Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
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Die Heranziehung der Bischöfe zu den Reichsgeschäften bewirkte Otto dadurch, dass er ihnen Grafschaftsrechte verlieh und durch Erteilung von Immunitäten Bischöfe und Äbte von den königlichen Gerichten unabhängig machte. Er leitete diese folgenreiche Umwandlung der Verfassung behutsam ein, seine Söhne setzten sie unbedenklicher fort. Bald kamen ganze Grafschaften an die Bischöfe, die dadurch zu weltlichen Fürsten wurden. Der Gewinn für den König war unübersehbar: er konnte nun auf die Anhänglichkeit einer Anzahl großer Herren rechnen, die ihn nicht nur durch ihren Rat und Einfluss, sondern auch durch das Aufgebot ihrer Mannschaft unterstützten. Allerdings wurde die kirchliche Tätigkeit der Bischöfe durch den neuen Aufgabenkreis, der ihnen erwuchs, wesentlich eingeschränkt. Predigt und Armenpflege, ursprünglich eine heilige Pflicht ihres Amtes, mussten den Pfarrern überlassen werden, die Bischöfe, die die Könige auf ihren Reisen und Heerzügen begleiteten, waren nicht selten jahrelang von ihren Diözesen abwesend. Indessen diese dem hohen Adel entstammenden Männer waren mit der Verweltlichung mehr als einverstanden. Nur ausnahmsweise war einer von der Wichtigkeit der geistlichen Seite seines Amtes so durchdrungen, dass er die Verflechtung in weltliche Geschäfte als ungehörig und belästigend empfand.
Otto I. hatte wie Karl der Große die Gabe nie ermüdender Tätigkeit. Er bedurfte nicht viel Schlafs, und da er im Schlafe sprach, meinte man, dass er selbst schlafend wache. Die Niederwerfung der Aufstände in den Herzogtümern, die Bekämpfung der Slawen und Ungarn nahmen die ersten Jahrzehnte seiner Regierung in Anspruch, dann konnte er endlich den Blick auf Italien richten. Gegen den Papst, der den Karolinger Arnulf krönte, hatte sich der römische Stadtadel erhoben; jetzt traten Umstände ein, die an diejenigen erinnern, welche einst Pipin und Karl mit Rom verknüpften.
Von zwei Seiten wurde die Gründung eines italienischen Königreiches erstrebt: von den langobardischen Teilfürsten, die sich unter den letzten Karolingern unabhängig gemacht hatten, und von dem römischen Stadtadel, den Orsini, Frangipani, den Creszentiern. Stolz auf ihre Abkunft, stolz auf ihre schicksalsvolle Stadt, erhoben sie den Anspruch auf Herrschaft, und das Mittel, durch das sie ihn zu verwirklichen hofften, war das Papsttum. Da sie es nicht vernichten konnten, dachten sie es zu benützen und setzten Päpste ein, die Werkzeuge ihres Willens waren. Damals war es Oktavian, der noch jugendliche Sohn des berühmten Alberich, der großartige römisch-nationale Pläne kühn vertreten hatte. Für diese Römer war der Papst nicht der Nachfolger und Stellvertreter Christi, sondern der Herr Roms und damit der Herr Italiens. Man möchte sich ausmalen, welche Folgen es gehabt hätte, wenn sie die römische Kirche säkularisiert und von dem weltlich gewordenen Kirchenstaat aus Italien erobert und geeinigt hätten. Allein die Wirklichkeit widersprach diesem Plan durchaus, machte ihn zu einem Abenteuer. Der Papstgedanke als Gedanke des christlichen Weltreiches war viel zu mächtig, als dass irgendein anderer ihn hätte überwinden können, geschweige denn der Gedanke Italiens als eines selbstständigen, nationalen Landes. Mehr tatsächliche Macht und Einfluss als die römischen Adelsfamilien hatte König Berengar; um sich gegen ihn halten zu können, musste Johann XII., so nannte sich Oktavian, eine kriegsgewaltige Hilfe suchen und wählte dazu den König des ostfränkischen Reiches. Für Otto war dieser Ruf des Papstes der Wink seines Gottes, der ihm die rechte Stunde anzeigte. Er konnte eingreifen, er konnte, indem er die von Berengar verfolgte Burgunderin Adelheid, die Witwe eines Prätendenten auf die italienische Königskrone, heiratete, seinen Ansprüchen auf Italien einen neuen hinzufügen. Den wesentlichen Anspruch gab ihm, dass er sich als Nachfolger Karls des Großen betrachtete. Weit entfernt, dass die Sachsen ihren ehemaligen Feind und Besieger gehasst hätten, er war ihr Vorbild geworden, der Quell ihrer Macht und ihrer Rechte, und nicht nur den Sachsen, sondern ebenso den Friesen, den Lothringern, den Bayern. Alle wollten von Karl abstammen, ihre Rechte, ihr Dasein von ihm ableiten.
Im Jahre 962 empfing Otto in Rom die Kaiserkrone. Es ist Überlieferung, dass ein junger Gefolgsmann Ottos, Graf Arnfried von Löwen, während er in St. Peter betete, das Schwert über seinem Haupte gehalten habe, um ihn vor Überfällen zu schützen. So war er von Hass und Feindschaft umgeben. Der römische Papst, der ihn gerufen hatte, bereute es bald, als er begriff, dass der sächsische Beschützer sein Herr werde. Nur mit Gewalt konnte der König seine Anerkennung durchsetzen. Es war nicht so, dass in Italien eine grundsätzliche Abneigung gegen die Deutschen bestanden hätte, denn ein Nationalbewusstsein hatte sich noch nicht bilden können, vielmehr begegneten sie zuweilen freudiger Erwartung, weil immer irgendein Übel gegenwärtig war, das man bei der Veränderung loszuwerden hoffte; aber bei längerer Anwesenheit der überwiegend rohen Krieger, bei der Schwierigkeit, sich zu verständigen, kam es leicht zu Streit und Handgreiflichkeiten und erwachte in den gebildeteren, aber kriegsmäßig schwächeren Italienern ein empfindliches Überlegenheitsgefühl.
Mit welchen Gefühlen der König in Rom weilte, davon ist uns nichts berichtet. Bewunderte er die reichgeschmückten Basiliken von St. Peter und St. Paul, stand er staunend vor den ungeheuren Ruinen des Altertums, in denen und über die sich die Adelsburgen mit ihren Türmen und Zinnen erhoben? Das Gleichgewicht seiner Seele wurde nicht dadurch erschüttert, er wird gedacht haben, wie später Bischof Thietmar von Merseburg, dass sein Sachsen ein blumenreicher Paradiesgarten und dass der Reichtum an Männern und Waffen mehr wert sei als Roms Marmorbilder, dass er stark und glücklich nur daheim sein könne, wo die Eichen seiner Wälder ihn umrauschten und wo die Gräber seiner hohen Ahnen ihn mit einer gesegneten Vergangenheit verbanden. Obwohl er die gelehrten Männer, denen er in Italien begegnete, zu schätzen wusste und an sich zu fesseln suchte, so flößten ihm doch die allgemeinen Verhältnisse keine Achtung ein: