Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein
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In den 1980er Jahren setzte hierzulande zunehmend die Kritik ein, dass der Mangel an tauglichen deutschen Kickern in Bundesliga und Nationalteam vor allem auch auf das Aussterben der Straßenfußballer zurückzuführen sei. Da die jungen Spieler zu früh auf dem großen Spielfeld stromlinienförmig auf Kampf, Kondition und Schnelligkeit getrimmt würden, versäumten sie es, sich die notwendige Grundlagen-Technik anzueignen, die man nur auf der Straße lerne. „Als ich mit 13 Jahren zu einem Spitzenverein kam, hatte ich aus täglich sechs Stunden Straßenfußball alle Technik dieser Erde intus“, meinte der Erfolgstrainer Ernst Happel: „Heute kommen Spieler zum Training, die können nicht einmal einen Stuhl umspielen.“ Der Ruhrpott-Kicker Olaf Thon, Mitglied des WM-Kaders von 1990, gilt als letzter Vertreter des klassischen Straßenfußballers aus deutschen Landen. Deutschland wurde Weltmeister, den schönsten Fußball aber spielte ein Team von ehemaligen Straßenfußballern. Mitten in Douala, einer Stadt in Kamerun, gibt es, einer Verkehrsinsel gleich, einen kleinen, holprigen, dreiecksförmigen Bolzplatz, auf dem sechs gegen sechs gespielt wird. Diesem „Spielraum“ wurden magische Kräfte zugeschrieben: Mindestens fünf Spieler der Nationalmannschaft, die in Italien so begeisterte, sollen unter diesen außergewöhnlichen Umständen die Kunst des fintenreichen Dribblings erlernt haben.
Der Straßenfußball prägte auch das französisch-algerische Ballgenie Zidane. In La Castellane, dem Ghetto der maghrebinischen Einwandererfamilien in Marseille, übte er auf einem betonierten Platz all jene Tricks, die ihn später berühmt machen sollten. „Alles, was ich gelernt habe, stammt aus dieser Zeit“, schrieb er in seiner Autobiografie. Derjenige, der einen neuen Trick entdeckt hatte, musste ihn den anderen zeigen. So hatte sich auch der kleine und schmächtige „Yazid“, wie er damals gerufen wurde, viele Tricks ausgedacht und sich gegenüber den anderen eine Menge Respekt verschafft, wenn er zeigen konnte, dass er den Ball besser beherrschte als sie. Auch Turniere gab es auf dem Betonplatz, wie bei einer WM. Nach dem Triumph der Franzosen beim Turnier 1998 musste der frischgebackene Weltstar wieder daran denken: „Als ich den WM-Pokal hochhob, erinnerte ich mich an früher“, so Zidane, an die Trophäe von einst: „Es war nur eine Plastikflasche. Mit Alufolie umwickelt.“
Im selben Bestreben – nämlich aus erträumten Pokalen echte zu machen – sind in Deutschland nach der verkorksten Europameisterschaft 2004 Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff angetreten. Zu ihrem Erneuerungsprogramm, mit dem sie den deutschen Fußball wieder erstarken lassen wollen, gehört auch die Wiederbelebung des Straßenfußballs. Während der Bundestrainer als Präsident und Gründer der Stiftung Jugendfußball mit dem Projekt „streetfootballworld“ vor allem aus sozialen Gründen den „Fußball von unten“ unterstützen will, geht es dem Teammanager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei seiner Initiative „Bolzplätze für Deutschland“ auch um die konkrete balltechnische Förderung des deutschen Fußball-Nachwuchses. Damit die WM-Stars von morgen auch außerhalb von Schulen und Vereinen gute Trainingsmöglichkeiten erhalten, werden die verhinderten WM-Stars von gestern animiert, Bierkästen eines bekannten Herstellers zu kaufen, der einen Teil des Projektes finanziert. Je mehr Flaschen ausgetrunken werden, so das unausgesprochene Motto, desto weniger Flaschen auf dem Platz würde man später ertragen müssen.
Ob und wann dieses Bier-Hoffnungsprojekt Erfolg haben wird, muss man abwarten. Einige Fragezeichen sind freilich jetzt schon anzubringen. Vor rund 40 Jahren, als der Autor dieser Zeilen seine ersten Kickversuche machte, gab es noch genügend Straßenecken und Bolzplätze, wo er sich die Grundlagen des virtuosen Fußballspiels durchaus hätte erwerben können. Doch leider blieb das Koordinationsvermögen seiner Füße selbst unter – im straßenfußballerischen Sinne – paradiesischen Ausgangsbedingungen derart mager, dass er nicht einmal in seinen Traumphantasien wagte, Weltmeisterliches zu vollbringen. Spaß gemacht aber hat es trotzdem. Und vor allem: Es war immer möglich, mit Freunden gegen einen Ball zu treten. Gerade dieses Einfachheit des Zugangs war und ist auch heute noch – trotz des attestierten Mangels an Bolzplätzen – eines der Ur-Geheimnisse des Fußballspiels.
