Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9. Inger Gammelgaard Madsen

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Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9 - Inger Gammelgaard Madsen Ronaldo Benito

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die gerade erst bewilligt worden war und die ganze zwölf Bilder von ihr erforderte. Typisch, würde ihre Mutter sagen, du hörst nie ordentlich zu, wenn man dir etwas sagt. Und wie hätte sie das gekonnt mit all dem anderen, das ihr schon vorher im Kopf herumschwirrte? Es war ihre Schuld. Mamas. Sie bereute trotzdem, dass sie abgereist war, ohne sich richtig zu verabschieden, aber sie ertrug einfach keine weiteren Fragen, Vorwürfe und Warnungen. Du kannst da unten gekidnappt und geköpft werden. Was willst du tun, wenn du ihn findest? Er will ja nicht gefunden werden, Schätzchen. Das ist es nicht wert! Du kannst dich mit irgendwas anstecken. Ebola zum Beispiel. Denk dran, Schutzkleidung anzuziehen - und so weiter, und so fort. Es half nicht zu erklären, dass Ebola in Westafrika ausgebrochen war und nicht dort, wo sie sein würde. Im Übrigen war sie gegen die Krankheiten, mit denen sie sich vermeintlich anstecken konnte, geimpft worden. Aber ihre Mutter machte weiter: Was ist mit Tao und Anya? Der hoch geschätzte Schwiegersohn und das Enkelkind. Tao kam schon klar, und jetzt war er dran, sich allein um Anya zu kümmern. Seit sie geheiratet hatten und in die Villa in Skåde Bakker südlich von Aarhus gezogen waren, war er immer wieder für seine Firma auf Geschäftsreise gegangen, ohne einen Augenblick darüber nachzudenken, dass sie mit Anya allein war. Es war notwendig, damit sie den Lebensstandard aufrechterhalten konnten, den sie sich wünschten. Den Tao sich wünschte. Als sie aus ihrem Job in der Personalabteilung des Aarhuser Krankenhauses wegen Kürzungen entlassen wurde, hatten sie darüber gesprochen, ob sie in seiner IT-Firma angestellt werden könnte, aber es würde erst in einem Monat eine freie Stelle geben.

      Sie setzte sich verloren auf einen Stuhl und betrachtete das Leben im Flughafen. Ein Geschäftsmann in einem satinglänzenden, dunklen Anzug, weißen Hemd und passenden Seidenslippern ging ruhig vorbei, als ob er auf jemanden wartete. Ihm musste warm sein, dachte sie, und zog ihre dünne Bluse aus, um ein bisschen Luft an die Haut zu lassen. Er lächelte ihr zu. Die Zähne leuchteten in dem schwarzen Gesicht auf. Weiße, dachte er sicher. Vertragen die Hitze nicht. Die halten gar nichts aus. Und es gab hier nicht viele von ihnen. Den Weißen. Hier waren sie diejenigen, die auffielen. Trotzdem lächelten all die dunklen Gesichter um sie herum. Eine Frau mit orangefarbenem Kopftuch und bunten Gewändern schenkte ihr auch ein strahlendes Lächeln. Im Schlepptau hatte sie ein kleines Mädchen in einem gelben Prinzessinnenkleid, das die kohlschwarzen Haare in einer Flut aus kleinen Zöpfen um ein süßes mahagonibraunes Gesicht trug. Sofort dachte sie an Anya und spürte das heftige Verlangen, sie zu umarmen, an ihren weichen Haaren zu riechen und ihr immer wieder zu erzählen, dass sie bald wieder zu Hause sein würde. Dass sie nur neun Mal schlafen musste. Das kleine, schwarze Mädchen schaute sie verschlossen und erstaunt an mit großen Rehaugen, umkränzt von dichten, schwarzen Wimpern. Es waren sicher ihre helle Haut und die blonden Haare, die das Mädchen wunderten. Vielleicht ihre markanten blauen Augen. Zuletzt musste das Mädchen den Kopf ganz herumdrehen, um sie zu sehen, als die Mutter sie weiterzog. Falls es ihre Mutter war. Wer wusste das?

