Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein

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Geheimnis Fussball - Christoph Bausenwein

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bleibt. Im Gegensatz dazu sind Volley- und Basketbälle zwar extrem sprungfreudig, können aber – die einen, weil sie zu leicht, die anderen, weil sie nicht stabil genug sind – kein hohes Tempo über weite Entfernungen entwickeln. Erst dem Fußball gelingt, obwohl er in keinem der genannten Aspekte Höchstwerte erreicht, eine Mischung aus Größe, Härte und Weichheit, in der sich die verschiedenen Eigenschaften anderer Bälle vereinigen. Und genau das verleiht ihm, wie gleich zu zeigen sein wird, eine überraschende Vielfältigkeit des Spielverhaltens.

      Fußbälle können zwar ziemlich unterschiedlich sein – das zeigte die obige kurze Ballgeschichte –, aber das Grundlegende, nämlich rollen, können sie alle. Das Rollen ist die spezifische Differenz des Fußballs zu allen anderen, in Mannschaftssportarten verwendeten Spielgeräten. Während der Ball bei den mit der Hand geführten Sportarten von Spieler zu Spieler geworfen oder geschlagen wird, bleibt er nach einem vom Fuß erteilen Rollkommando zuerst einmal am Boden. Dort kann er dann, abhängig vom je verwendeten Material wie von der Beschaffenheit des Untergrunds, eine ziemliche Eigenwilligkeit entwickeln, die zu bändigen alle Spieler immer wieder vor größte Schwierigkeiten stellt.

      Fußbällen werden aber auch noch ganz andere Aufgaben abgefordert: Sie müssen nicht nur rollen, sondern auch weit fliegen, springen, abprallen und durch die Luft zischen können. Im Gegensatz zu anderen Bällen braucht der Fußball nicht in irgendeiner einzelnen Funktion perfekt zu sein; seine wichtigste Eigenschaft besteht vielmehr darin, möglichst viele Eigenschaften in sich zu vereinigen. Der Fußballer benötigt einen Ball, der für alle Situationen taugt. Gleich, ob er ihn nur zart antupft oder locker über den Gegner lupft, ob er ihn weit in den Raum passt oder hoch in den Strafraum zieht, ob er ihn weich ins Tor schiebt oder hart in die Maschen drischt, ob er ihn sanft streichelt oder grob gegen ihn tritt – es ist immer derselbe Ball, der all das mit sich machen lassen muss. Um all diese vielfältigen Funktionen erfüllen zu können, darf sich der Ball weder zu schwerfällig noch zu springfreudig zeigen. Es ist ein Spielgerät vonnöten, das in Größe und Schwere sowie in Härte und Nachgiebigkeit die rechte Mitte findet. Vermutlich lässt sich viel von der Faszination des Fußballspiels durch die Vielseitigkeit des Balles erklären. Der Reichtum jedenfalls, den die Fußballersprache zur Beschreibung der Eigenbewegungen des Balles bereithält, ist unvergleichlich. Wo sonst spricht man davon, dass der Ball „wie ein Hase“ über den Acker hoppelt oder „wie auf einem Strich gezogen“ in die Maschen rauscht, plötzlich abdriftet und an die Latte knallt? Dass er als „Flatterball“ den Torwart verwirrt, dass er ins Netz trudelt oder eine Weile auf der Linie tanzt, um dann im letzten Moment doch noch am Tor vorbeizukullern?

      Die Analyse des Fußballes zeigt, dass ihm im Vergleich zu anderen Bällen eine besonders ausgeprägte „Lebendigkeit“ zugeschrieben wird. Nur beim Fußball kann neben den Spielern auch der Ball selbst „laufen“, hat er „die beste Kondition“ und ist er widerborstig wie ein verzogenes Kind. Vor allem in Zeiten, als die per Hand gefertigten Bälle sich noch durch eine hohe Individualität auszeichneten und man bestrebt war, möglichst mit dem eigenen, gewohnten Ball zu spielen, hatten die Fußballer ein besonders intimes Verhältnis zu ihrem Spielgerät. So geht vom großen Fußballweisen Sepp Herberger die Mär, dass er schon am Klang eines aufspringenden Balles gehört habe, ob er „gut“ war oder „schlecht“: „Klang es dumpf und hohl, dann schüttelte er den Kopf: Der hat keine Seele, der ist leblos. Wie Recht er hatte“, so sein Musterschüler Fritz Walter, „spürten wir später. Der Ball spielte nicht mit, er sang nicht, er ließ sich nicht streicheln, er war nicht Kamerad und Freund des Spielers, sondern ein Fremder.“

      Zu Lederball-Zeiten bestanden viele Teams darauf, nur mit ihrem gewohnten Ball zu spielen. So wurde etwa der 1. FC Nürnberg während einer Spanien-Tournee im Jahr 1923 von den Verantwortlichen des FC Irun „gezwungen“, mit einem ungewohnt großen „spanischen“ Ball zu spielen. Umgekehrt erging es den Engländern 1947 in Portugal. Da nämlich bestanden die Gastgeber auf einem kleinen Ball (Größe Nr. 4). Das Spiel begann dann mit einer normalen Nr. 5, doch nach dem ersten Tor wurde er durch einen kleineren ersetzt. Dass die Ballgröße allein nicht entscheidend ist, zeigen die Ergebnisse der Spiele: Nürnberg gewann 1923 mit 5:0, die Engländer siegten 1947 mit 10:0. Salomonisch war übrigens die Lösung beim WM-Finale 1930: Weil man sich vorher nicht hatte einigen können, tauschte man in der Halbzeit das Spielgerät. Nachdem die Argentinier mit „ihrem“ Ball bis zum Pausenpfiff mit 2:1 in Führung gegangen waren, hatten sie dann anschließend gegen den Ball der Uruguayer keine Chance mehr und verloren am Ende mit 2:4.

