Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen). Чарльз Дарвин
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Dieselben hohen geistigen Fähigkeiten, welche den Menschen zuerst dazu führten, an unsichtbare geistige Kräfte, dann an Fetischismus. Polytheismus und endlich Monotheismus zu glauben, werden ihn, so lange seine Verstandeskräfte nur wenig entwickelt waren, unfehlbar zu verschiedenen fremdartigen Gebräuchen und Formen des Aberglaubens geführt haben. Schon der Gedanke an viele Arten dieser ist schaudervoll, so das Opfern menschlicher Wesen einem blutliebenden Gotte, das Überführen unschuldiger Personen durch das Gottesgericht mit Gift oder Feuer. Zauberei u. s. w.; und doch verlohnt es sich wohl, gelegentlich über diese Formen von Aberglauben nachzudenken; denn sie zeigen uns, in welch' unendlicher Weise wir der Vervollkommnung unseres Verstandes, der Wissenschaft und unseren aufgestapelten Kenntnissen zu Danke verpflichtet sind. Wie Sir J. Lubbock233 sehr gut bemerkt hat. »ist es nicht zu viel, wenn wir sagen, daß die schauerliche Furcht vor unbekannten Übeln wie eine dichte Wolke über dem Leben der Wilden hängt und jedes Vergnügen verbittert«. Diese traurigen, indirect aus unseren höchsten Fähigkeiten herzuleitenden Folgen können mit den zufälligen und gelegentlichen Mißgriffen der Instincte niederer Thiere verglichen werden.
Fußnote
227 »The Spectator«, Dec. 4th 1869, p. 1430.
228 s. einen ausgezeichneten Aufsatz hierüber von F. Farrar in: Anthropological Review. Aug. 1864, p. CCXVII. Wegen weiterer Thatsachen s. Sir J. Lubbock, Prehistoric Times, 2. edit. 1869, p. 564 und besonders die Capitel über Religion in seinem Origin of Civilisation. 1870.
229 The Worship of Animals and Plants, in: Fortnightly Review. Oct. 1., 1865, p. 422.
230 Tylor, Early History of Mankind. 1856. p. 6. s. auch die drei bemerkenswerthen Capitel über die Entwicklung der Religion in Lubbock's Origin of Civilisation. 1870. In gleicher Weise erklärt Herbert Spencer in seinem geistvollen Aufsatz in der Fortnightly Review (May 1., 1870, p. 535) die frühesten Formen religiösen Glaubens in der ganzen Welt dadurch, daß der Mensch durch Träume, Zwielichtbilder und andere Veranlassungen dazu gebracht wurde, sich selbst als ein doppeltes Wesen zu betrachten, ein körperliches und geistiges. Da von dem geistigen Wesen angenommen wird, es lebe nach dem Tode fort und sei mächtig, so wird es durch verschiedene Geschenke und Ceremonien günstig zu stimmen versucht und um seinen Beistand angefleht. Er zeigt dann weiter, daß die den frühesten Vorfahren oder Gründern eines Stammes nach irgend einem Thiere oder Gegenstande gegebenen Namen oder Spitznamen nach Verlauf langer Zeiträume für Bezeichnungen des wirklichen Urerzeugers des Stammes angesehen wurden; und von einem derartigen Thiere und Object wird dann geglaubt, daß es noch immer als ein Geist existiere, es wird heilig gehalten und als ein Gott verehrt. Nichtsdestoweniger kann ich mich der Vermuthung nicht erwehren, daß es einen noch früheren und roheren Zustand gegeben hat, wo Alles, was nur Kraft oder Bewegung äußerte, als mit einer Art von Leben und geistigen, unsern eigenen analogen, Fähigkeiten begabt angesehen wurde.
231 s. auch einen guten Aufsatz über die psychischen Elemente der Religion von L. Owen Pike in: Anthropolog. Review, Apr. 1870, p. LXIII.
232 Religion, Moral u. s. w. der Darwinschen Art-Lehre. 1869, p. 53. Es wird angegeben (Dr. W. Lauder Lindsay, in: Journal of Mental Science, 1871, p. 43), daß vor langer Zeit schon Bacon und auch der Dichter Burns derselben Meinung gewesen seien.
233 Prehistoric Times. 2. edit. p. 571. In demselben Werke findet sich (p. 553) eine vorzügliche Schilderung der vielen fremdartigen und capriciösen Gebräuche der Wilden.
Viertes Capitel.
Vergleichung der Geisteskräfte des Menschen mit denen der niederen Thiere (Fortsetzung)
Das moralische Gefühl. – Fundamentalsatz. – Die Eigenschaften socialer Thiere. – Ursprung der Fähigkeit zum Geselligleben. – Kampf zwischen entgegengesetzten Instincten. – Der Mensch ein sociales Thier. – Die ausdauernderen socialen Instincte überwinden andere weniger beständige Instincte. – Sociale Tugenden von Wilden allein geachtet. – Tugenden, die das Individuum betreffen, erst auf späterer Entwicklungsstufe erlangt. – Große Bedeutung des Urtheils der Mitglieder derselben Gemeinschaft über das Benehmen. – Überlieferung moralischer Neigungen. – Zusammenfassung.
Ich unterschreibe vollständig die Meinung derjenigen Schriftsteller,234 welche behaupten, daß von allen Unterschieden zwischen dem Menschen und den niederen Thieren das moralische Gefühl oder das Gewissen weitaus der bedeutungsvollste ist. Dieses Gefühl, wie Mackintosh235 bemerkt, »beherrscht rechtmäßiger Weise jedes andere Princip menschlicher Thätigkeit«. Diese Gewalt wird in jenem kurzen, aber gebieterischen und so äußerst bezeichnenden Worte »soll« zusammengefaßt. Es ist das edelste aller Attribute des Menschen, welches ihn, ohne daß er sich einen Augenblick zu besinnen braucht, dazu führt, sein Leben für das eines Mitgeschöpfes zu wagen, oder ihn nach sorgfältiger Überlegung einfach durch das tiefe Gefühl des Rechts oder der Pflicht dazu treibt, sein Leben irgend einer großen Sache zu opfern. Immanuel Kant ruft aus: » Pflicht! du erhabener, großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüthe erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüthe Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im Geheimen ihm entgegenwirken, welches ist der deiner würdige Ursprung und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft?«.236
Es haben diese Frage viele Schriftsteller von ausgezeichneter Befähigung237 erörtert, und meine einzige Entschuldigung, sie hier nochmals zu berühren, ist sowohl die Unmöglichkeit, sie ganz zu übergehen, als auch der Umstand, daß, so weit es mir bekannt ist, ihr Niemand ausschließlich von naturhistorischer Seite her näher getreten ist. Es besitzt diese Untersuchung auch einiges selbständige Interesse, nämlich als ein Versuch, zu sehen, wie weit das Studium der niederen Thiere Licht auf eine der höchsten psychischen Fähigkeiten des Menschen werfen kann.
Der folgende Satz scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein, nämlich daß jedes Thier, welches es auch sein mag, wenn es nur mit scharf ausgesprochenen socialen Instincten (die elterliche und kindliche Zuneigung hier mit eingeschlossen) versehen ist,238 unvermeidlich ein moralisches Gefühl oder Gewissen erlangen würde, wenn sich seine intellectuellen Kräfte so weit oder nahezu so weit wie beim Menschen entwickelt hätten. Denn erstens führen die