Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
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Otto I. hatte das Schicksal genialer Herrscher, dass er sein Reich unzulänglichen Nachfolgern überlassen musste. Sein Sohn und sein Enkel waren Blüten am väterlichen Baume, nicht Stämme, die mit eigener Wurzel aus der Erde wuchsen. Otto II. war sympathisch durch sein feuriges Temperament und die Geistesgegenwart und Verwegenheit, mit der er nach der furchtbaren Niederlage, die die Sarazenen ihm zugefügt hatten, entfloh und sich rettete. Unter Italien verstand man damals die Halbinsel ohne Venedig, das tatsächlich unabhängig war, aber dem Namen nach zum byzantinischen Reich gehörte; und ohne den Süden, Apulien, Kalabrien und Sizilien, der teils griechisch war, teils von den Sarazenen erobert. Es konnte nicht anders sein, als dass die Kaiser auch das südliche Gebiet an sich zu bringen suchten, wodurch die Beziehungen zu Byzanz noch peinlicher wurden als sie ohnehin waren. Wie die Römer betrachteten auch die Griechen die Germanen als Barbaren und wiegten sich im Vorzug der älteren Kultur umso lieber, als sie die militärische Übermacht des ostfränkischen Reiches anerkennen mussten. Nur nach langen schwierigen Verhandlungen und infolge besonderer Umstände erlangte Otto I. für seinen Sohn die Hand einer griechischen Prinzessin. Theophano scheint dem Ruf feinerer Bildung der Griechen entsprochen zu haben; das machte sich auch durch den Einfluss geltend, den sie auf ihren Sohn ausübte, der schon von Natur mehr ein Sohn der Mutter als Erbe der Väter war. Karl der Große und Otto der Große vergaßen nie, dass ihre germanischen Völker ihnen die Mittel gaben, Italien zu beherrschen, der eine war Franke, der andere Sachse, und das wollten sie sein. Otto III. wollte den Schwerpunkt des Reiches nach Rom verlegen. Es schien ein richtiger, ein großer Gedanke zu sein: wenn Rom das Haupt der Welt ist, wenn Rom die Cäsarenkrone vergibt, muss der Kaiser in Rom residieren, müssen in Rom die Zügel gehalten werden, die die Welt lenken, darf das deutsche Reich nur eins neben den anderen Reichen sein, deren Haupt Rom ist. Tatsächlich war das neue Römische Weltreich kein Kreis, sondern eine Ellipse mit den zwei Brennpunkten Rom und Aachen; der universale Gedanke musste scheitern, wenn man ihn durch eine Universalmonarchie mit einem einzigen Mittelpunkte verwirklichen wollte. Zum Zeichen seines cäsaropapistischen Gedankens setzte Otto III. Verwandte und Freunde auf den päpstlichen Stuhl, seinen Vetter Brun, den ersten deutschen Papst, und seinen bewunderten Lehrer, Gerbert von Aurillac.
Die Deutschen empfanden den Wechsel in der Politik ihres Königs bitter. Der Urenkel des Sachsenherzogs Heinrich, der Enkel des großen Otto, die nicht einmal Latein verstanden, die sich mit Vorliebe in Quedlinburg aufhielten und in den Wäldern des Harzes jagten, war ein Fremder im Norden; den Römern aber blieb er fast noch fremder als sein Großvater. Der war tatkräftig, folgerichtig, ein Herrscher, der zu rechter Zeit zu gebieten, zu strafen, zu verzeihen wusste; Otto III. wollte zugleich die Welt beherrschen und ein Heiliger sein. Otto I. wurde geliebt und verehrt, aber zugleich gefürchtet. Einmal begaben sich die Mönche von Sankt Gallen mit ihrem neuerwählten Abt an den Hof nach Speyer, um sich vom König die Wahl bestätigen zu lassen. Obwohl sie das Recht der freien Abtswahl besaßen, kamen sie als Bittende und nicht ohne Sorge, denn sie wussten, dass ihr Erwählter dem Herrn nicht sonderlich genehm war. Sie ersuchten den jungen Otto um Fürsprache, der auch als liebenswürdiger Kronprinz sich für ihr Anliegen einzusetzen versprach, hinzufügend: »Gott, in dessen Hand die Herzen der Könige sind, möge für euch meinen Löwen mild und versöhnlich machen.« Der Bischof von Speyer sagte gelegentlich zum Kaiser: »Niemals waren Augen schärfer als die deinigen, mein Löwe.« Wie einen Löwen liebten die Deutschen sich ihre Herrscher vorzustellen: furchtbar, gefährlich, großmütig. Gegen das Ende seines Lebens besuchte Otto zusammen mit seinem Sohne das Kloster Sankt Gallen. Die auf beiden Seiten aufgereihten lobsingenden Mönche betrachteten scheu den alten König, wie er mächtig in ihrer Mitte stand und die großen Augen mit Herrscherblick langsam über sie hingleiten ließ. Otto III. ließ sich vom Bischof Adalbert von Prag, der seine Diözese verlassen hatte, weil er unter der Roheit und Widersetzlichkeit der Böhmen litt, ermahnen, sich des Kaisertums nicht zu überheben, sondern eingedenk zu sein, dass er Staub sei, und kniete weinend vor den Eremiten, die damals in Italien den Ruf der Heiligkeit genossen. Er gab sich abwechselnd schrankenlosen Herrschaftsansprüchen und haltloser Zerknirschung hin. »Euretwegen«, rief er den aufständischen Römern zu, »habe ich mein Vaterland und meine Angehörigen verlassen. Die Liebe zu euch ließ mich meine Sachsen und alle Deutschen, mein eigen Blut verschmähen. Euretwegen habe ich die Missgunst und den Hass aller auf mich geladen, da ich euch über alle stellte. Und für all das habt ihr euren Vater verworfen, meine Diener grausam ermordet und mich, den ihr doch nicht ausschließen könnt, ausgeschlossen!« Aber die Römer unterwarfen sich wohl einem Herrscher, der ihnen seine Kraft bewies, einen frommen Schwärmer und Barbaren, der sie mit weinerlichen Worten an sich fesseln wollte, verachteten sie.
Als Otto III. im Jahre 1000 in Aachen war, ließ er sich die Gruft Karls des Großen öffnen. Mit drei Begleitern drang er in das vom Geruch der Verwesung erfüllte Gewölbe ein und sah den toten Kaiser, so erzählt die Überlieferung, aufrecht, als lebe er, auf seinem Stuhle sitzen. Er hatte eine Krone auf dem Haupte, und die Nägel waren durch die Handschuhe, die er trug, hindurchgewachsen, ein grauenvolles Zeichen posthumer Lebendigkeit. Der Toten Grabesruhe zu stören war von der Kirche verboten und widerstrebte dem Gefühl des Volkes. Man glaubte, der edle Geist sei dem Königs Jüngling zürnend erschienen und habe ihm ein ruhmloses Ende geweissagt. Er starb zwei Jahre später zu seinem und des Reiches Glücke: denn die Unzufriedenheit der Deutschen wäre vermutlich bald zum Ausbruch gekommen und hätte ihn jeder Grundlage beraubt.
Von den deutschen