Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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daß man eine andere Person zu sehen glaubt. Es ist ganz klar, daß die Krankheit der Mutter der Tochter Kräfte giebt, und wenn sie nicht der Eifer, jene zu bedienen, aufrecht hielte, würde ich nach ihren erloschenen Augen, ihrer Blässe und ihrer außerordentlichen Abspannung fürchten, daß sie aller Hülfe, die sie leistet, gar sehr für sich selbst bedürftig sei. Meine Tante bemerkt es auch, und ich sehe an der Unruhe, mit welcher sie mir im Stillen die Gesundheit ihrer Tochter anempfiehlt, wie in beiden das Herz gegen den Zwang kämpft, den sie sich anthun und wie sehr man Sie hassen muß, daß Sie ein so schönes Liebesverhältnis gestört haben.

      Dieser Zwang wird dadurch noch größer, daß man sich bemüht, ihn vor dem hitzigen Vater zu verbergen, dem die Mutter, für das Leben ihrer Tochter zitternd, das gefährliche Geheimniß nicht entdecken will. Man macht es sich zur Pflicht, sich in seiner Gegenwart traulich wie sonst zu benehmen; aber wenn die mütterliche Zärtlichkeit mit Freuden diesen Vorwand ergreift, wagt doch die Tochter, verwirrt, beschämt, ihr Herz Liebkosungen nicht hinzugeben, die sie für verstellt hält und die um so schmerzlicher für sie sind, als sie ihr süß wären, wenn sie ihnen zu trauen wagte. Wenn ihr Vater sie küßt, so sieht sie die Mutter mit so zärtlichen und demüthigen Blicken an, daß man fühlt, wie ihr Herz durch ihre Augen sagt: ach, warum verdiene ich nicht mehr von dir dasselbe!

      Frau v. Étange hat mich mehrmals allein zu sich gerufen, und ich habe an der Milde ihrer Vorwürfe und an dem Tone, in welchem sie von Ihnen spricht, leicht erkannt, daß Julie sich große Mühe gegeben hat, die nur zu gerechte Entrüstung der Mutter gegen uns zu mildern und daß sie Alles gethan hat, was in ihren Kräften stand, um uns auf Kosten ihrer selbst zu rechtfertigen. Auch Ihre Briefe tragen in dem Ausdrucke einer übermäßigen Liebe eine Art Entschuldigung in sich, die meiner Tante nicht entgangen ist; sie macht weniger Ihnen den Mißbrauch ihres Vertrauens zum Vorwurfe, als sich selbst die Einfalt, daß sie es Ihnen geschenkt hat. Sie schätzt Sie genug, um anzunenmen, daß kein anderer Mann an Ihrer Stelle besser widerstanden haben würde; sie schreibt Ihre Fehltritte selbst auf Rechnung Ihrer Tugendhaftigkeit. Sie sehe jetzt ein, sagt sie, was es mit der allzu leicht gepriesenen Rechtschaffenheit der Gesinnung auf sich habe, die doch einen braven Mann, der verliebt ist, nicht abhält, wenn er kann, ein sittsames Mädchen zu verführen und unbedenklich eine ganze Familie zu entehren, um die Wuth eines Augenblick? zu befriedigen. Aber was nützt es, auf das Vergangene zurückzugehen? Es handelt sich darum, mit ewiger Nacht dieses verhaßte Geheimniß zu bedecken, die letzte Spur davon, wo möglich, zu verwischen und der Gnade des Himmels zu Hülfe zu kommen, die kein sichtbares Zeugniß davon zugelassen hat. Das Geheimniß ist auf den Kreis von sechs zuverlässigen Personen beschränkt. Die Ruhe Deren, die Ihr Alles war, das Leben einer in Verzweiflung gestürzten Mutter, die Ehre eines achtbaren Hauses, Ihre eigene Tugend, Alles das ist in Ihre Hand gelegt, zeichnet Alles Ihnen Ihre Pflicht vor: Sie können das Uebel wieder gut machen, das Sie gestiftet, können sich Juliens werth machen und Juliens Fehltritt rechtfertigen, indem Sie ihr entsagen; und wenn ich über Ihr Herz mich nicht getäuscht habe, so giebt es nichts Anderes als die Größe eines solchen Opfers, was der Größe der Liebe, die dasselbe heischt, entspräche. Auf die Achtung mich stützend, die ich für Ihre Gesinnung stets hegte und auf Alles, was dieser aus der zärtlichsten Vereinigung, die es je gab, an Kraft zuwachsen muß, habe ich in Ihrem Namen versprochen, was Sie nun erfüllen müssen: wagen Sie es, mich Lügen zu strafen, wenn ich zu hoch von Ihnen gedacht habe, oder seien Sie nun, was Sie sich schuldig sind. Es gilt, Ihre Geliebte der Liebe oder Ihre Liebe der Geliebten aufzuopfern und sich als den schwächsten oder als den tugendhaftesten der Menschen zu beweisen.

      Die unglückliche Mutter hat an Sie schreiben wollen, sie hatte sogar angefangen. O Gott! was für Dolchstiche hätten Ihnen ihre bitteren Klagen versetzt! wie hätten ihre rührenden Vorwürfe Ihnen das Herz zerrissen! wie hätten ihre flehentlichen Bitten Sie mit Scham durchbohrt! Ich habe diesen zerschmetternden Brief, den Sie nicht ausgehalten hätten, entzweigerissen, ich habe dieses Grauenvollste nicht mitansehen können, daß sich eine Mutter demüthige vor dem Verführer ihrer Tochter. Das verdienen Sie wenigstens, daß man nicht solche Mittel gegen Sie anwende, welche geeignet sind, Ungeheuer zu schmelzen und einem fühlenden Menschen sicherlich das Herz zu brechen.

