Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein
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Auch andere haben in ähnlicher Weise in Sackgassen und auf Bolzplätzen begonnen, oder, in sonnenverwöhnten Ländern wie in Brasilien, am Strand. Heute gibt es auch verregelte Varianten dieses „kleinen“ Fußballs. An der berühmten Copacabana in Rio de Janeiro wird der Beach Soccer in Ligen ausgetragen. In Südamerika und Südeuropa findet Futsal, eine von der FIFA geförderte Variante des mit Teams zu je fünf Spielern betriebenen Hallenfußballs, eine immer größere Verbreitung. Die brasilianischen Rororo-Stars – Ronaldo, Ronaldinho, Robinho – haben sich ihr hervorragendes balltechnisches Können allesamt bei diesem Kleinfeld-Fußball angeeignet. Wie beim Beach Soccer gibt es auch beim Futsal eine weltweite Wettbewerbsstruktur mit Ligen und Weltmeisterschaftsturnieren. Sogar eine seltsame Sportart wie der in Finnland sehr beliebte „Swamp Soccer“, bei dem sich die Fußballer durch knietiefe Schlammfelder kämpfen, kennt internationale Turniere.
All diese Fußball-Varianten sind in Deutschland bislang weitgehend unbemerkt geblieben. Schlammfußball ist sowieso eher ein Partygag, Sandstrände gibt es in Deutschland kaum, und Hallenfußball, die nordeuropäische Variante des meist auf Betonböden betriebenen Futsal, ist in Europa bis heute als Aktiven- wie als Zuschauersport nicht mehr als eine eher ungeliebte Ausweichmöglichkeit für den Winter. Einige wenige haben – so wie der ehemalige deutsche Rekordnationalspieler Herbert Erhard – das Fußballtennis als Ausgleichs- und Alterssport entdeckt, und im Training der Fußballvereine werden alle möglichen Spielvarianten ausprobiert. Grundsätzlich aber meint man, wenn man vom Fußball spricht, immer das „große“ Spiel. Bis jetzt jedenfalls ist kaum vorstellbar, dass irgendwo auf der Welt jemand nicht wüsste, welches Spiel bei einer „Fußball-Weltmeisterschaft“ betrieben wird.
Trotz einer mittlerweile sehr großen Auswahl an unterschiedlichen Fußballspielen hat nur eines den ganz großen Erfolg. In der Politik sind sich die Menschen uneinig und wählen Parteien unterschiedlicher Couleur, aber in ihrer Freizeit herrscht seltene Einigkeit in der Wahl. Fast alle, die vor dem Fernseher Fußball gucken oder öfter ins Stadion gehen, haben irgendwann auch mal selbst gegen einen Ball getreten. Die Liste der ehemaligen Kicker reicht vom einfachen Mann auf der Straße bis hin zum Regierungschef. Ex-Kanzler Gerhard Schröder pflügte beim Bezirksligisten TuS Talle als „Acker“ den Rasen um, Edmund Stoiber kickte ebenfalls im Verein, wenn auch nur, in Wolfratshausen, in der zweiten Mannschaft. Und Ex-Außenminister Joschka Fischer erreichte nachgerade Berühmtheit als Mittelstürmer einer Szene-Mannschaft, die regelmäßig im Frankfurter Ostpark kickte. Selbst als Minister in Berlin ließ er es sich nicht nehmen, ab und an nach Frankfurt zu fliegen, um mit alten Sportskameraden wie Daniel Cohn-Bendit den gepflegten Flachpass zu üben. Aufgegeben hat er die Passion erst, als es wegen der mitgebrachten Leibwächter, die ihren Schutzauftrag auch auf dem Platz erfüllen wollten, zu Irritationen gekommen war. Den Frankfurter Ostpark-Kickern ähnliche Vereinigungen gab es – und gibt es bis heute – in zahllosen anderen Städten Deutschlands. Statt in den als „konservativ“ verschrienen Vereinen kickten die Linken und Grünen in „Bunten Ligen“. Überall wurde in phantasievoll benannten Teams – mit internationalem („Hinter Mailand“, „Fellatio Rom“), traditionellem („Herbergers Jünger“), oder, in Nürnberg/Fürth, mit lokalem Hintergrund („Schießbefehl Stadtgrenze“) – stümperhaft gekickt, unbeholfen gefoult und lautstark geflucht.
Heute sind die meisten Protagonisten von damals wegen Altersschäden – Arthrose, lädierten Bandscheiben und Ähnlichem – vom aktiven Spielbetrieb zurückgetreten. Geblieben ist das Spiel und damit für alle Jüngeren und körperlich Unversehrten die Möglichkeit, im Verein oder in freier Vereinigung nach den Gesetzen der FIFA einem Ball hinterherzurennen. Die 17 Regeln des Fußball-Weltverbandes sind so einfach wie eh und je und gelten immer noch, trotz der zahlreichen neuerdings entstandenen Fußball-Varianten, als „Bibel“ des Fußballspiels. Sie definieren die formalen Voraussetzungen des Spiels (Anzahl der Spieler, Ausrüstung, Spielfeld, Spielzeit), legen die Entscheidungsfindung fest (Torerfolg) und regeln die Durchführungsbestimmungen bei Spielunterbrechungen. Sie schreiben lediglich den Rahmen des Spiels vor und haben – mit Ausnahme der Regel XI (Abseits) – keinen unmittelbaren Einfluss auf seinen Ablauf. Um nachvollziehen zu können, was auf einem Fußballplatz geschieht, ist es nicht nötig, diese Regeln auswendig zu lernen; es genügt, wenn man sich drei Dinge klarmacht: die Idee des Spiels, die Funktion der so genannten „Standardsituationen“ und die Rolle der Abseitsregel.
