Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9. Inger Gammelgaard Madsen
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„Mein Mann ist Vietnamese“, erklärte sie. „Was macht ihr da?“, fragte sie und lächelte dem Jungen zu, der sie mit großen, dunklen Augen anstarrte.
„In den Behältern ist Wasser. Wir haben leider kein fließend Wasser und bekommen es mehrmals am Tag geliefert“, erläuterte Samanta. „Ja, es gibt vieles, an das du dich hier gewöhnen musst“, fügte sie mit einem Ton hinzu, der nach bitterer Erfahrung klang.
Der Junge folgte dem alten Mann, der einen Behälter in ein Gebäude dem Haus gegenüber schleppte.
„Das ist Faheem“, sagte Samanta, die ihrem Blick gefolgt war. „Sie kommen beide aus einem der Dörfer in der Nähe.“
„Wie alt ist er?“
Samanta zuckte die Schultern und wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Sie nahm einen Lappen von der Wäscheleine und trocknete die Hände ab.
„So, jetzt kann ich dich anständig begrüßen“, meinte sie, und gab ihr die Hand. Sie sah wieder zu dem Jungen. „Ich schätze, er ist ungefähr sieben, vielleicht acht. Aber das weiß er nicht mal selbst. Beide Eltern sind tot, er hat nur seinen Opa.“
Der Junge schaute die ganze Zeit zu Silje. Er war so mager, dass die Kniescheiben viel zu groß für die kleinen, dünnen Beine aussahen. Plötzlich lief er zu Samanta hin und flüsterte ihr etwas zu. Sie beugte sich vor, um es zu hören, lächelte und sagte etwas zu ihm in einer fremden Sprache, von der Silje dachte, es müsste Amharisch sein. Die Worte ließen den Jungen verlegen lächeln, dann lief er zu dem Esel und dem Karren, wo der alte Mann zahnlos grinste.
„Was hat er gesagt?“, fragte Silje neugierig.
Samanta steckte die Hände in die Taschen ihrer Shorts.
„Nichts Wichtiges. Komm, ich zeig’ dir das Lager.“
„Wo sind die ganzen Flüchtlinge?“
„Das Flüchtlingslager ist ein Stückchen weg von hier, aber das wird jetzt sukzessive geräumt.“
Silje folgte Samanta und sammelte die Eindrücke, Gerüche und Geräusche. Wie wohl die Nachtgeräusche klangen? Das hier würde eine Weile ihr neues Zuhause sein, es war alles so unwirklich und so weit von der von einem Architekten entworfenen Villa in Skåde und dem schönen, grünen Garten weg. Sie vermisste das. Und Anya. Und Tao. Er hatte sie widerwillig bei diesem Projekt unterstützt. Er wusste nicht, dass sie hier war, um nach ihrem Spendervater zu suchen. Er glaubte, sie sei ihrer Arbeit wegen gereist. Sie hasste es, ihn zu belügen, aber sonst hätte er es ihr nie erlaubt.
Samanta blieb bei einem Schuppen stehen, dessen Tür offen stand. Drinnen surrten die Fliegen.
„Das hier sind die Toiletten. Kein Luxus, wie du siehst. Du hockst dich über das Erdloch da; immerhin gibt es Klopapier.“
Silje schluckte schwer und versuchte einen Gesichtsausdruck von Ekel zu bekämpfen, den sie kommen spürte. Wenn Tao das hier sähe! Samanta ging zu einem anderen Schuppen direkt nebenan und gestikulierte elegant, als ob sie eine Suite im Hotel Hilton präsentierte.
„Und hier hast du das Badezimmer. Es gibt, wie gesagt, kein fließendes Wasser, daher benutzt du einfach die Kanne.“ Sie deutete auf eine Zinkkanne neben einem der blauen Plastikbehälter, die sauberes Wasser enthielten. „Wenn du warmes Wasser haben willst, musst du es in der Küche auf dem Herd kochen. Aber jetzt sollst du dein Büro sehen.“
Silje riss wieder die Augen auf, als sie einen Raum betraten, den Samanta Büro genannt hatte. Dort stand nur ein kleiner Klapptisch mit einem Laptop und einem altmodischen Tintenstrahldrucker. Der Stuhl war von der Sorte, wie man sie in alten Schulen sieht. Hier war es sicher gut, dass die Gewerbeaufsicht nicht mal vorbeischaute.