      Wenn es sich dieses Mal um die erste Selbstüberwindung handelte, welche die Liebe von Ihnen fordert, so könnte ich an dem Erfolge zweifeln und ungewiß sein, wie viel Edelmuth man Ihnen zutrauen dürfe; aber das Opfer, welches Sie der Ehre Juliens gebracht haben, indem Sie von ihr fortgingen, bürgt mir dafür, daß Sie ein zweites ihrer Ruhe bringen werden, indem Sie einen vergeblichen Umgang abbrechen. Die ersten Schritte auf der Bahn der Tugend sind ja immer die schwersten, und Sie werden eine Ueberwindung, die Ihnen so sauer wurde, nicht um ihren Werth bringen wollen, indem Sie darauf bestehen, einen vergeblichen Briefwechsel fortzusetzen, der für Ihre Geliebte furchtbar gefährlich ist, keinem von beiden irgend eine Art von Entschädigung dafür bietet und nur die Qualen beider unnütz verlängert. Zweifeln Sie nicht daran, diese Julie, die Ihnen so theuer war, soll Dem, den sie so geliebt hat, nicht angehören; es ist umsonst, daß Sie sich Ihr Unglück verbergen. Sie verloren sie in dem Augenblicke, als Sie sich von ihr trennen mußten, oder vielmehr der Himmel hatte sie Ihnen schon eher genommen, als sie sich Ihnen hingab, denn ihr Vater versprach sie gleich bei seiner Rückkunft und Sie wissen nur zu gut, daß das Wort dieses unbeugsamen Mannes unwiderruflich ist. Wie Sie es auch anfangen mögen, das unüberwindliche Schicksal widersetzt sich Ihren Wünschen und Sie werden sie nie besitzen, Sie haben keine Wahl weiter, als entweder Julie in einen Abgrund von Unglück und Schmach zu reißen, oder in ihr den Gegenstand Ihrer Anbetung zu ehren und ihr anstatt des verlorenen Glückes, die Gemüthsruhe, die Vernunft, wenigstens die Sicherheit wiederzugeben, um die sie euer unseliges Bündniß gebracht hat.

      Wie betrübt würden Sie sein, wie würden Sie sich in Schmerz verzehren, wenn Sie den jetzigen Zustand der armen Freundin sehen könnten und wie gebeugt sie ist von Scham und Reue! Wie ist ihr Glanz dahin! wie ist ihr Liebreiz geknickt! wie ist ihr ganzes sonst so herrliches Gemüth traurig zusammengeschrumpft in das eine Gefühl, das alle übrigen verschlingt! Die Freundschaft selbst erkaltet darin; kaum theilt sie noch die Freude, die ich empfinde, sie zu sehen, und ihr krankes Herz ist für nichts mehr empfänglich als für ihre Liebe und ihren Schmerz. Ach! wohin ist dieses liebreiche, gefühlvolle Wesen, diese reine Lust an allem Guten und Schönen, diese zärtliche Theilnahme für fremde Leiden und Freuden? Sie ist wohl allerdings noch sanft, edel, mitleidig wie sonst; die liebenswürdige Gewohnheit, wohlzuthun, kann in ihr nicht untergehen, aber es ist jetzt bloße gedankenlose Gewohnheit, Trieb ohne Bewußtsein. Sie thut Alles, wie sie es immer that, aber nicht mit ihrer alten Freudigkeit; der Schwung ihrer Gefühle ist gelähmt, das himmlische Feuer, das in ihr loderte, erstorben: dieser Engel ist nichts mehr als ein bloßes Weib. Ach, was für eine Seele haben Sie der Tugend entrissen!

      Zweiter Brief.

       Juliens Liebster an Frau v. Étange.

       Inhaltsverzeichnis

      Von einem Schmerze durchdrungen, der nur mit meinem Leben enden wird, werfe ich mich Ihnen zu Füßen, Madame, nicht um Ihnen eine Reue auszudrücken, die sich mein Herz nicht willkürlich geben kann, sondern um ein unvorsätzliches Vergehen zu büßen, indem ich Allem entsage, was fähig war mir das Leben süß zu machen. Wie niemals menschliche Gefühle denen gleichkamen, die Ihre anbetungswürdige Tochter in mir erweckte, hat es niemals ein Opfer gegeben, dem gleich, welches ich hier der verehrungswerthesten der Mütter bringe; aber Julie hat mich zu sehr gelehrt, wie man das Glück der Pflicht opfern muß: sie ist mir zu muthig mit ihrem Beispiele vorangegangen, als daß ich ihr nicht wenigstens einmal nachahmen sollte. Wenn zur Heilung Ihrer Leiden mein Blut genügte, so würde ich es stillschweigend vergießen und nur beklagen, daß ich Ihnen einen so schwachen Beweis meines Eifers gebe; aber das süßeste, reinste, heiligste Band zu zerreißen, das je zwei Herzen vereinigt hat, ach! das ist eine That, die mir die ganze Welt nicht abgewonnen hätte und die nur Sie allein von mir erlangen konnten.

      Ja, ich gelobe, so lange fern von

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