Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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nicht moralische Regeln gegen diesen Fehler auskramen, die Sie besser wissen als ich, ich will Ihnen nur ein Schutzmittel anempfehlen, das leichter und vielleicht zuverlässiger ist als alle philosophischen Betrachtungen, nämlich in Gedanken eine kleine Umstellung der Zeit zu machen und die Zukunft um einige Minuten vorauszunehmen. Hätten Sie sich bei diesem unseligen Souper gegen einen Augenblick Gespöttes von Seiten der Tischgenossen stark gemacht durch den Gedanken an den Zustand, in welchem sich Ihre Seele befinden würde, wenn Sie erst wieder auf der Straße wären: hätten Sie sich die innere Zufriedenheit im Voraus gedacht, die es Ihnen gewähren würde, den Fallstricken des Lasters entgangen zu sein, den Vortheil, gleich von Anfang an sich den Sieg zur Gewohnheit zu machen und dadurch auf die Dauer zu erleichtern, das Vergnügen, welches Sie in dem Bewußtsein des Sieges gefunden haben würden, die Freude, ihn mir zu schildern, meine eigene Freude darüber — ist es dann glaublich, daß das Alles nicht mächtiger gewesen wäre als eine augenblickliche Scheu, der Sie gewiß nicht würden nachgegeben haben, wenn Sie sich die Folgen lebhaft vorgestellt hätten? Dann auch, was ist es für eine Scheu, die Werth legt auf die Spöttereien von Menschen, deren Achtung keinen Werth hat? Unfehlbar würde Ihnen diese Erwägung für einen Augenblick falscher Scham, eine weit gerechtere, dauerndere Scham, Reue, Gefahr erspart haben, und, um Ihnen nichts zu verhehlen, Ihre Freundin hätte ein Paar Thränen weniger zu vergießen gehabt.

      Sie wollten, sagten Sie, diesen Abend benutzen, um Ihr Geschäft als Beobachter zu treiben. Was für ein Amt! was für eine Aufgabe! o, wie machen michIhre Entschuldigungen schamroth Ihretwegen! Werden Sie nicht auch eines Tages neugierig werden, die Räuber in ihren Höhlen zu beobachten und zu sehen, wie sie es anstellen, um die Vorübergehenden auszuplündern? Wissen Sie denn nicht, daß es Dinge von so gehässiger Art giebt, daß es dem Ehrenmanne nicht erlaugt ist, sie auch nur mit anzusehen; daß der Zorn der Tugend das Schauspiel des Lasters nicht ertragen kann? Der weise beobachtet die öffentliche Unordnung, der er nicht Einhalt thun kann, mit Schmerz in seinen Mienen; aber der Privatunordnung widersetzt er sich oder wendet die Augen ab, um sie nicht durch seine Gegenwart scheinbar gut zu heißen. War es übrigens nöthig, dergleichen Gesellschaft zu sehen, um zu wissen, was in ihnen vorgeht und was für Reden da geführt werden? Ich wenigstens kann, nach ihrem Wesen schon und nach dem Wenigen, was Sie mir davon gesagt haben, leicht das Uebrige errathen, und, wenn ich mir das Vergnügen vorstelle, das dabei zu finden ist, so kenne ich auch die Leute, die danach gehen.

      Ich weiß nicht, ob Ihre Philosophie sich bereits die Grundsätze angeeignet hat, die, wie man sagt, in den großen Städten über die Duldung solcher Orte herrschen; ich hoffe aber wenigstens, daß Sie nicht zu Denen gehören, welche sich selbst genug verachten, um sich die Benutzung derselben zu verstatten, unter dem Vorwande, ich weiß nicht welcher eingebildeten Nothwendigkeit, von der nur Leute von schlechtem Wandel etwas wissen. Als ob die beiden Geschlechter in dieser Hinsicht von verschiedener Natur wären und dem gesitteten Manne zur Zeit der Abwesenheit oder im Cölibate Aushülfen nöthig wären, deren die gesittete Frau nicht bedarf! Wenn dieser Wahn Sie nicht zu Prostituirten führt, so fürchte ich wenigstens, daß er auf die Dauer Sie selbst auf Irrwege führe. Oh! wenn Sie verächtlich sein wollen, seien Sie es wenigstens ohne Ausrede, und fügen Sie nicht der Unzucht noch die Lüge hinzu. Alle solche vorgeblichen Bedürfnisse haben ihre Quelle nicht in der Natur, sondern in freiwilliger Berückung der Sinne. Selbst die Vorspiegelungen der Liebe läutern sich in einem keuschen Herzen und verderben kein Herz, das nicht schon verdorben ist: im Gegentheile, die Reinheit erhält sich durch sich selbst; die Begierden, welche immer zurückgedrängt werden, gewöhnen sich, nicht wieder zu entstehen, und die Versuchungen vervielfältigen sich nur dadurch, daß man sich daran gewöhnt, ihnen zu erliegen. Zweimal hat mich die Freundschaft getrieben, meinen Widerstand gegen die Behandlung eines Gegenstandes dieser Art zu überwinden: dieses Mal wird das letzte Mal sein; denn durch welches Mittel dürfte ich hoffen von Ihnen zu erlangen, was Sie dem Anstande, der Liebe und der Vernunft nicht gewähren?