„In den Ordnern unterm Tisch findest du diverse Papiere mit Gehaltsabrechnungen und eine Angestelltenkartei. Es gibt WLAN, aber es ist sehr langsam. Die Elektrizität, die Internetverbindung und das Telefonnetz sind leider nicht besonders stabil. Wir waren gerade erst ganze vierundzwanzig Stunden ohne Verbindung. Der Stromgenerator wird für das lebenswichtige Medikamentenlager verwendet. Da darf es nie mehr als 25 Grad warm sein. Wenn wir mehr Strom brauchen, muss er in der Hauptstadt gekauft werden, die Stromgesellschaft muss anfangen zu arbeiten. Es ist fast hoffnungslos.“ Samanta schüttelte resigniert den Kopf.
Das Zimmer, in dem sie wohnen sollte, war auch sehr spärlich möbliert mit einem Tisch, einem Stuhl und einem Bambusbett, mit Netzen umwickelt, um die Insekten abzuhalten. An der Decke hing eine einzelne Glühbirne in ihrer verstaubten Fassung. Die gelb getünchten Wände waren ohne jegliche Dekoration und der Boden ähnelte gestampftem, rotem Lehm. Silje tröstete sich damit, dass sie hier sicher nur zu schlafen brauchte.
Sie umrundeten das gelbe Gebäude und kamen auf einen Hof dahinter. Hier standen Holzstühle und -bänke auf einer Terrasse mit Halbdach, primitiv gebaut aus Dachplatten auf Holzpfählen. Mitten im Hof wuchs ein riesiger Mangobaum mit Zweigen, die sich unter der Last der Früchte bogen. Auf einer Holzbank im Schatten saß eine Frau und stillte ein Kind, ganz in Tücher eingehüllt, sodass Silje es nicht sehen konnte.
„Hier essen wir“, sagte Samanta.
„Wer ist das da im Schatten, die stillt?“
Samanta schaute zu der Frau und bekam einen bekümmerten Gesichtsausdruck.
„Das ist eine Frau, die hier im Lager entbunden hat. Sie ist hochschwanger vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und lokalen Milizen im Südsudan geflohen. Wir mussten sie herüberbringen, damit sie in Sicherheit ist. Sie hat einen Albino zur Welt gebracht.
„Kriegen Afrikaner auch Albinokinder?“, rief Silje naiv aus.
„Hier werden mehr Albinos geboren als in Dänemark, wo es eins von 60.000 Kindern ist. Hier in Afrika ist es eins von 5.000 Kindern und das ist eine Katastrophe für das Kind und seine Familie, ja, für das ganze Dorf. Viele Albinos leben im Verborgenen, sonst werden sie verfolgt oder schlicht getötet. Das Fürchterliche ist, dass es hier immer noch Menschen gibt, die glauben, dass eine Mixtur, bestehend aus Kräutern und dem Blut oder den Körperteilen eines Albinos, heilen kann oder den, der diese Mixtur einnimmt, reich macht, deshalb jagen und töten Medizinmänner die Albinos.“
Silje schwitzte noch mehr und wünschte, sie könnte irgendwohin gehen und frische Luft schnappen. „Was passiert dann mit der Frau und dem Kind?“
„Vorläufig bleiben sie hier, wo wir sie im Auge behalten können. Woanders ist es nicht sicher für sie.“
Sie hatten ein anderes Haus erreicht, das in Verlängerung des gelben Gebäudes lag.
„Dahinter ist die Küche“, fuhr Samanta fort, und lächelte einer Frau zu, deren schwarzes, glänzendes Gesicht sich im Fenster zeigte. Sie winkte.
„Das ist Farsiris, unsere Köchin. Sie sagt, der Name bedeute in ihrer Muttersprache Prinzessin. Wir Dänen ziehen sie damit auf, dass fars bei uns auf Dänisch Hackfleisch heißt und fars i ris mehr wie ein dänisches Reisgericht klingt - was besser passt, weil sie ja Köchin und keine Prinzessin ist.“ Samanta lachte und winkte der Frau zurück.
„Du sagst wir? Gibt es hier noch andere Dänen?“, stellte sich Silje unwissend und winkte der Köchin im Fenster ebenfalls.
„Ja,