Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein
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Selbst die vertrautesten und besten Schuhe verhelfen ihrem Träger natürlich nicht automatisch zu perfekter Balltechnik. Der Ball bleibt ein eigenwilliges Objekt, das sich nicht jedem fügt. Jeder, der einmal Fußball gespielt hat, weiß, wie schwer bereits das kleine Einmaleins des Spieles – das Stoppen und Kontrollieren des Balles – zu erlernen ist. Weil der Fußballspieler den Ball nicht fangen darf, hat er ihn nie vollständig unter Kontrolle und kann also nur versuchen, ihn unter Aufbietung aller körperlichen Geschicklichkeit zu bändigen. Statt den Ball zu greifen, muss er seine Eigengesetzlichkeit be-greifen. Er muss sich in den Ball gleichsam „hineinversetzen“ und sich seiner Bewegung anschmiegen. Bei der Ballannahme darf der Spieler die Eigenbewegung des Balles nicht brechen, sondern er muss sie wahrnehmen, antizipieren, aufnehmen und umleiten. Der Fuß muss dem hoch oder flach einfallenden Ball entgegengeführt und noch vor dem Moment des Auftreffens im richtigen Tempo zurückgenommen werden, so dass ihm die Wucht genommen wird. Nur dann, wenn der Spieler auf diese Weise der Bewegung des Balles entgegenkommt und sie gleichsam verlängert, kann das „runde Leder“ für einen Augenblick so gezähmt werden, dass es spielbereit vor den Füßen liegen bleibt.
Erkennt ein Spieler den Ball nicht als einen Spielpartner an, der viel Gefühl verlangt, so verweigert der sich im spröden Zurückprallen. Schlechten Spielern springt er immer wieder vom Fuß, guten Spielern hingegen gelingt es sogar, den Ball mit der sanft mitschwingenden Oberseite des Fußes wie in einem Daunenkissen aufzufangen. So lässt sich bereits bei der Ballannahme erkennen, wer mit dem Ball umgehen kann und wer mit ihm auf Kriegsfuß steht. Während Spieler wie Maradona und Pelé den Ball annehmen und führen können, als ob sie Magneten an den Füßen hätten, gibt es andere, „bei denen man weinen möchte“, so der Meistertrainer Max Merkel, weil sie „sich den Ball mit ‚Uhu‘ an die Füße kleben müssten, um ihn nicht zu verlieren.“ Doch selbst den Allergrößten unterlaufen immer wieder scheinbar anfänger-hafte Fehler – was nur beweist, dass die Fußbeherrschung von Natur aus weit schwieriger ist als das Fangen und Werfen mit der Hand.
Wenn ein argentinischer Journalist in eigenartiger Ausdrucksweise von Maradona behauptete, dass er „Hände an den Füßen“ habe, so traf er das Wesentliche nicht. Denn beim Fußball geht es nicht darum, aus dem Fuß eine Hand zu machen, sondern die speziellen Möglichkeiten des Fußes gegenüber der Hand voll zu entfalten. Der Fuß ist ein recht kompliziertes, aber außerordentlich bewegliches und elastisches Gebilde, das man zu weit mehr als nur zur Fortbewegung nutzen kann.
Während die spezifischen Fähigkeiten der Hand durch die Finger und nicht durch die Handwurzel gegeben sind, liegen die Verhältnisse beim Fuß genau umgekehrt. Die Zehen können zwar auch gestreckt und gebeugt werden, doch die Beweglichkeit des Fußes ist vor allem durch die in der Fußwurzel liegenden Sprunggelenke gewährleistet. Das obere Sprunggelenk verbindet das über dem Fersenbein liegende Sprungbein mit den beiden Unterschenkelknochen. Die unteren Teile von Schien-und Wadenbein, die durch eine feste Bandverbindung zusammengefügte Knöchelgabel, umklammert zangenartig die Gelenkflächen des Sprungbeins. Diese Art der Zusammenführung und die kräftig ausgebildeten Seitenbänder bedingen, dass im oberen Sprunggelenk nur Beuge- und Streckbewegungen um eine querverlaufende Achse vorgenommen werden können (Heben und Senken der Fußspitze). Sprungbein, Fersenbein und Kahnbein begrenzen mit ihren Gelenkflächen das untere Sprunggelenk. Dort erfolgen die Bewegungen des Fußes um eine schräg verlaufende Achse (Heben und Senken der inneren und äußeren Fußkante). Auf der Kombination dieser beiden Bewegungsmöglichkeiten beruhen alle Kunstfertigkeiten beim Fußballspiel.
