Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9. Inger Gammelgaard Madsen
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„Der Spender bleibt auf diese Art immer noch geschützt. Wenn alle Informationen auf den Tisch sollen, muss man ,offener Samenspender‘ wählen. Hier hat der Spender unterschrieben, dass die Kinder ihn kontaktieren können, wenn sie 18 geworden sind.“
„Was ist dann mit Unterhaltspflicht und so etwas?“, fragte Poul Erik.
Emil schüttelte den Kopf. „Der Spender hat den Kindern gegenüber keinerlei juristische Verpflichtungen oder Rechte und die Kinder wiederum haben keinen Erbanspruch gegenüber dem Spender.“
„Ich würde mich das trotzdem nicht trauen“, beschloss Eve.
„Das ist für dich wohl auch nicht mehr aktuell, oder, Eve? Aber viele junge Menschen haben das verzweifelte Bedürfnis nach unserer Hilfe, ganz zu schweigen von alleinstehenden Frauen oder Homosexuellen, bei denen es in der Natur der Sache liegt, dass sie selbst keine Kinder bekommen können“, predigte Ella.
Poul Erik setzte an, etwas zu sagen, schwieg aber. Kurt Olsen wusste, was er sagen wollte. Freisinn hatte ihm noch nie gelegen.
„Du kannst dich auch entscheiden, deinen eigenen Samenspender zu nehmen, fuhr Ella fort wie bei einem Verkaufsgespräch. „Du wählst den Mann selbst aus, er muss dann nur einwilligen, seine Spermien zur künstlichen Befruchtung zu spenden, dann kümmern wir uns um den Rest.“
„Ich habe gelesen, dass ein Samenspender Vater von über hundert Kindern werden kann. Ist das nicht ein bisschen - unnormal?“, wandte Poul Erik ein.
Kurt Olsen schenkte sich Wein nach.
Eve hielt Kurt ihr Glas hin, damit er auch ihr nachschenken konnte.
„Wenn du das vermeiden willst, kannst du die Spermien deines Spenders reservieren oder dir das alleinige Nutzungsrecht für ihn kaufen“, erklärte Ella Kraz.
„Na, ist es nicht Zeit für ein bisschen Nachtisch?“, unterbrach Kurt Olsen und stand auf. Die Damen halfen ihm dabei, die leeren Teller in die Küche zu tragen und setzten sich anschließend wieder in den Garten. Durch das Fenster sah er, dass sie all ihre Aufmerksamkeit immer noch auf den ,Bankdirektor‘ und seine Gattin gerichtet hatten. Er schnaubte leicht, während er im Kühlschrank die Schüssel mit diversen Früchten und Schokolade fand, in der das Eis angerichtet werden sollte.
„Ich mach das schon, Schatz“, sagte Eve hinter ihm und nahm sie ihm ab. Er konnte an ihren Augen ablesen und an ihrer Stimme hören, dass der Wein schon seine Wirkung zeigte. Sie wurde immer leicht betrunken, dazu brauchte es nicht sehr viel.
„Geh nur wieder raus zu den anderen, ich kümmere mich darum, Kurt“, sagte sie, als er stehen blieb.
„All dieses Gerede über Spermien ist ja nicht besonders interessant, kann ich dir nicht helfen?“
Eve gab ihm einen leichten Klaps. „Jetzt geh schon raus. Dann sprich mit Poul Erik über den großen Auftrag, den er für die Verbrennung bekommen hat, er scheint das Thema auch nicht sonderlich spannend zu finden“, flüsterte sie. „Nimm das hier mit raus.“
Sie reichte ihm den Dessertwein, den er aus seinem Weinschrank geholt hatte. Samen oder Scheiße in einer Verbrennung liefen doch auf dasselbe hinaus.
Eine kühle Brise hob seinen spärlichen Pony, als er wieder zurück in den Garten kam. Lissi und Emil waren auf den Rasen gerückt, wo sie sicher ihr Samen-Gespräch weiterführten. Sie hatten beide eine Zigarette angezündet. Der Geruch erreichte den Tisch, wo Kurt die Flasche abstellte.
„Mochtest du den Weißwein, Poul Erik?“, fragte er und setzte sich neben ihn.