      Der Druck in der Brust verursachte ihr wieder Atemnot, dieses Mal noch quälender als zuvor. Es war ein Gefühl, das sie nicht erklären konnte. Wut, Trauer, Versagen? Sie wusste es nicht. Ein bisschen von allem und viel mehr. Sie liebte ihren Vater über alles auf der Welt, sie hatten eine Verbindung, die alle im Bekanntenkreis bemerkt hatten. Einige Freundinnen nannten sie sogar zu viel. Neid, hatte sie gemeint, und kümmerte sich nicht darum. Deswegen hatte sie das, was sie verstehen musste, erst nicht geglaubt. Das konnte nicht stimmen. Das konnte einfach nicht stimmen! Aber schließlich begriff sie, dass es wahr war. Eine Wahrheit, die ihr Leben auf den Kopf stellte, ihre Existenzgrundlage und Identität. Ob sie es wohl je erfahren hätte, wenn das Schicksal es nicht entschieden hätte? Die Krankheit und Diagnose ihres Vaters. Huntington. Eine erbliche und tödliche Krankheit, die oft im Alter von 35 bis 45 ausbricht. Und was war mit Anya? Hatte sie die Krankheit auch geerbt? Sie war in Panik geraten. Wollte nicht, dass ihr Vater auf diese Weise sterben sollte und wollte es auch selbst nicht. Dann war ihre Mutter endlich widerwillig mit der Wahrheit herausgerückt. Glaubte, sie könnte sie damit trösten. Sie und Anya waren bezüglich dieser Erbkrankheit außer Gefahr, da der Mann, den sie als ihren Vater liebte, gar nicht ihr Vater war. Nicht ihr richtiger Vater. Stattdessen war es ein unbekannter Mann, ein Samenspender, von dem nicht mal ihre Mutter wusste, wer er war. Sie wünschte, dass alles beim Alten geblieben wäre, dass sie nie dieses sechsunddreißig Jahre lang so wohlgehütete Familiengeheimnis erfahren hätte. Dann würde sie nicht hier sitzen.

      Sie zupfte am Griff des Trolleys, guckte nach unten auf ihre Sandalen und bemerkte einen braunen Fleck auf der weißen Piratenhose, sicher von dem Kaffee, den sie im Flugzeug verschüttet hatte. Unwichtige Dinge. Dinge, an die sie viel lieber denken wollte. Etwas, mit dem sie leichter umgehen konnte.

      Sie schaute schnell auf, als sich eine Frau neben sie setzte. Sie hatte sie auch im Flugzeug von Kopenhagen und beim Umstieg am Frankfurter Flughafen gesehen. Dann war sie doch nicht die Einzige mit heller Haut und blonden Haaren und es fühlte sich irgendwie beruhigend an. Es war auch nicht unnatürlich, dass sich die Frau neben sie setzte. Wenn man auf fremdem Grund war, suchte man seinesgleichen. Deswegen gab es in Dänemark so viele Ghettos. Die Frau war Fotografin, wie sie an der Ausrüstung erkennen konnte, die sie als Handgepäck mitschleppte. Sie holte eine dänische Fotozeitschrift aus der Tasche, lächelte ihr zu und sah hinein.

      „Sind Sie Fotografin?“, konnte sie es nicht lassen zu fragen.

      „Sie sind Dänin!“, rief die Frau überrascht, dann nickte sie.

      „Ja. Ich arbeite als Freelancer.“

      „Kommen Sie aus Kopenhagen?“, fragte Silje weiter. Sie musste mit irgendjemandem sprechen und an etwas anderes denken.

      „Nein, ich bin aus Jütland. Was ist mit Ihnen?“

      „Aarhus. Ja, ich bin gerade erst nach Aarhus gezogen, zusammen mit meinem Mann und unserer Tochter, Anya. Sie ist sieben.“

      Die Frau lächelte noch überraschter. „Ich habe mein ganzes Leben in Aarhus gewohnt. Jetzt bin ich nach Djursland gezogen. Mein Vater, ach, das ist eine längere Geschichte.“

      „Witzig, dass wir nun zufällig beide an einem Flughafen in Äthiopien sitzen. Wo wollen Sie hin?“

      „Ich fliege weiter nach Gambella.“

      „Um dort zu fotografieren?“

      „Ja, ich habe einen Fotoauftrag angenommen, der wohl etwas außerhalb meines normalen Gebiets liegt, aber es klang sehr spannend und ich musste mal ein bisschen wegkommen.“

      Die Frau blätterte zu der vorigen Seite in dem Magazin auf ihrem Schoß zurück und zeigte ihr ein Bild eines zerbombten Hauses, wo ein kleiner, nackter Junge mit tränennassem Gesicht auf einer schmutzigen Treppe saß. Silje spürte sofort den Kloß im Hals. Der Junge sah verletzlich und verlassen aus, als sei er der einzig Verbliebene in einer zerbombten Welt.

      „Das wurde in Syrien von einem Kollegen gemacht für ein Magazin, das für das Dänische Rote Kreuz herausgegeben wird, und für das bin ich jetzt auch unterwegs.“

      „Um eine Reportage zu machen?“ Sie hatte nie selbst fotografiert. Tao war der, der die Kamera hatte und sich damit auskannte.

      „Ja, ich soll für das Magazin ein Foto-Essay über Flüchtlinge machen. Wo wollen Sie hin?“

      „Ich fliege nach Asossa und da geht’s dann weiter in ein Flüchtlingslager. Ich arbeite für Ärzte ohne Grenzen.

      „Das klingt spannend.“

      Silje richtete sich auf und lauschte der Stimme im Lautsprecher. Sie hatte ihn bisher nur als gleichgütiges, monotones Hintergrundrauschen wahrgenommen, aber als ihr Name genannt wurde, hörte sie zu. Jetzt wurde es wiederholt: „Silje Vuong! Please go to the gate!

      „Sind

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