Liebe ist für ein zärtliches Herz schrecklicher als die der unglücklichen Liebe und der Ueberdruß an dem, was man besitzt, ist ein tausendmal schlimmerer Zustand als der Schmerz um das, was man verloren hat.

      Wenn die Vorwürfe, welche sich meine Cousine in ihrer tiefen Betrübniß über den Tod ihrer Mutter macht, gegründet wären, so würde freilich dieses grausame Andenken das Andenken euerer Liebe vergiften, ja ein so unseliger Gedanke müßte sie auf ewig auslöschen; aber schenken Sie dem, was ihr Schmerz ihr eingiebt, keinen Glauben; dieser Schmerz täuscht sie, oder vielmehr der eingebildete Grund, mit welchem sie ihn sich vergrößert, ist nur ein Vorwand, um sein Uebermaß zu rechtfertigen. Diese zärtliche Seele fürchtet immer sich nicht genug zu betrüben, und es gewährt ihr eine Art Befriedigung, das Gefühl ihres Kummers durch Alles, was ihn nur schärfen kann, zu steigern, Sie macht sich einen Schein vor, glauben Sie mir, sie ist nicht aufrichtig gegen sich selbst. Ach! wenn sie in allem Ernste glaubte, die Tage ihrer Mutter verkürzt zu haben, könnte dann ihr Herz die furchtbaren Bisse des Gewissens aushalten? Nein, nein, mein Freund! Dann würde sie nicht um sie weinen, sie würde ihr nachgefolgt sein. Woran Frau von Étange gelitten hat, wissen wir ganz gut; es war eine unheilbare Brustwassersucht, und sie war von den Aerzten aufgegeben, schon ehe sie Ihre Briefe entdeckt hatte. Diese Entdeckung war ein Gegenstand großen Kummers für sie, aber wie viel stille Freude machte das Unheil wieder gut, das dieselbe ihr zugefügt haben konnte! Wie tröstlich war es für diese zärtliche Mutter, zu sehen, indem sie über die Fehltritte ihrer Tochter seufzte, durch wie viel Tugenden dieselben ausgeglichen wurden, und indem sie ihre Schwäche beweinte, ihr Gemüth bewundern zu müssen! Wie süß war es ihr, zu fühlen, wie heiß sie von ihr geliebt ward! Dieser unermüdliche Eifer! diese unausgesetzte Sorgfalt! diese stete Beflissenheit! diese Verzweiflung, ihr Kummer gemacht zu haben! diese Reue! diese Thränen! diese rührenden Liebkosungen! dieses unversiegliche Mitgefühl! In den Augen der Tochter las man Alles, was die Mutter litt; sie war es, die sie am Tage bediente. Nachts bei ihr wachte; von ihrer Hand empfing sie allen Beistand. Man hätte meinen sollen eine andere Julie zu sehen; ihre natürliche Weichlichkeit war verschwunden, sie war rüstig und stark, die beschwerlichsten Dienstleistungen wurden ihr nicht sauer, und ihre Seele schien ihr einen neuen Körper gegeben zu haben. Sie that Alles und schien nichts zu thun; sie war überall und rührte sich nicht von der Seite ihrer Mutter; man sah sie fortwährend vor ihrem Bette knieen, den Mund auf ihre Hand gedrückt, seufzend entweder über ihren Fehltritt oder über der Mutter Leiden und diese beiden Empfindungen vermischend zu noch tieferer Betrübniß. Niemanden sah ich in den letzten Tagen das Zimmer meiner Tante betreten, den nicht dieser mehr als Alles ergreifende Anblick zu Thränen gerührt hätte. Man sah, wie diese beiden Herzen ihre Kraft aufboten, sich inniger zu vereinigen im Augenblicke des traurigen Scheidens; man sah, daß Mutter und Tochter nichts beschäftigte als das Weh, sich von einander gerissen zu sehen, und daß Leben oder Tod ihnen gleichgültig gewesen wäre, wenn sie nur mit einander hätten bleiben oder scheiden können.

      Lassen Sie sich also durch Juliens finstere Gedanken nicht im entferntesten bestechen, und seien Sie überzeugt, daß Alles, was man von menschlicher Hülfe und von Herzenstrost erwarten kann, von ihrer Seite dazu gewirkt hat, den Fortschritt der Krankheit ihrer Mutter zu hemmen, und daß zuverlässig ihre Zärtlichkeit und ihre Pflege sie uns länger erhalten haben, als es ohnedem möglich gewesen wäre. Mein, Tante selbst hat mir hundertmal gesagt, daß ihre letzten Tage ihr die süßesten Augenblicke ihres Lebens gewährten, und daß zu ihrem Glücke nichts fehlte als das Glück ihrer Tochter.