      Ich komme zu dem wichtigen Punkte zurück, mit welchem ich diesen Brief begonnen habe. Zu einundzwanzig Jahren schickten Sie mir aus dem Wallis ernste, sinnige Schilderungen; zu fünfundzwanzig Jahren schreiben Sie mir aus Paris leeren Tand, Briefe, in denen ich Sinn und Urtheil überall einem gewissen witzelnden Tik aufgeopfert finde, der gar nicht in Ihrem Charakter liegt. Ich weiß nicht, wie Sie es angefangen haben, aber seitdem Sie an dem Sitz der Talente leben, scheinen die Ihrigen Ihnen auszugehen; Sie hatten bei den Bauern gewonnen, und mitten unter den schönen Geistern verlieren Sie. Es ist nicht die Schuld des Ortes, an dem Sie leben, sondern der Bekanntschaften, die Sie gemacht haben, denn nirgends muß man so sorgfältig wählen, als wo das Beste mit dem Schlechtesten vermischt ist. Wenn Sie die Welt studiren wollen, so sehen Sie verständige Leute, die sie aus langer Erfahrung und ruhiger Beobachtung kennen, nicht junge Sausewinde, die nur die Oberfläche sehen und Lächerlichkeiten, deren sie sich selbst schuldig machen. Paris ist voll von Gelehrten, die im Denken geübt sind und denen dieser große Schauplatz alle Tage dazu Stoff bietet. Sie werden mich nicht glauben machen, daß diese ernsten, fleißigen Männer wie Sie von Haus zu Haus, von Coterie in Coterie laufen, um die Frauen und das junge Volk zu amüsiren und in leeres Geschwätz ihre ganze Philosophie zu setzen. Sie besitzen zuviel Würde, um so ihren Stand zu erniedrigen, ihre Talente preis zu geben und durch ihr Beispiel Sitten zu befördern, die zu verbessern ihre Pflicht wäre. Wenn es auch die Meisten thäten, werden doch sicher Manche sein, die es nicht thun, und diese sollten Sie aufsuchen.

      Ist es nicht auch noch sonderbar, daß Sie selbst in den Fehler verfallen, welchen Sie den modernen Lustspieldichtern vorwerfen, daß Paris für Sie nur angefüllt ist mit Leuten von Stande, und daß die Personen Ihres eigenen Standes die einzigen sind, von denen Sie nicht reden? Als ob Ihnen die Adelsvorurtheile nicht theuer genug zu stehen kämen, um sie zu hassen, und Sie sich herunterzusetzen glaubten, wenn Sie mit anständigen Bürgerlichen umgingen, die doch vielleicht dort den ehrenwerthesten Stand bilden, Entschuldigen Sie sich, nur nicht mit den Bekanntschaften Milord Eduard's: mit Hülfe Deren würde es Ihnen nicht schwer geworden sein, andere in einem niedrigeren Stande zu machen. So viele Leute wollen aufwärts steigen, daß es immer leicht ist, hinabzusteigen, und Ihrem eigenen Geständnisse nach, ist es das einzige Mittel, die wahren Sitten eines Volkes kennen zu lernen, daß man sein Privatleben in denjenigen Klassen, welche die zahlreichsten sind, studire: denn wenn man bei Denen stehen bleibt, welche immer repräsentiren, so sieht man nichts als Komödianten.

      Ich wünschte wohl, daß Ihre Neugier noch weiter ginge. Warum ist in einer so reichen Stadt das niedere Volk so im Elend, während bei uns, wo es keine Millionäre giebt, die äußerste Entblößung so selten ist? Diese Frage verdient es, wie mir scheint, gar sehr, daß Sie Nachforschungen darüber anstellen, aber bei den Leuten, mit denen Sie leben, dürfen Sie freilich nicht hoffen, ihre Lösung zu finden. In den vergoldeten Appartements sieht sich um, wer Unterricht in den vornehmen Manieren der Welt haben will; aber der Weise läßt sich in ihre Mysterien einweihen in der Hütte des Armen. Dort gewahrt man augenscheinlich die finsteren Schliche des Lasters, jene Schliche, die es in der feinen Gesellschaft unter geschminkten Worten versteckt dort unterrichtet man sich, durch welche geheime Schändlichkeiten der Mächtige und Reiche den letzten Bissen Brot dem Unterdrückten entreißt, den er öffentlich zum Schein bedauert. Ach! wenn ich unseren alten Militärs in dieser Hinsicht Glauben schenken darf, was würden Sie erfahren in den Bodenkammern eines fünften Stockes, was für Dinge, die man in den Hotels des Faubourg Saint-Germain mit tiefem Schweigen bedeckt! und wie viel schöne Phrasenmacher würden beschämt dastehen mit ihren erheuchelten Humanitätsmaximen, wenn alle Unglücklichen, die sie zu Grunde gerichtet, sich einstellten, um sie Lügen zu strafen!

      Ich weiß, man hat nicht gern den Anblick von Elend, das man nicht lindern kann, und selbst der Reiche wendet die Augen ab von dem Armen, dem er Hülfe versagt; aber es ist doch nicht Geld allein, was die Unglücklichen brauchen, und nur Die, welche träg im Gutesthun sind, wissen nur mit dem Beutel in der Hand Gutes zu thun. Tröstungen, Rathschläge, Pflege, Freunde, Protection, wie viele Hülfsmittel stehen, wenn man auch keine Reichthümer besitzt, dem Mitleid zu Gebote, um dem Dürftigen beizuspringen! Wie Mancher wird nur deshalb unterdrückt, weil es ihm an einem Organe fehlt, um seine Klage vernehmlich zu machen! Es liegt oft nur an einem Worte, das er nicht zu sprechen weiß, an einem Grunde, den er nicht entwickeln kann,

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