Aufregend war es immer. Hugo Portisch

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Aufregend war es immer - Hugo Portisch

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zur Weltpolitik. Und das tat ich auch. Nebenbei und ohne es meinem Chefredakteur zu sagen, nahm ich doch nicht an, dass Dichand diese Berichte unter meinem Namen erscheinen lassen würde.

      Als die Sowjetblockade gegen Berlin begann, gab es in Wien große Sorge, die Sowjets könnten auch Wien blockieren. Wie ernst die Regierung und die Westmächte das nahmen und wie sehr sie sich für diesen Fall vorzubereiten suchten, das wurde mir erst bewusst, als wir diese Vorgänge für die Fernsehdokumentation »Österreich II« recherchierten. Amerikaner und Briten legten in Wien große Vorräte an und planten, zwei Flugplätze innerhalb der Stadt zu bauen, um auch Wien über eine Luftbrücke versorgen zu können.

      Aber damals glaubte ich, es noch besser zu wissen. Ich hatte Lenin gelesen und mir einen von ihm genannten Grundsatz gemerkt: Die Sowjetmacht (zu seiner Zeit noch ganz jung) dürfe in keinen Krieg gehen, dessen Ausgang ungewiss sei, denn einen verlorenen Krieg würde sie nicht überleben. Jetzt dachte ich, ein Krieg wegen Berlin wäre zumindest ein Krieg mit ungewissem Ausgang, wenn nicht von vornherein für die Sowjetunion schon verloren bei der atomaren Übermacht der USA. Und so schrieb ich für den »Murtaler Boten« einen Kommentar, in dem ich auf die Befürchtungen Bezug nahm, auch Wien könnte wie Berlin von den Sowjets blockiert werden. Aber in Wien, so meinte ich, wäre es für die Westmächte nicht möglich, ihre Sektoren aus der Luft zu versorgen. Der Flughafen der Amerikaner befand sich in Langenlebarn bei Tulln, also mitten in der Sowjetzone, und der Flughafen für die Briten und Franzosen war Schwechat, ebenfalls umgeben von der Sowjetzone. Würden die Sowjets Wien blockieren, so hätten die Westmächte nur die Wahl, den Rückzug anzutreten oder den militärischen Durchbruch zu versuchen. Dann berief ich mich auf Lenin: Die Sowjetmacht dürfe keinen Krieg riskieren, dessen Ausgang ungewiss sei – also werde es keine Blockade gegen Wien geben, hier sei das Kriegsrisiko viel größer, weil es die Alternative einer Luftbrücke nicht gebe. Der gewagte Gedanke eines jungen Journalisten. Trotz allem aber sehr beruhigend, keine Angst, es werde keine Blockade geben.

      Einige Tage später erhielt ich einen eingeschriebenen Brief. Die Staatsanwaltschaft habe gegen mich Klage eingebracht – wegen Volksverhetzung, und auch schon den ersten Verhandlungstag vor Gericht festgelegt. Jetzt musste ich zu meinem Chefredakteur gehen, um ihm zu beichten. Der Chefredakteur hieß Hans Kronhuber, war ein großartiger Mensch und Chef. Er verstand mein Motiv der Kollegenhilfe für Dichand und trug mir die Berichte für den »Murtaler Boten« nicht nach. Mehr noch, er sagte mir zu, den offensichtlichen Irrtum der Justizbehörde, ich hätte mit diesem Artikel Volksverhetzung betrieben, aufzuklären. Für mich, so meinte ich, war damit die Sache erledigt.

      Dann standen eines Morgens zwei Kriminalbeamte vor der Tür der Wohnung, in der ich zur Untermiete wohnte. Sie seien gekommen, um mich vorzuführen, denn ich hätte den für heute vorgesehenen Gerichtstermin nicht eingehalten. Sie nahmen mich mit und wir fuhren mit der Straßenbahn Nr. 13 zum Wiener Landesgericht. Vorher ließen mich die beiden Beamten noch telefonieren. Ich verständigte Kronhuber und auch meine künftige Frau Gertraude, hatte ich doch keine Ahnung, wie das nun weitergehen würde.

      In den Gerichtssaal geführt, stand ich gleich vor dem Staatsanwalt und dem Richter, die den Prozess schon eröffnet und auf mich gewartet hatten. Ehe ich mich versah, rief der Staatsanwalt dem Richter zu: »Herr Rat!« Der rief zurück: »Herr Staatsanwalt«, und der: »Ich beantrage eine Haftstrafe von 48 Stunden.« Der Richter: »Angeklagter, wollen Sie sich nicht entschuldigen?« Darauf ich: »Wofür, Herr Rat?« – »Für die Beleidigung des Gerichts.« Ja, ich hätte das Gericht beleidigt, weil ich so dastünde, wie ich dastand, nämlich, so begründete es der Richter, mit beiden Händen in den Taschen meines Mantels. Das wertete das Gericht als Beleidigung.

      Meine künftige Frau hatte inzwischen den Gerichtssaal betreten und im Zuschauerraum Platz genommen, in dem niemand anderer saß. Jetzt hörte ich ihre Stimme: »Das ist ja wie im Kindergarten!« Darauf der Richter: »Ruhe oder ich lasse den Gerichtssaal räumen!« Ich kam nun der Aufforderung des Richters nach und entschuldigte mich in aller Form. Der Staatsanwalt zog daraufhin den Antrag auf 48 Stunden Arrest zurück.