      Wenn man ihren Verlust dem Kummer zuschreiben müßte, so liegt dessen Ursache entfernter, und müßte ihrem Gatten allein beigemessen werden. Lange unbeständig und flatterhaft, verschwendete er das Feuer seiner Jugend an tausend Gegenstände, die weniger werth waren zu gefallen, als seine tugendhafte Gattin, und als das Alter ihn zu ihr zurückgeführt hatte, behandelte er sie mit jener gewaltthätigen Härte, durch welche untreue Ehemänner ihre Fehler zu vergrößern pflegen. Meine arme Cousine hat darunter nicht wenig gelitten. Leerer Adelsstolz und die Schroffheit seines Charakters haben ihr Unglück und das Ihrige herbeigeführt. Die Mutter, die sich immer zu Ihnen hingezogen fühlte, und die Juliens Liebe erst bemerkte, als es zu spät war, um sie zu tilgen, trug lange im Stillen den Schmerz mit sich herum, weder die Neigung ihrer Tochter noch die Hartnäckigkeit ihres Gatten besiegen zu können, und selbst ursprünglich an einem Uebel Schuld zu sein, das sie nicht mehr heilen konnte. Als sie Ihre Briefe gefunden hatte und nun sah, wie weit Sie in dem Mißbrauche ihres Vertrauens gegangen waren, fürchtete sie Alles zu verderben, indem sie Alles zu retten wünschte, und das Leben ihrer Tochter in Gefahr zu setzen, um ihre Ehre wiederherzustellen. Sie sondirte ihren Mann mehrmals vergeblich; mehrmals war sie im Begriff, einen vollständigen Aufschluß zu wagen und ihm den ganzen Umfang seiner Pflicht zu zeigen: die Furcht vor ihm und ihr schüchternes Wesen hielten sie immer wieder zurück. Sie schob auf, solange sie sprechen konnte; als sie endlich wollte, war es zu spät; die Kräfte gebrachen ihr; sie nahm das unselige Geheimniß mit hinweg. Und ich, die ich die Gemüthsart dieses harten Mannes kenne, nicht aber weiß, wie weit die natürlichen Gefühle sie zu mäßigen vermöchten, athme auf, daß ich wenigstens Juliens Leben in Sicherheit sehe.

      Das Alles ist ihr nicht fremd; aber soll ich Ihnen sagen, was ich von ihren anscheinenden Gewissensbissen denke? Die Liebe ist sinnreicher als sie. Von dem Schmerze um ihre Mutter durchdrungen, hätte sie Sie gern vergessen, und die Liebe stört ihr Gewissen auf, um ihr Gelegenheit zu geben, an Sie zu denken. Die Liebe will, daß Juliens Thränen nicht ohne Bezug auf den geliebten Gegenstand seien. Julie wagt nicht mehr, sich mit ihm direct zu beschäftigen, die Liebe zwingt sie, es wenigstens auf dem Umwege der Reue zu thun. Die Liebe täuscht sie so künstlich, daß Julie lieber noch mehr leiden will, nur daß Sie bei ihrem Kummer betheiligt seien. Ihr Herz kann vielleicht diese Umwege des ihrigen nicht begreifen, aber sie sind nichts desto minder natürlich; denn euer beider Liebe, obwohl gleich an Stärke, ist doch nicht gleich in ihren Wirkungen: die Ihrige ist aufschäumend, heftig, die Juliens sanft und zärtlich; Ihre Gefühle machen sich mit Gewalt nach außen Luft, die ihrigen kehren sich gegen sie zurück und durchdringen das innerste Wesen ihrer Seele, das sie allmählig angreifen und verändern. Die Liebe befeuert und hebt Ihr Herz; das ihrige beklemmt und ermattet sie: alle seine Federn lassen nach, seine Kraft ist zu Nichte, sein Muth ist erloschen, seine Tugend ist dahin. Nicht vernichtet sind so viele edle Kräfte, aber gelähmt; ein kritischer Augenblick kann ihnen alle ihre Spannung wiedergeben, oder auch sie unwiederherstellbar vertilgen. Wenn sie noch einen Schritt weiter geht in der Entmuthigung, so ist sie verloren; aber wenn es dieser herrlichen Seele einen Augenblick gelingt, sich wiederzu erheben, so wird sie größer, stärker, tugendhafter sein denn je, und es wird von Rückfällen keine Rede mehr sein. Wahrlich, mein liebenswürdiger Freund, Sie müssen in diesem gefahrvollen Zustande sie, die Sie liebten, auf's Höchste schonen. Alles, was ihr von Ihnen kommt, wäre es auch nur wider Ihren Willen, kann nur tödtlich für sie sein. Wenn Sie es bei ihr durchsetzen wollen, so werden Sie leicht siegen, aber Sie werden sich sehr täuschen, wenn Sie dieselbe Julie zu besitzen meinen, Sie werden sie nicht wiederfinden.

      Achter Brief.

       Milord Eduard an Juliens Liebsten.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich hatte Rechte auf dein Herz erworben; du warst mir zum Bedürfniß geworden und ich war im Begriff, zu dir zu reisen. Was fragst du nach meinen Rechten, meinen Bedürfnissen, meinem Eifer?

      Du hast mich vergessen, du denkst nicht mehr daran, wir zu schreiben.Ich höre, wie abgeschieden und menschenscheu du lebst, ich durchschaue deine geheime Absicht. Das Leben ist dir zum Ueberdruß.

      Stirb denn, junger Tollkopf! stirb, unbändiger und doch feiger Mensch! aber wisse, daß du, sterbend, in der Seele eines rechtschaffenen Mannes, dem du theuer warst, den Schmerz zurücklässest, einem Undankbaren gedient zu haben.

      Neunter Brief.

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