Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
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Die alten Klöster mit ihren Kirchen und Kreuzgängen sind im Lauf der Jahrhunderte entweder ganz zerstört oder umgebaut worden. Die Abtei Prüm in der Eifel, die Karl Martells Schwester Bertrada zu Anfang des 8. Jahrhunderts stiftete, stammt in ihrer jetzigen Gestalt aus dem 18. Jahrhundert, Fulda ist vom Barock beherrscht, Sankt Gallen vom Rokoko, ebenso fast alle bayrischen und österreichischen Klöster, im sächsischen Korvey, wo der Mönch Widukind die Geschichten seines Volkes schrieb, muss man die romanischen Überbleibsel des alten Baus aufsuchen. Aber wenn man die Insel Reichenau betritt, dann wird man in die Zeit der Erstlinge des Glaubens entrückt. Hier ist alles fest umgrenzt, alles schlicht geformt, alles Symbol und Geheimnis. Die Häuser sind klein, selbst die Kirchen niedrig, und dennoch, mit ihren dicken Mauern, ihren flachen Decken und kurzen Säulen erscheinen sie gewaltig und hauchen überirdische Schauer aus. Die Göttergestalt Christi, die wir von den halbzerstörten Wandgemälden ablesen, wie sie Kranke heilt und Tote erweckt, steigt aus bodenlosen Abgründen hervor, Führer durch Blut und Tränen in ein Reich jenseits der Sterne. Erdrückend wäre die Heiligkeit dieser Räume, wenn sie nicht Natur hold umgäbe: um die Gemäuer singt die Welle, flüstert das Schilf, blüht und rauscht die Linde. Der Gott, der hier angebetet wird, liebt die Natur, sie ist seine Tochter und atmet dicht an seinem Herzen. An den Spalieren reifen Äpfel und Birnen, Pfirsiche und Trauben, nicht nur durch die Güter, die Schiffe ihr von weither zuführen, ist diese Aue reich, sondern durch das, was sie selbst hervorbringt. Hier sind alle Menschen, die hohen und die niederen, die Herren und die Bettler, Kinder der Erde, ein Volk von Bauern, genügsam in seinen Anforderungen an das Irdische, maßlos in seinen Ahnungen des Ewigen. Ihre Heimat ist eine Insel, umsaust von Stürmen, umbrandet von Wellen, aber hoch oben rollen die Sterne aus der Hand des Herrn als ein Band, das die Erde und ihre kleine Heimat mit dem Himmel verbindet – Adoremus Gloriosissimum.
Der Adel
Die Edda erzählt, dass Heimdall, einer der Asen, als er einst am Strande des Meeres sich erging, auf menschliche Wohnungen stieß, dort einkehrte und in drei Nächten mit drei verschiedenen Frauen Kinder zeugte. Der Sohn der geringsten wurde ein Sklave, der Sohn der mittelmäßig Begüterten wurde ein Bauer, der Sohn der vornehmen Frau ein Jarl oder Adaling. Der Sklave oder Thräl hatte schwarze Haare, krummen Rücken, gelbliche Haut, der Jarl, dessen Mutter weißer als reiner Schnee glänzte, war blondhaarig, hatte schöne Wangen und blitzende Augen. Wenn auch langdauernde schwere Arbeit und grobe Ernährung den Rücken beugen und die Haut härten kann, so möchte man doch aus dieser Sage schließen, dass die Sklaven der Germanen Angehörige unterworfener Völker waren, als Fremde niederer Art geringgeschätzt. Alle germanischen Stämme außer den Friesen unterschieden einen Adel, Freie von verschiedener Abstufung und Hörige, die gleichfalls in verschiedener Beziehung zu ihren Herren standen. Der Adel war durch das doppelte Wergeld der Freien ausgezeichnet, übrigens standen die Rechte der Freizügigkeit, Schildbürtigkeit, das Fehderecht, das Recht echtes Eigentum zu besitzen, das Recht nur von seinesgleichen gerichtet zu werden, dem freien Manne ebenso wie dem Adligen zu. Der Ursprung des Adels verliert sich im Dunkel der Anfänge; vielleicht entstand er dadurch, dass gewisse Familien, die sich im Kriege, im öffentlichen Leben und etwa auch durch Schönheit auszeichneten, mit den Göttern verknüpft gedacht wurden. Es ist auffallend, wie die Geschichtsschreiber die Schönheit der Personen, von denen sie erzählen, ausführlich beschreiben; besonders von den Kaisern wird der hohe Wuchs, die edle Haltung, das blonde Gelock, der feurige Blick gerühmt, augenscheinlich nicht nur als etwas dem Auge Wohlgefälliges, sondern auch als Wahrzeichen edler Geburt. Von Otto IV., der sich durch geistige Gaben nicht hervortat, wurde angenommen, dass er die fürstlichen Wähler durch seine schöne große Gestalt bestochen habe. Auch an den Mönchen wurde Schönheit als etwas Preiswürdiges hervorgehoben, und mit Staunen wurde vermerkt, wenn gerade im unansehnlichen oder entstellten Körper ein hoher Geist wohnte, wie das bei Hermannus Kontraktus, bei Walafried Strabo in so hohem Maße der Fall war. Noch jetzt finden sich in Niedersachsen hochgewachsene Menschen mit lichtem blondem Haar und eigentümlichem, Raum und Körper durchbohrendem Seemannsblick der blauen Augen; vielleicht sah so der sächsische Adel in wohlgelungenen Exemplaren aus. Von Adalhard, einem Vetter Karls des Großen, der eine sächsische Mutter hatte, sagten seine Schüler, dass sie vor dem furchtbaren Flammenblick seiner Augen gezittert hätten. Unter den Franken fiel die Eigenart des Mannes auf, der schweigsam und gern allein, unbeugsam fest in seinen Überzeugungen war und Zuverlässigkeit als höchste Tugend schätzte. Der Stolz war bei den Sachsen noch mehr ausgeprägt als bei den anderen deutschen Stämmen: sie waren stolz auf ihre Heimat, stolz auf ihre Geschichte, stolz auf ihre Abkunft. Das Christentum hat diesen Stolz nicht ausgetrieben. Die wegen ihrer Frömmigkeit einer Heiligen gleich geachtete Königin Mathilde berief in das Stift zu Quedlinburg, das sie gründete, nur Personen aus dem höchsten freien Stande, weil sie, wie die Annalen berichten, daran festhielt, dass eine Wohlgeborene selten und nur aus schweren Gründen entarte. Alle älteren Klöster wurden nur mit Adligen besetzt, die Äbte und Äbtissinnen gehörten oft dem Reichsfürstenstande an. Man wusste wohl, dass Petrus, ein Fischer, gesagt hatte: Bei Gott gilt kein Ansehen der Person, und bekannt waren die Worte, die Paulus an die Galater richtete: »Denn diejenigen, die in Christus getauft sind, haben Christus angezogen. Da ist nicht Jude oder Grieche, da ist nicht Sklave oder Freier, nicht Mann oder Frau, ihr seid alle eines in Jesus Christus«, aber man dachte nicht daran, diese Gesinnung zu verwirklichen.