„Ja, das kann man wohl sagen. Ausgezeichneter Wein. Aber was hast du da?“
„Das ist ein Moscato. Fürs Dessert. Möchtest du probieren?“
Poul Erik nickte begeistert. „Lissi fährt, daher schenk ruhig ordentlich ein“, flüsterte er. „Das Italienische hat es dir wohl angetan, was?“, fuhr er fort, während Kurt randvoll einschenkte.
„Ja, mein Kriminalkommissar … äh, ein ehemaliger Kollege ist Italiener und hat mir einigen guten Wein besorgt.
Kurt Olsen räusperte sich, da er auf einmal einen Frosch im Hals hatte.
„Vermisst du den Job?“, fragte Poul Erik, der die Sehnsucht in seinem Gesicht gesehen haben musste.
„Tja, ab und zu. Dreiundvierzig Jahre am selben Arbeitsplatz geben einem ja ein gewisses … Zugehörigkeitsgefühl.“
Er drehte das Glas und schaute auf den Rebensaft, der darin schwenkte.
„Ja, das ist klar. Deswegen mache ich auch weiter. Nur zu Hause zu sein, liegt mir nicht.“
„Verbrennung läuft ja wohl ganz gut. Wie ich hörte, habt ihr einen großen Auftrag bekommen.“
„Ja, ich kann mir vorstellen, dass Lissi es sicher Eve erzählt hat“, gluckste Poul Erik vergnügt. „Wusstest du, dass wir in Dänemark Abfallexperten sind? Wir sind faktisch Europameister. Die neue Anlage hat eine viel größere Kapazität als die alte, aber ich kann noch nicht so sehr ins Detail gehen. Der Vertrag ist noch nicht in trockenen Tüchern, doch wir sprechen hier wohl über einen größeren Milliardengewinn.“
Kurt Olsen nickte und hörte mit halbem Ohr dem anderen Tischgespräch zu, das sich immer noch um Spenderkinder und Ethik drehte. Lissi und Emil waren an ihre Plätze zurückgekehrt, und als Eve mit dem Nachtisch kam, waren ihre Gedanken schon wieder ganz woanders.
4
Äthiopien
Die Räder des roten Samsonite-Trolleys schrammten über den marmorähnlichen Boden, als sie ihn mit einer kalten und schwitzigen Hand hinter sich her zog. Die Schweißproduktion war erhöht worden während des Transports in einem voll besetzten Flughafenbus und ließ die Bluse an der Haut kleben. Sie konnte nicht beurteilen, ob der Boden aus echtem Marmor war, aber es würde sie nicht wundern. Die Eindrücke überraschten erneut. Sie hatte erwartet, in einer Wüste zu landen. Jedenfalls in einer trockenen, flachen Umgebung, stattdessen war es grün mit hohen, üppigen Bergen. Hier hatte sie sich Dreck und Armut vorgestellt und dann war es moderne Architektur, auf die sie in der klimatisierten Ankunftshalle traf. Sie war bis hoch zur Decke mit einer kunstvollen weiß gestrichenen Rohrkonstruktion ausgestaltet. Die Sonne schien zwischen den Rohren durch die Oberlichtfenster und zeichnete abstrakte Sonnenstrahlen auf den blanken Boden. Sicher die Absicht des Architekten mit dem Design. Es gab Unmengen von Duty Free Shops mit einer Auswahl, die sie noch nirgendwo sonst gesehen hatte. Exotische Düfte aus Cafés und Restaurants wogten von allen Seiten. Ein Geschäft hatte mehrere Schaufenster mit afrikanischen Gebrauchsgegenständen: Webteppiche, handgeschnitzte Holzschalen, Figuren, Masken und Trommeln. Es war unmöglich, das Ganze zu sehen, ohne anzuhalten, doch dafür hatte sie leider keine Zeit.
Silje stellte den Trolley ab, wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn und nahm sich einen Augenblick, um den Weg zum Gate zu finden. Der Text auf den gelben Schildern an der Decke war auf Englisch und Amharisch. Ein Baby weinte herzzerreißend, laut und kontinuierlich. Das Geräusch hallte in dem großen Gebäude. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es dauerte nicht lange, bis sie das nächste Flugzeug erwischen sollte, und wie ging es dann gleich weiter? Würde sie dort abgeholt