Aufregend war es immer. Hugo Portisch

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Aufregend war es immer - Hugo Portisch

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ich, musste ich, zuerst einmal studieren. Also auf nach Wien, auf zur Universität, Mai 1945. Es sprach sich herum: Die Universität wurde gerade wieder eröffnet. Und tatsächlich, man konnte studieren! Zunächst nur in wenigen Gegenständen. Genau genommen nur in den Fächern, für die es Lehrkräfte gab. Denn die durften keine Nazis gewesen sein. Und das waren nicht viele. Also inskribierte ich das Wenige, das angeboten war, aber doch den Weg in die Welt erleichtern würde: nebst Philosophie und Psychologie Anglistik, Geografie und Germanistik.

      Das Gebäude der Wiener Universität war im Krieg von mehreren Bomben getroffen worden und stark zerstört. Eine eingestürzte Mauer erschwerte den Aufgang zum ersten Stock, und dort gab es einen einzigen brauchbaren Hörsaal, ich glaube, er trug die Nummer 38. Es waren nicht viele Studenten, die sich da einfanden. Viele waren aus Krieg und Gefangenschaft noch nicht heimgekehrt und nicht wenige waren gefallen. So war die Mehrzahl der Studierenden weiblich, ungefähr im Verhältnis 1:3. Aber es gab schon eine Studentenvertretung, die »Hochschülerschaft«, an ihrer Spitze Kurt Schubert. Er war es, der mir später erzählte, wie es zur Öffnung der Universität gekommen war. Schubert suchte auf eigene Faust den sowjetischen Stadtkommandanten, General Blagodatow, auf und ersuchte ihn um Hilfe. Wie so vieles, was in diesen Tagen geschah, unglaublich schien – der General rief einen Offizier, den er Schubert als »Kommissar« vorstellte, und meinte, er würde ihm bei der Wiedereröffnung der Universität beistehen. Es stellte sich heraus, so erzählte Schubert, dass der Offizier in Leningrad Kunstgeschichte studiert und eine Dissertation über die Wiener Ringstraße zur Erlangung seines Doktorats geschrieben hatte. Und er sprach Deutsch. Besser konnte es gar nicht sein, meinte dazu Schubert.

      Mithilfe dieses Offiziers drang Schubert in die Räume des Rektorats vor. Schubert: »Ich wusste, das Wichtigste im befreiten Österreich ist, dass man einen Stempel hat, und so bat ich meinen russischen Begleiter, im Rektorat von Amts wegen eine Schreibtischlade aufzubrechen, was er auch tat. Wir entnahmen der Lade den Stempel mit der Aufschrift ›Rektorat der Universität Wien‹. Diesen Stempel hat er mir übergeben. Vorher mussten wir noch den Hakenkreuzadler herausschneiden. Jetzt war ich im Besitz eines Stempels. Das war ein ungeheures Machtmittel zu dieser Zeit. Und ich habe festgelegt, dass das Sommersemester 1945 im Mai beginnt.«

      Ein zweiter Helfer fand sich ein, Wilhelm Czerny. Schubert und Czerny sammelten Namen von Professoren, suchten einige von ihnen persönlich auf und holten sie an die Universität. Andere meldeten sich selbst, darunter einige mit großen Namen: Adamovic, Meister, Arzt, Verdroß, Czermak. Es dauerte nur wenige Tage, da war der Lehrplan aufgestellt und der Studienbetrieb konnte beginnen. Kurt Schubert baute die Hochschülerschaft auf und verfügte als Erstes: Wer studieren will, muss vorher helfen, den Kriegsschutt wegzuräumen. Alle Studenten mussten einen 14-tägigen Arbeitseinsatz absolvieren. Das machte sich bemerkbar: In Kürze waren die Stiegenaufgänge der Universität wieder begehbar, einige weitere Hörsäle wieder zu benützen. Die Vorlesungen begannen.

      Und ich konnte studieren. Für meinen Unterhalt wollte ich selbst aufkommen und fand einen Job im Wiener Verlagshaus der niederösterreichischen Zeitungen. Monatslohn 90 Schilling. Aber wo wohnen?

      Auf dem Stephansplatz war nicht nur der Dom ausgebrannt, sondern auch viele der ihn umgebenden Häuser. Eine der ausgebrannten Fassaden hatte man mit einem Holzverschlag abgedeckt. Diesen Verschlag nutzten viele Menschen, um sich mit anderen Menschen zu verständigen. Auf kleine Zettel, die sie auf dem Holzverschlag befestigten, schrieben sie ihre Wünsche und Angebote. Dorthin ging ich und hoffte, dass auch irgendjemand ein Untermietzimmer anzubieten hatte. Als ich ankam, war eine ältere Dame gerade dabei, das zu tun. Sie bot einen Raum ihrer Zweizimmerwohnung zur Miete an. Ich sprach sie an und sie war bereit, mir dieses Zimmer um 30 Schilling pro Monat zu vermieten. Heute scheint das lächerlich billig gewesen zu sein, aber ich musste, wie viele Studenten, mit weniger als 100 Schilling im Monat durchkommen. Für die Miete, für die Monatskarte der Straßenbahn, für eine Mahlzeit täglich in der Studentenmensa. Und da sollten noch einige Schillinge übrig bleiben für Theater oder Kino.