      Selbst in Zeiten industriell gefertigter Normbälle hat noch so mancher Fußballer ein intensives Verhältnis zu seinem runden Liebling. So bekannte Günter Netzer, langhaariger „Rebell am Ball“ und Frauenschwarm, „ein sinnliches Verhältnis zu meinem Objekt“, und der argentinische Superstar Diego Maradona erkannte darin gar Frau und Mutter zugleich. Folgerichtig beschrieb Berti Vogts einmal in einer seiner gelungensten Formulierungen ein Jahrhundertspiel als eines, „in dem der Ball viele Liebhaber hatte“. Trotz Bertis Gruppensex-Phantasie muss der Preis für die größte ballphilosophische Tiefe dem fiktiven Mittelstürmer Bill Week zuerkannt werden. Der Held in Melchior Vischers Theaterstück „Fußballspieler und Indianer“ (1924) postulierte die totale Anverwandlung des Kickers an sein Spielgerät: „Wisst ihr, was das heißt: Fußball spielen? – Die eigene Seele wird zur Fußballseele, das Herz und die Haut zum Leder.“

      So viel Ballyhoo braucht der durchschnittliche Feld-, Wald- und Wiesenkicker nicht zu treiben. Dennoch: Auch für ihn gilt, dass er den Ball nicht „knechten“ darf, sondern als Spielpartner ernst nehmen muss. Beim Handball mag es genügen, einfach nur den Ball zu spielen, der Fußballer jedoch muss mit dem Ball spielen. Er gehorcht nur dem, der sich auf seine Eigenbewegung einlässt, der bereit ist, seine „Seele“ nicht zu brechen, und der in der Lage ist, sie aufzufangen und zu bewahren.

      Vielleicht liegt ja ein Geheimnis des Fußballs darin, dass er, wie es der Schriftsteller Jean Giraudoux ausdrückt, „die maximale Wirkung des Balles zur Geltung bringt“. Alles Runde und so natürlich auch der Ball gilt als Symbol für den unberechenbaren Zufall, und vielleicht liegt genau hierin die „gewisse philosophische Tiefe“, die dem berühmten Satz von Sepp Herberger zugesprochen wurde. „Der Ball ist rund“ – das heißt, dass der Ball oft nicht das macht, was der Spieler will, sondern das, was er selbst will. Nicht zuletzt deswegen – dies zur philosophischen Vertiefung – ist im Fußball „alles möglich“.

      FÜSSE

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      Im Gegensatz zu anderen Sportarten, die ebenfalls „Football“ genannt werden, basiert der Ablauf des Spiels beim Fußball tatsächlich auf dem Gebrauch des Fußes. Während beim Fußball lediglich die Sonderposition des Torwarts und der beidhändig auszuführende Einwurf die Ausnahmen des Handspiels bilden, ist beim Rugby und American Football das Fußspiel so selten, dass man beide eher als Handballspiele bezeichnen müsste. Weil er das einzige Spiel ist, in dem konsequent auf den Gebrauch der Hände verzichtet wird, sind Fußballspieler wohl auch die einzigen Sportler, die ihr Spielgerät wie einen „beseelten“ Gegenstand behandeln. Fangende Hände erkennen den Ball nicht als Mitspieler an; sie um-fangen ihn, und dadurch kontrollieren und disziplinieren sie ihn. Nie entkommt der hin- und hergeworfene Ball dem Kommando der Hände, kaum weggeschleudert, wird jede gerade entstandene Eigendynamik schon wieder im groben Griff abgewürgt. Der Ball, der nur im Flug für kurze Zeit dem Gefangen-Sein entkommt, bleibt wie tot, spielt nicht mit. Ganz anders verhält es sich im Fußball. Weil der Ball mit dem Fuß nicht in Besitz genommen werden kann, bleibt er immer frei. Weil die Hand aus dem Spiel ist, kann der Ball selbst ins Spiel kommen und seinerseits mit den Menschen spielen.

      Aus der Idee, den Menschen im Spiel seiner natürlichen Greifwerkzeuge zu berauben, ließe sich eine komplette Fußphilosophie entwickeln. In Anlehnung an Martin Heideggers Studie „Sein und Zeit“ könnte man zum Beispiel sagen, dass der Ball, solange er nur mit der Hand gespielt wird, „zuhandenes Zeug“ bleibt. Das heißt, er wird behandelt wie

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