Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
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Kap. XVIII. Ich komme nun zu den kurzen Aussprüchen, welche Du als Folgesätze bezeichnetest; zunächst zum kürzesten von allen: Alle Güter sind lobenswerth und alles Lobenswerthe ist sittlich, mithin sind alle Güter sittlich. Oh! welch bleierner Dolch! wer wird Dir den ersten Satz zugeben; denn dann bedürfte es nicht des zweiten; da, wenn alle Güter lobenswerth sind, sie auch alle sittlich sind. (§ 49.) Niemand, mit Ausnahme des Pyrrho, Aristo und seiner Gesangsgenossen, wird Dir dies zugestehen, und deren Ansichten theilst Du nicht; dagegen wird Aristoteles, Xenokrates mit all ihren Anhängern es nicht einräumen, da ihnen auch die Gesundheit, die Kräfte, der Reichthum, der Rahm und vieles Andere als ein Gut gilt, ohne dass sie sie für lobenswerth halten. Wenn schon diese Männer so verfahren, welche das höchste Gut nicht ausschliesslich in die Tugend setzten, aber die Tugend doch allem Andern voranstellten, was kann man da erst von Denen erwarten, welche die Tugend überhaupt von dem höchsten Gute ausschliessen, wie Epikur, Hieronymus und selbst Jene, die an dem höchsten Gut des Carneades festhalten? (§ 50.) Selbst Callipho und Diodor könnten Dir dies nicht zugestehen, da sie mit der Sittlichkeit noch etwas Anderes, davon Verschiedenes, verbinden. Wirst Du aber, mein Cato, aus nicht zugestandenen Vordersätzen das ableiten wollen, was Du brauchst? – Aber nun kommen wir zu jenem Kettenschluss, obwohl Ihr diese Art von Schlüssen für fehlerhaft haltet. Er lautet: Was ein Gut ist, das ist auch wünschenswerth, und was wünschenswerth ist, das ist zu erstreben, was zu erstreben ist, das ist löblich, und so weiter die übrigen Glieder. Auch hier kann ich nicht nachgeben. Denn in dieser Weise wird Niemand Dir zugestehen, dass das zu Erstrebende löblich sei. Am wenigsten folgerecht, sondern besonders fehlerhaft ist ferner der Schluss, wo Jene, nicht Du, sagen, dass ein ruhmwürdiges Leben auch ein glückliches sei, weil ohne Sittlichkeit Niemand mit Recht gerühmt werden könne. (§ 51.) Polemo wird das dem Zeno zugestehen; ebenso sein Lehrer und seine Anhänger und die Uebrigen, welche die Tugend zwar Allem weit voranstellen, aber ihr doch bei Bestimmung des höchsten Guts noch Etwas beifügen. Aber wenn es auch richtig ist, dass die Tugend des Rühmens werth ist und in unbesiegbarer Weise allem Anderen voransteht, und Jemand auch mit der Tugend allein und ohne sonst etwas glücklich sein kann, so kann man Dir doch nicht zugestehen, dass nur die Tugend und sonst Nichts zu den Gütern zu rechnen sei. Dagegen werden Die, für welche das höchste Gut die Tugend nicht enthält, wahrscheinlich nicht zugestehen, dass Der ein glückliches Leben habe, welcher mit Recht gerühmt werden kann, obgleich auch Diese den Ruhm mitunter zu der Lust rechnen.
Kap. XIX. (§ 52.) Du siehst also, dass Du entweder Sätze benutzest, die man nicht zugesteht, oder dass Sätze, die man zugesteht, Dir nichts nützen. Ich möchte vielmehr annehmen, dass bei allen diesen Schlussfolgerungen es uns und der Philosophie am Besten anstünde, namentlich bei Aufsuchung des höchsten Guts, unser Leben, unsere Absichten und Pläne zu verbessern und nicht blos die Worte. Wer kann, wenn er jene kurzen und scharfsinnigen Sätze hört, die Dir so gefallen, seine eignen Ansichten aufgeben? Man erwartet und horcht, zu vernehmen, weshalb der Schmerz kein Uebel sei? Man hört zwar, dass der Schmerz hart, lästig, verhasst, unnatürlich, kaum erträglich sei, aber trotzdem sei er kein Uebel, weil er keinen Betrug, keine Unredlichkeit noch Bosheit, noch Schuld oder Schlechtigkeit enthalte. Wer dies hört, wird, wenn er auch nicht lachen sollte, doch bei seinem Fortgehen nicht fester in Ertragung des Schmerzes geworden sein, als er gekommen ist. (§ 53.) Du dagegen bestreitest, dass Jemand tapfer sein könne, wenn er den Schmerz für ein Uebel halte. Warum soll er aber tapferer sein, wenn er doch, wie Du zugiebst, den Schmerz für hart und kaum erträglich hält? Die Feigheit entspringt doch aus der Sache und nicht aus den Worten. Du sagst ferner, dass das ganze Lehrgebäude zusammenfalle, wenn man auch nur an einem Buchstaben rüttle. Aber meinst Du, dass ich nur Buchstaben und nicht ganze Seiten wankend mache? Es mag sein, wie Du lobend hervorhobst, dass bei den Stoikern die Dinge in guter Ordnung vorgetragen werden und Alles zu einander passt und unter sich verknüpft ist (wie Du sagtest), aber man darf doch sich dem nicht anschliessen, wenn die Sätze zwar zu einander passen und der Gang richtig eingehalten worden, aber wenn sie von