Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9. Inger Gammelgaard Madsen
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Siljes Herz pochte bis zum Hals. Das war ganz sicher ihr Vater, den sie Sämay nannten. Sie hatte ihn gefunden.
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Es tat in den Augen weh, als sie versuchte, sie zu öffnen. Als ob ein Daumen tief in jedes Lid und hinter die Augäpfel gedrückt würde, um sie herauszupressen.
Der Schlaf hatte Anne Larsen noch nicht ganz losgelassen. Sie steckte immer noch im Traum fest, der sich zu einem wahren Albtraum entwickelt hatte, wo sie um ihr Leben rannte, barfuß über eine Straße aus schwarzem, rauem Asphalt, voller Scherben von zerbrochenen Flaschen. Langsam gelang es ihr, die Augen zu öffnen, die sofort von der Sonne geblendet wurden, die durch einen Spalt im Vorhang hereinfiel. Ein weiterer Stich jagte durch ihren Kopf und sie schloss die Augen sofort wieder. Sie murmelte und schmatzte ein wenig. Der Mund war so trocken, dass die Zunge am Gaumen festklebte. Der Schweiß lief zwischen den Brüsten zum Bauch hinunter. Sie lag auf einem ihrer Arme, er war ganz gefühllos. Der andere ruhte auf etwas Warmem und Weichem. Der Tag drängte sich auf. Oder eher der Tag danach. Die Hirnzellen begannen zu funktionieren, als ob sie eine nach der anderen angingen. Sie hatten Pfingstsamstag gefeiert und waren sich einig gewesen, dass die Pfingstsonne Cancan tanzen sollte. Waren von Kneipe zu Kneipe und von Bar zu Bar gezogen. Sie erinnerte sich an nicht viel ab dem Zeitpunkt, als sie von irgendwo ein Taxi nach Hause genommen hatten.
Ein Murmeln, das nicht ihr eigenes war, ertönte neben ihr. Sie öffnete die Augen erneut, kam jäh aus der Rekonstruktion der Nacht und hörte ihr eigenes Japsen, als sie ihre Hand von der nackten, runden Brust wegzog. Es wäre nicht so seltsam gewesen, wenn sie einen fremden Mann aus der Stadt mit nach Hause gebracht hätte, aber eine Frau! Die andere im Bett drehte ihr im Schlaf das Gesicht zu und murmelte wieder. Es war Sabina. Aber wieso lag sie hier fast nackt in ihrem Bett? Anne erinnerte sich an eine warme und weiche Zunge, nasse Küsse und Hände unter der Bluse, aber war das nicht irgendein Typ irgendwo auf einer Tanzfläche gewesen? Sie hatte viel ausprobiert, aber das nicht. Nicht mit einer Frau, obwohl Esben es oft vorgeschlagen hatte. Damals, als er ein Teil ihres Sexlebens war.
Sie schwang die Beine über die Bettkante, setzte sich auf und griff sich an den Kopf, der noch mehr pochte. Mit der Hand, die nicht erwachend kribbelte, kramte sie die Zigarettenschachtel aus dem Nachttisch, schüttelte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Inhalierte tief ein. Den Rauch ließ sie zusammen mit einem tiefen Seufzer des Wohlbefindens aus dem offenen Mund weichen. Diese Zigarette brauchte sie, sie nahm auch den bitteren Geschmack im Mund in Kauf. Nach einem weiteren Zug betrachtete sie Sabina. Sie schlief immer noch. Das dunkle Goth-Make-up war in ihrem ganzen Gesicht verwischt wie Aquarellfarben auf nassem Papier. Es hatte einen Abdruck auf dem weißen Kopfkissenbezug hinterlassen. Anne lächelte. Sie freute sich für ihre Stiefschwester. Kurz vor Pfingsten hatte sie die Nachricht von der Journalistenhochschule wegen ihrer Aufnahmeprüfung bekommen und war Ende Mai zum Gespräch eingeladen. Es sprach vieles dafür, dass sie das Glück hatte, angenommen zu werden. Sie würde vielleicht die Journalistenausbildung bekommen, die Anne selbst nie erhalten hatte, weil sie einfach nicht still auf einer Schulbank sitzen konnte und Schulen immer gehasst hatte. Normalerweise lebte Sabina auf Nørrebro in Kopenhagen. Wegen des Gesprächs bei der Journalistenhochschule wohnte sie zurzeit bei einem ihrer Green-peace-Facebook-Freunde. Anne hatte gesagt, dass sie in ihrer kleinen Wohnung keinen Platz habe, was stimmte, also warum war Sabina hier? In Wirklichkeit war Anne nicht begeistert über den Besuch gewesen, als Sabina in der Woche vor Pfingsten an ihrer Tür geklingelt hatte. Sie hatte Angst vor dem Gerede ihrer Stiefschwester