Die Hand ist vor allem zum Greifen gemacht, und deswegen wird der Ball bei dem Spiel, das nach ihr benannt ist, vor allem gefangen und, aus dem festen Griff heraus, geworfen. Natürlich kann man den Ball mit der Hand auch noch auf andere Weise traktieren – etwa fausten, oder, wie beim Volleyball, mit der Handkante schmettern, mit den Fingerspitzen servieren oder mit der Handinnenfläche retournieren –, dennoch hat der hochspezialisierte Fuß, was die Möglichkeiten der Ballbehandlung anbelangt, eine noch größere Variationsbreite: Der Ball kann mit allen vier Seiten (Innen, Außen, Spitze, Ferse) sowie mit der Oberseite und der Sohle des Fußes gespielt werden. Die wichtigsten Stoßtechniken des Fußballs beruhen dabei auf der erstaunlichen Vielseitigkeit der Oberseite. Sie ist keine einfache, glatte Fläche, sondern eine dreigeteilte „Abschussrampe“, die das Wunder des gezielten und scharfen Stoßens erst ermöglicht: Die Stöße mit dem Vollspann, dem Außenspann (Außenrist) und dem Innenspann (Innenrist) zählen zu den Fertigkeiten, die jeder Fußwerker beherrschen muss. Zieht man von diesen Möglichkeiten die technisch falschen Stöße ab (mit der Fußspitze und der schmalen Außenkante), so stehen dem Fußballer neben zwei Spezialtechniken (Fersenkick und Sohlenzieher) allein vier Varianten zur Verfügung, um den Ball zu stoßen. Diese Vielseitigkeit des Fußes ermöglicht es, den Ball sanft zu schieben, wie am Lineal gezogen geradeaus zu schießen, ihn „in die Luft zu schaufeln“, so dass er die Kurve einer Bogenlampe beschreibt, ihn mit Effet nach außen zu zirkeln, oder ihn so nach innen anzuschneiden, dass er eine elliptische Flugbahn in die Luft zeichnet.
Die durch die Anatomie des Fußes ermöglichten verschiedenen Techniken der Ballbehandlung erfordern ein feines Körpergefühl und sind selbst für Begabte nur in langjähriger Übung zu erlernen. Sehr wenige Spieler erlangen in der Ballbeherrschung eine derartige Sicherheit, dass sie ihn mit traumwandlerischer Sicherheit an die gewünschte Position adressieren können. Die einfachste Übung, die auf Anhieb gelingt, ist es, den Ball „irgendwie“ mit dem Fuß zu kicken. Schwieriger ist es schon, in einem runden Bewegungsablauf einen zielsicheren Stoß mit der Innenseite auszuführen. Die Aufgabe, einen scharfen und gezielten Vollspannstoß auszuführen, stellt schon manche Profis vor erhöhte Probleme – was kein Wunder ist: Denn das Ansinnen, das Zentrum des Balles bei nach unten gedrücktem Fuß genau und wuchtig zu treffen, ohne dabei ein Loch in den Rasen zu schlagen, ist wahrlich nicht einfach in die Tat umzusetzen. Nur wenigen gelingt es, in dieser Kunst zu promovieren wie der Frankfurter Bernd Nickel, dem in den 1970er Jahren von den Bewunderern seines Schusses der fußballerische Grad eines „Dr. Hammer“ verliehen wurde. Heute gilt der Brasilianer Roberto Carlos, der Mann mit den dicksten Oberschenkeln im modernen Fußball, als der Mann mit dem härtesten Schuss. Wie schnell der ist, steht nicht ganz sicher fest; gemessen wurden angeblich bis zu 170 km/h. Der als „Bomber“ besungene Gerd Müller hingegen glänzte weniger durch einen harten Schuss denn durch seine Fähigkeit, sich im Strafraum durchzuwühlen und dort herrenlos umhertrudelnde Bälle per „Abstauber“ aus kurzer Distanz zu verwerten.
Auch für die anderen Stoßarten entwickelten sich Spezialisten: die „Bananenflanken“, Resultat der Fähigkeit, den Ball bei leicht nach oben gezogener Fußspitze mit dem Innenspann gezielt außerhalb seines Zentrums zu treffen, waren das Markenzeichen von Manfred Kaltz und wurden später von Könnern wie dem Portugiesen Figo und Englands Superstar David Beckham kopiert; der Brasilianer Didi war berühmt für seinen Kunstschuss „fohla seca“ (welkes Blatt), der auf einer „S“-Linie durch die Luft fliegt und kaum zu berechnen ist; der gefühlvolle Schlenzer mit dem Außenspann, der sich in weitem Bogen um den Gegner herumdreht, war ein „Schmankerl“ im Repertoire von Franz Beckenbauer.
Vor allem bei den so genannten Standardsituationen waren und sind solche Spezialisten des „Anschneidens“ gefragt. Einer der ersten war der Uruguayer Hector Scarone, der bei den Olympischen Spielen 1924 gleich zweimal vom Eckpunkt aus ins Tor traf. Da die Treffer nicht zählten, stellte Uruguay einen Antrag auf Regeländerung, dem am 1. Oktober prompt stattgegeben wurde. Die Quittung: Am Tag darauf verlor Uruguay in einem Länderspiel gegen Argentinien mit 1:2; der Argentinier Cesare Onzari verwandelte dabei in der 10. Minute einen Eckstoß direkt. In Südamerika heißt daher ein direkt verwandelter Eckball bis heute „Olympisches Tor“.
Mario Basler hat später keinen eigenen