BÄLLE
„Das Geheimnis des Fußballs ist ja der Ball“, lautet ein berühmter Spruch von Uwe Seeler. Für ein spontanes Fußballspiel benötigt man aber im Prinzip gar keinen Ball. Schließlich kann man in jedem Schulhof beobachten, wie irgendein x-beliebiges Ding zu einem wilden und begeisterten Herumstoßen einlädt. Aber wenn man etwas zumindest Ballähnliches hat, macht das Spiel mehr Spaß. Der erste „Fußball“ war eine Schweineblase, die man mit Lungenkraft aufblies und an den Enden wie einen Luftballon verknotete. Mit einem solchen Spielgerät machte noch Klaus Theweleit, der bekannte Autor der „Männerphantasien“, in der bundesdeutschen Nachkriegszeit erste Kick-Erfahrungen. Mit Begeisterung beschrieb er ihre Eigenschaften: „Die Blase eiert beim Fliegen, taumelt und torkelt durch die Luft wie ein Luftballon. … Sie ist gerade schwer genug, ein paar Meter weit zu fliegen, wenn man kräftig gegen sie tritt und sie am günstigsten Punkt erwischt. Im Flug bremst sie sich durch geringes Gewicht und eine taumelnde Flugbahn. Sie scheitert am Luftwiderstand und an der eigenen Ballistik. Sie ist also ganz und gar kein Fußball, sie ist gerade so viel Ahnung eines Fußballs, dass sie an seiner statt benutzt werden kann – und gerade darin liegt das Wunderbare. Die Schweinsblase ebnet die Unterschiede zwischen den Spielern ein. Niemand kann einen satten Schuss mit ihr abgeben. Niemand kann elegant drei Gegenspieler umspielen und dann auflegen oder abziehen. Ihre geringe Gravitation und die Unberechenbarkeit ihrer Flugkurven lassen es nicht zu. Sie bleibt hängen, sie landet, wo sie will, beim Mitoder beim Gegenspieler. Sie gehorcht dem Fuß- oder Kopfballspiel der Kleinen genauso gut oder genauso wenig wie dem der Großen. Es ist ihren Launen überlassen, wer das Tor schießt.“
Der kleine Theweleit war aber dann doch froh, dass er sein Können irgendwann an einem zum Kicken weit besser geeigneten Plastikball erproben konnte. Aber auch der ist mit seinen unberechenbaren Flugeigenschaften nur ein mäßiger Ersatz für einen „richtigen“ Fußball. Dessen Geschichte begann, als Schuhmacher eine Lederhülle für die aufgeblasene Schweineblase ersannen. Da sie dabei die Form der Blase berücksichtigen mussten, waren die ersten Lederbälle pflaumenförmig, vielleicht runder als ein heutiger Rugby-Ball, aber sicher nicht kugelrund. Eine Revolution in der Ballgeschichte bedeutete daher die Erfindung des Lösungsmittels für Kautschuk durch den Engländer Mackintosh und die daraus sich ergebende Möglichkeit, Gummiblasen herzustellen. Seit 1862 wurden mit der „india rubber bladder“ runde Bälle produziert. Auch die waren allerdings noch nicht perfekt, da sie auf zwei Seiten einen „Knopf“ hatten, an dem die zusammentreffenden Lederstreifen vernäht wurden.
Im März 1866 wurde erstmals für das Spiel einer Auswahl aus Sheffield und London die Verwendung eines bestimmten Balles beschlossen: Es war der „Lillywhite’s No. 5“. Dieser Ball wurde dann zum Standardball beim 1871 eingeführten FA-Cup bestimmt. Gleichzeitig wurde eine einheitlichen Ballgröße festgelegt. Der Umfang solle nicht weniger als 27 und nicht mehr als 28 Inches betragen. Diese Festlegung entspricht dem bis heute üblichen Maß (der Umfang soll mindestens 68 und höchstens 70 Zentimeter betragen). Die Qualität der Bälle erfuhr eine weitere deutliche Verbesserung mit den „knopflosen“ Bällen, die seit den 1880er Jahren