darüber, ihren Vater zu töten. Hauptsächlich weil sie sich selbst versucht fühlte, es zu tun und drauf und dran gewesen war, bei einem von Sabinas mörderischen Plänen mitzumachen. Ihr Stiefvater war letztes Jahr auf Bewährung entlassen worden, hatte aber trotz allem nicht versucht, sie aufzusuchen. Auch Sabina nicht. Keine von ihnen wusste, wo er sich aufhielt. Sie fürchtete ihn nicht länger. Nicht auf die Art. Sie war erwachsen geworden und hatte mehr Selbstvertrauen bekommen. Er konnte sie nicht länger knechten. Meinte sie. Sabina dagegen fiele es weniger leicht, sich zu wehren. Sie war nur ein großes Kind. Anne hatte Lust, ihr über die Wange zu streichen und sie in dem unruhigen Schlaf zu beruhigen. Sie zuckte und murmelte etwas Unverständliches mit zusammengezogenen Brauen, als wäre sie wütend. Oder verängstigt. Vielleicht träumte sie von ihm. Das ungewohnte Gefühl von Zärtlichkeit für dieses Mädchen erschreckte sie. Sie war trotz allem nicht ihre biologische Schwester, sondern eine Fremde, mit der sie am liebsten nichts zu tun haben wollte. Ein Gespenst aus der Vergangenheit, an der sie arbeitete, sie zu vergessen. Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, stand auf und taumelte ins Bad. Die eine Hand stützend am Kopf, die andere am Türrahmen. So stand sie ein bisschen, bis der Arm nicht mehr kribbelte, und plante die nächsten Schritte. Zuerst eine Handvoll Kopfschmerztabletten, dann eine kalte Dusche, dann war sie garantiert wieder klar.
Als sie den Duschhahn zudrehte, hörte sie schwach die Melodie ihres Handys, die versuchte, durch die geschlossene Badezimmertür zu dringen. Hastig riss sie das Handtuch von der Handtuchstange und bedeckte ihren nassen Körper, als die Tür aufsprang und Sabina unbekleidet eintrat und ihr das Handy reichte.
„Das ist eine Fotografin“, sagte sie, wegen der Kippe im Mundwinkel nuschelnd.
„Was zum Teufel bildest du dir ein, einfach so reinzuplatzen?!“
„Ach, man hat wohl Komplexe“, meinte Sabina mit einem kleinen, gekräuselten Lächeln. „Aber ganz ruhig, Ann. Du bist wie alle anderen Mädchen gebaut. Jetzt nimm das Telefon.“
Anne schnappte es ihr grimmig aus der Hand.
„Du sollst auch verdammt noch mal nicht an mein Telefon gehen. Außerdem heiße ich Anne! Mach die Tür zu!“, rief sie ihr nach. Sie hasste es, Ann genannt zu werden.
Es war Ninna, die anrief und kurz mitteilte, dass sie zu einem Auftrag sollten und es eilte.
„Jetzt? Was ist mit Jytte? Kann die sich nicht darum kümmern?“
„Du erinnerst dich wohl, dass sie Urlaub in Dubai macht. Wann kann ich dich abholen?“
„Ähm, gib mir eine Viertelstunde, dann stehe ich unten an der Straße.“
„Musst du jetzt zur Arbeit?“, fragte Sabina neugierig, als Anne aus dem Bad kam, das Duschtuch um sich gewickelt. Komplexe? Vielleicht ein bisschen. Sabina, die diese Art Hemmungen offenbar selbst nicht kannte, lag auf dem Bett und rauchte eine neue Zigarette. Immerhin hatte sie inzwischen einen Slip angezogen. Das schwarze T-Shirt mit Spitze auf den Schultern und einem von roten Rosen umgebenen grinsenden grauen Schädel vorne drauf, das sie gestern Abend angehabt hatte, lag neben dem Bett auf dem Boden. Eigentlich war es sehr hübsch. Sabina hatte dazu einen superkurzen, schwarzen Rock mit Unmengen von Nieten und Tüll getragen, der nur spärlich die Oberschenkel in grobmaschigen Netzstrumpfhosen bedeckte, die sicher mit Absicht löchrig und zerrissen waren. Es erinnerte ein wenig an die Kleidung, die Anne selbst getragen hatte, als sie in Sabinas Alter war und bei Demos auf Nørrebro ganz vorne ging, ohne immer genau zu wissen, wogegen demonstriert wurde. Die Klientel entschied, ob sie teilnahm.
Anne nickte und zog einen Pullover über den Kopf. Sie kramte im Schrank nach einer sauberen Jeans. Es war nur noch eine übrig, die sie schnell anzog. Es war sicher an der Zeit, die Waschmaschine mal wieder anzuschmeißen.
„Ja. Solltest du nicht ein bisschen mehr anhaben?“
„Darf ich mitkommen? Ist es ein Mord?“
„Nein, es ist kein Mord“, log sie. „Und nein, du darfst nicht mitkommen.“ Sie stopfte das Handy in den Rucksack.
Sabina