Ausgangspunkt ist die Grundidee eines frei fließenden Spiels zwischen zwei Mannschaften, die unter Verzicht auf den Gebrauch der Hände versuchen, den Ball im Tor des Gegners unterzubringen; durch die Standardsituationen wie Einwurf, Eckstoß und Freistoß muss lediglich sichergestellt werden, dass das Spiel nach Unterbrechungen auf die einfachst mögliche Weise fortgesetzt werden kann; die Abseitsregel schließlich – ein Spieler darf sich den Ball in der gegnerischen Hälfte nur dann zuspielen lassen, wenn sich im Augenblick des Abspiels zwischen ihm und dem gegnerischen Tor noch wenigstens zwei Spieler des Gegners befinden – zwingt die Akteure zu einem geordneten Verhalten auf dem Feld und sorgt gleichzeitig dafür, dass ein Torerfolg nur mit spielerischer Intelligenz erzielt werden kann.
Wie sich zeigt, sind die Regeln des Fußballspiels so einfach und leicht verständlich, dass noch der Dümmste sein Prinzip kapieren kann. „Fußball selbst ist ja geradezu primitiv: Tore verhüten, Tore schießen, das ist alles“, so der als Intellektueller verschriene Fußballtrainer Dettmar Cramer. Kompliziert scheint allein die Abseitsregel zu sein. Darum sei – in den Worten des Ex-Profis Stefan Lottermann – für etwaige Laien unter der Leserschaft noch etwas ausführlicher erläutert, warum sie für das geregelte Spiel auf genormtem Platz so bedeutsam ist: „Die Abseitsregel verhindert ein Spielverhalten analog zu Spielen wie zum Beispiel Handball und Basketball, die eine solche Bestimmung nicht kennen. In diesen Sportspielen läuft das Spielgeschehen vornehmlich vor dem Tor bzw. unter dem Korb ab, der Raum dazwischen ist ohne größere strategisch-taktische Bedeutung. Im Fußball ist es gerade der große Aktionsraum zwischen den beiden Toren, der eine erhebliche strategisch-taktische Dimension innehat. Durch die Abseitsregel ist es den Spielakteuren nicht möglich, sich unabhängig von der Position der Gegenspieler auf dem Spielfeld zu bewegen, zu verteilen und einen bestimmten Spielfeldabschnitt anzusteuern oder besetzt zu halten, außer man befindet sich in der eigenen Spielhälfte, in der die Abseitsstellung aufgehoben ist.“
Fußball ist ein simples Spiel. Die Abseitsregel ist zwar etwas komplexer, aber auch diese versteht auf der ganzen Welt jeder einigermaßen normal begabte Mensch. „Kehrte Robinson Crusoe zurück“, so schrieb der Rhetorik-Professor Walter Jens, „er könnte seinem Gefährten die englische Sprache am Beispiel der Abseitsregel erklären. Undenkbar, dass Freitag nicht wüsste, was ‚auf gleicher Höhe’ bedeutet!“ Wer selbst gespielt hat, versteht sie sowieso. Denn man weiß bei jedem Angriff, dass man nicht ungeordnet vorgehen kann. Viel hängt beim Fußball auch von spontanen Einfällen ab, aber durch die Abseitsregel kommt ein Moment hinein, das den Spielern eine Planung ihres Vorgehens zwingend abverlangt. Vielleicht verschafft dem Fußball ja bereits diese in den Regeln angelegte Dialektik von Plan und Spontaneität einen Großteil jener Faszination, die ihn zum einzigen auf der ganzen Welt gültigen Zeichensystem machte. Weder die genannten Abarten des Fußballs noch andere Ballsportarten haben auch nur ansatzweise jene Popularität erreicht, der sich bis heute der „richtige“ Fußball erfreut.
Daran, dass der Fußball unkompliziert ist und unter minimalsten Voraussetzungen gespielt werden kann, besteht demnach kein Zweifel. Ein ganz anderes Bild bieten da Rugby und American Football, die sich vom Fußball nicht nur durch einen wesentlich geringeren Anteil des Spiels mit dem Fuß, sondern vor allem durch die enorme Komplexität der Regeln und der damit zusammenhängenden voraussetzungsvollen Spielbedingungen unterscheiden. So nimmt in einem Regelbuch über Rugby allein die Beschreibung des Gedränges („scrummage“) vier Seiten ein, und zur Regelung des Abseits heißt es: „Wollte man alle Möglichkeiten aufzählen, die es gibt, um im Rugby abseits zu sein, bräuchte man gewiss mehr Seiten, als dieses Buch umfasst“ (was dann offensichtlich heißt: mehr als 120). Noch komplexer sind die Verhältnisse beim American Football, bei dem der Aktive so viele Regeln kennen und beachten muss wie bei keiner anderen Sportart. Dies allein