      Dann kam der Winter 1945/46, besonders kalt. Ich hockte in meinem kleinen, ungeheizten Untermietzimmer im fünften Bezirk, britische Zone. In der Wohnung gab es ein Radio und ich wurde eingeladen, die angekündigte Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers Leopold Figl mitzuhören. Ich habe sie später auch in die Dokumentation »Österreich II« aufgenommen. Aber ich denke, ich sollte sie auch in diesem Buch wiedergeben. Denn sie sagt mehr über den damaligen Zustand des Landes und seiner Menschen aus, als ich hier beschreiben könnte: »Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!«

      Ich weiß nicht mehr, wann und wo mir die Abbildung einer Zeichnung in die Hände fiel, die Oskar Kokoschka genau um diese Zeit in seinem Londoner Exil veröffentlicht hat. Der Titel: »Im Gedenken an die Kinder Europas, die diese Weihnachten an Kälte und Hunger werden sterben müssen.« Fast genau so stand es im Bericht, den die Nahrungshilfsorganisation der UNO, UNRRA, zur Lage in Österreich publizierte: »Österreich ist das Land, in dem die Menschen dem Hungertod am nächsten sind.«

      Die wöchentliche Lebensmittelration für Erwachsene in der Wiener britischen Zone bestand aus 15 Dekagramm Haferflocken, 10 Dekagramm Zucker und einem halben Laib Brot. Später gab es ab und zu zusätzlich eine Konservendose mit unterschiedlichem Inhalt.

      Doch es wurde auch geholfen. In der Schweiz lief eine große Aktion an: »Kartoffeln für die hungernden Wiener«. Tausende Schweizer spendeten Geld für diese Kartoffelhilfe. Hunderte Schweizer Familien erklärten sich bereit, Wiener Kinder für längere Zeit aufzunehmen und durchzufüttern. Der New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia kam nach Wien und ließ sich vom amerikanischen Hochkommissar die täglichen Lebensmittelrationen eines Wieners in natura vorführen. Er stand ehrenhalber der UNRRA vor, und die begann nun, Österreich in ihr Hilfsprogramm aufzunehmen.

      Zur großen Wende, nicht nur für Österreich, sondern für ganz Westeuropa, kam es erst, als 1947 die Marshallplanhilfe der USA anlief.

      Wie ein Rettungsanker Was der Marshallplan bewegte

      An Figls Weihnachtsrede kann man ermessen, was für die Menschen die Nachricht bedeutete, der amerikanische Außenminister George Marshall habe angekündigt, die Vereinigten Staaten seien zu einer großen Hilfsaktion bereit, um ganz Europa bei der Überwindung von Hunger, Not und Kriegszerstörung zu helfen. Alle europäischen Staaten seien eingeladen, an diesem Hilfsprogramm teilzunehmen. Offiziell European Recovery Program (ERP) genannt, aber bekannt wurde es als Marshallplan.

      Eine großartige Idee: Alle europäischen Staaten sollten gemeinsam eine Organisation zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit gründen, in der die wirtschaftlichen und finanziellen Bedürfnisse jedes einzelnen Landes zu erfassen seien. Die USA würden die benötigten Güter – Fabriksausrüstungen aller Art, Transportmittel, landwirtschaftliche Maschinen, Lebensmittel – und auch Geld kostenlos zur Verfügung stellen. Geliefert würden sie an die jeweiligen Regierungen. Diese sollten die Güter den Unternehmen und Menschen im eigenen Land zuteilen und die sollten sie für den Wiederaufbau verwenden – die Traktoren in der Landwirtschaft, die Maschinen in den Fabriken, die Turbinen in den Kraftwerken, die Waggons für die Eisenbahnen und so weiter und so fort.

      Die Empfänger aber sollten diese Güter bezahlen, das Geld dafür sollte ihnen in Form langfristiger Kredite zu niedrigen Zinsen von den Regierungen zur Verfügung gestellt werden. Bezahlt würde praktisch also erst dann, wenn mit diesen Gütern bereits Geld verdient werden konnte. Das Geld, das für diese Kredite zurückfließen würde, sollte in einen eigenen Fonds fließen, der nach dem amerikanischen Hilfsprogramm zu benennen sei: ERP-Fonds. Die in diese ERP-Fonds fließenden Gelder, in nationaler Währung, sollten die Regierungen erneut als Kredite zur weiteren Unterstützung der Wirtschaft verleihen – langfristig und zu niedrigen Zinsen. Also eine sich

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