      Jetzt kam es zur eigentlichen Verhandlung. Dichand hatte meinem Kommentar den Titel gegeben: »Wird Wien Berlin?« Diesen Titel wertete die Staatsanwaltschaft als Volksverhetzung, denn er wäre ein Aufruf zu Angst und Panik. Das Fragezeichen nütze da gar nichts. Ich versuchte nun klarzumachen, dass ja der Inhalt dieses Artikels genau das Gegenteil aussage und zu dem Schluss führe, dass es in Wien keine Blockade geben werde. Widerspruch des Staatsanwalts: »Was vorn steht, zählt, nicht was hinten steht.«

      Ich versuchte nun, in einer Beweiskette darzulegen, dass ich recht hätte, was einige Zeit in Anspruch nahm. Währenddessen wurde dem Staatsanwalt ein Blatt Papier überbracht. Als ich am Ende meiner Ausführungen war und bei dieser Stimmung mit keinerlei Verständnis des Gerichts rechnete, wandte sich der Richter an den Staatsanwalt: »Herr Staatsanwalt, Ihr Antrag?« Der Staatsanwalt erhob sich: »Freispruch.« Der Richter war sichtlich erstaunt. Aber dann wird er sich wohl den richtigen Reim gemacht haben, den ich mir erst später machen konnte: Kronhubers Verbindungen hatten es geschafft, den Justizminister Josef Gerö davon zu überzeugen, dass er sich im Irrtum befand. Denn es war der Justizminister selbst, wie Kronhuber erfuhr, den irgendein Zensor (die Zeitungen wurden damals noch auf Gesetzesverletzungen überprüft) auf den Titel des Artikels »Wird Wien Berlin?« aufmerksam gemacht hatte. Darauf hätte der Minister ausgerufen: »Den Journalisten muss man’s endlich einmal zeigen, immer diese Spekulationen!« So kam es jetzt auf den Minister an, den Staatsanwalt zurückzurufen. Das hatte er getan.

      Weshalb diese Geschichte? Das Weisungsrecht des Ministers an den Staatsanwalt gibt es heute noch immer. Gegen den Willen der Richter und Staatsanwälte. Dem Justizminister wurde lediglich ein Beirat zur Seite gestellt, der ihn bei der Ausübung des Weisungsrechts beraten soll. Das letzte Wort aber hat der Minister, also doch die Politik.

      Traudi Ich finde die Frau fürs Leben

      Jetzt habe ich Traudi schon erwähnt, nun muss ich auch berichten, wie ich sie kennengelernt habe. Knapp bevor ich zur »Tageszeitung« kam. Da war ich noch in dem Verlagshaus der niederösterreichischen Zeitungen tätig, in der Wiener Beatrixgasse. Der Verlag bekam gerade einen weiteren Kunden. Eine neue Zeitung wurde gegründet, ein Montagsblatt, in dem von sämtlichen Sportereignissen des vorangegangenen Wochenendes berichtet werden sollte. Gründer und Chefredakteur war Maximilian Reich, vor dem Krieg einer der bekanntesten und populärsten Sportberichterstatter Wiens. Gleich nach dem Einmarsch der Nazitruppen 1938 wurde er verhaftet und im ersten Transport der Gestapo in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Nach Dachau folgte Buchenwald, dann seine Entlassung unter der Bedingung, Deutschland sofort zu verlassen. Seine Frau ging mit ihm, sie hatten Visa nach Großbritannien erhalten. Ihre beiden Töchter Gertraude und Henriette schafften es bald danach, mit dem berühmt gewordenen Kindertransport nach England nachzukommen. Dort blieben sie bis Kriegsende.

      Nun waren sie alle nach Wien zurückgekehrt. Maximilian Reich leitete die Sportredaktion der von den Briten herausgegebenen »Weltpresse«, gründete aber jetzt sein eigenes Sportblatt, den »Wiener Montag«. Was Reich auszeichnete, war sein großartiger Humor. Trotz des Altersunterschieds verstanden wir einander sofort, wir lachten viel gemeinsam. Da ich allein war, lud er mich zu einem Abendessen bei sich zu Hause ein. Als ich dort wegging, war ich tief beeindruckt. Was für eine fabelhafte Familie. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, waren sie humorvoll, freundlich und weltoffen geblieben. Solche Freunde sollte man haben, dachte ich.

      Einige Wochen später bestieg ich in der Mariahilferstraße die damals dort noch verkehrende Straßenbahn. Und kam auf der offenen Plattform vor der Tochter Reichs zu stehen, der Gertraude, die sie Traudi riefen. Erfreutes Wiedersehen. Und was sie jetzt so täte. Heute Abend ginge sie in den Musikverein – Haydns Oratorium »Die Jahreszeiten«. Ob ich Lust hätte mitzukommen, sie hätte noch eine Karte. Nach dem Konzert lud ich sie zu einem Abendessen ein, bescheiden in ein kleines Gasthaus.

      Ja, das war

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