falschen Obersätzen abgeleitet sind. (§ 54.) So wich Dein Zeno schon bei seinem ersten Grundsatze von der Natur ab, wenn er das höchste Gut in die Vortrefflichkeit des Verstandes, die wir Tugend nennen, setzte und nichts Anderes für ein Gut gelten lassen wollte, als das Sittliche, und wenn er behauptete, die Tugend könne nicht bestehen, wenn bei den übrigen Dingen irgend ein Unterschied nach Gut oder Schlecht stattfinde. Aus diesen Vordersätzen hat er die Folgesätze richtig abgeleitet; dies muss ich anerkennen; allein diese Folgesätze sind doch in sich so unwahr, dass die Sätze, aus denen sie abgeleitet sind, nicht wahr sein können. (§ 55.) Denn die Dialektiker lehren, wie Du weisst, dass, wenn die aus einem Satz sich ergebenden Folgen falsch seien, auch der Satz selbst, aus dem sie folgen, falsch sei. Darauf beruht der nicht blos wichtige, sondern auch klare Schluss, von dem die Dialektiker jede Rechtfertigung für überflüssig halten, nämlich der Schluss: Wenn Jenes ist, so ist auch Dieses; wenn aber Dieses nicht ist, so ist auch Jenes nicht. Daher fallen mit Beseitigung Eurer Folgesätze auch Eure Vordersätze. Was sind nun Eure Folgesätze ? Alle, die nicht weise sind, sollen gleich elend sein; alle Weisen sollen höchst glücklich sein; alle rechten Handlungen sollen sich gleich stehn und ebenso alle Uebelthaten. Dies klang im Anfange grossartig, aber als man es genauer betrachtete, konnte man nicht beitreten. Denn die Sinne eines Jeden und die Beschaffenheit der Dinge und die Wahrheit selbst schrien gleichsam laut auf, wie es nicht angehe, dass unter den Dingen, die Zeno gleich machen wollte, kein Unterschied bestehe.
Kap. XX. (§ 56.) Später hat Dein feiner Punier (denn Du weisst ja, dass die Einwohner von Citium, Deine Klienten, aus Phönizien stammen), ein scharfsinniger Kopf, da er sah, dass er in der Sache nicht obsiegen könne und die Natur dem widerstreite, angefangen, die Worte zu verdrehen; zunächst gab er zu, dass die Dinge, welche wir für Güter halten, angemessen, passend und unsrer Natur entsprechend seien, und er begann einzuräumen, dass für den Weisen, d.h. für den höchst Glücklichen es doch angenehmer sei, wenn er das besitze, was er zwar Güter zu nennen nicht wagte, aber als naturgemäss anerkannte. Er behauptete daher nicht, dass Plato, sofern er nicht als Weiser gelten könne, in demselben Zustande wie der Tyrann Dionysius sich befunden habe; denn für Diesen sei das Sterben das Beste gewesen, weil an seiner Weisheit verzweifelt werden musste, während für Jenen das Leben besser gewesen, da er noch die Hoffnung auf Erlangung der Weisheit hatte. Ebenso erkannte er an, dass manche Fehler erträglich seien, andere nicht; weil manche mehr, andere weniger Pflichten verletzen, und dass unter den Unwissenden Manche der Art wären, dass sie die Weisheit niemals erlangen könnten, während Andere, wenn sie entsprechend gehandelt hätten, dies vermocht haben würden. (§ 57.) Dieser Mann sprach allerdings anders wie die übrigen Stoiker, allein innerlich dachte er doch wie sie. Indess schätzte er das, was er selbst als Güter nicht anerkennen wollte, nicht geringer als Die, welche es für Güter erklärten. Was hat er daher mit dieser Veränderung der Worte bezweckt? Er hätte wenigstens etwas von dem Gewichte bei diesen Dingen abnehmen und sie ein wenig geringer als die Peripatetiker schätzen sollen, damit man gesehen, er spreche nicht blos anders, sondern habe auch eine andere Meinung. Aber was sagt Ihr nun über das glückliche Leben, auf welches Alles bezogen wird? Ihr bestreitet, dass es jenes sei, was im Besitz Alles dessen ist, was die menschliche Natur begehrt; vielmehr setzt ihr es in die Tugend allein. Wenn nun aller Streit entweder über die Sache oder über deren Namen geführt wird, so entsteht ein solcher nach beiden Beziehungen, wenn man entweder die Sache nicht kennt oder in deren Namen sich irrt; ist keines von beiden der Fall, so soll man sich sorgfältig derjenigen Worte bedienen, welche die gebräuchlichsten und passendsten sind, d.h. welche die Sache selbst am besten bezeichnen. (§ 58.) Vielleicht kann man aber zweifeln, ob nicht die Alten, wenn sie auch in der Sache nichts versehen haben, doch in den Worten sich passender hätten ausdrücken können; wir wollen also zunächst ihre Ansichten untersuchen und dann auf die Worte zurückkommen.
Kap. XXI. Nach ihnen wird das Begehren in der Seele erweckt, wenn ihr Etwas als naturgemäss erscheint; alles Naturgemässe sei aber schätzenswerth und zwar jedes nach seiner Bedeutung. Von dem Naturgemässen habe ein Theil nichts von dem oft genannten Verlangen in sich; und es gelte weder als sittlich noch als löblich;