Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
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Mit der Gründung der Bratwurstfabrik hat der Metzgersohn Uli Hoeneß nicht zuletzt auch dem Vater etwas beweisen wollen. »Ich habe meinem Vater immer vorgeworfen, dass er kein richtiges Geschäft macht«, sagte er einmal. »Er wollte sich nicht vergrößern, was ich nie verstanden habe.« Der Vater starb im August 1998 – Hoeneß’ Mutter überlebte ihn nur um zwei Monate –, aber die hochmoderne Würstchenfabrik hatte er noch bestaunen dürfen: »Mein Vater hat Augen gemacht, als er zum ersten Mal die Fabrik sah«, erzählte Sohn Uli voller Stolz. Was er mit seiner Würstchen-Fabrikation an einem Tag umsetzte, sei für seinen Vater zu mancher Zeit der hart erwirtschaftete Jahresumsatz gewesen.
Als Chef verantwortlich ist inzwischen Hoeneß’ Sohn Florian, der im Juli 2001 als junger Bankkaufmann in die Geschäftsführung einstieg. Hoeneß junior orientierte sich bei der Leitung der Firma am familiär-bescheidenen Stil des Vaters, als Zentrale genügte ihm ein recht schlichtes Büro im Landhausstil. Der Senior versteht sich seitdem als »Supervisor«. Völlig loszulassen fiel ihm aber schwer. Persönlich sei er kaum noch präsent in der Fabrik, höchstens drei- oder viermal im Jahr, erklärte er dem »SZ-Magazin« Ende 2009, sein Sohn beschwere sich sogar manchmal, dass er sich zu wenig um die Firma kümmere. Florian Hoeneß berichtigte hingegen, dass der Vater immer noch jede Rechnung selbst abzeichne. »Außerdem ruft er ständig hier an und lässt sich die Bestellungen durchgeben, in der Hochphase im Sommer bestimmt zwanzig Mal am Tag.«
Drei Personen waren neben Uli Hoeneß für die Gründung der Firma HoWe entscheidend: Das waren neben dem Metzger Werner Weiß aus Nürnberg ein Einkäufer von Aldi, den Hoeneß 1974 über den Vertrieb seiner WM-Bücher kennengelernt hatte, sowie ein Mann aus dem Beirat des FC Bayern, der Wurstfabrikant Rudolf Houdek aus Starnberg. Der Großmetzger hatte mit seiner Spezialität, der »Original Houdek Kabanos«, den Geschmacksnerv der Bevölkerung getroffen und damit ein Vermögen gemacht. Nun wollte er gern seinen Leberkäse an Aldi verkaufen und bat daher seinen Freund Uli Hoeneß, den Kontakt zu dem Einkäufer herzustellen. »Beim dritten oder vierten Besuch fragte ihn dann der Einkäufer«, so Hoeneß, »ob er auch Original Nürnberger Rostbratwürstchen liefern könne. Das aber konnte er nicht, denn seine Fabrik war in Starnberg, und Original Nürnberger Rostbratwürstchen müssen in Nürnberg produziert werden.« Die Sache habe er im Hinterkopf behalten, bis er dann in Nürnberg den Metzger Weiß kennenlernte.
Die entscheidenden Wochen, die der Gründung der Wurstfabrik W. Weiß GmbH, der heutigen HoWe KG, im Jahr 1985 vorangingen, schilderte Hoeneß wiederholt mit spürbarem Stolz. »Machst du eigentlich auch Nürnberger?«, habe er eines Tages seinen Freund Weiß gefragt, und der habe geantwortet: »Klar, jeden Tag.« Die Menge allerdings war gering: nur 50 Kilo. »Du darfst nicht Kilo machen«, rief Hoeneß aus, »du musst Tonnen machen! Mach mir doch mal ein paar Muster.« Mit den Mustern der Weiß-Würstchen ging Hoeneß zu Aldi, und als die für gut befunden waren, folgte am 6. März 1985 in Mühlheim an der Ruhr das entscheidende Treffen mit dem Chefeinkäufer des Discount-Riesen. Nach Hoeneß’ Erinnerung begann der Dialog mit einer Frage des Aldi-Mannes: »Haben Sie eine Fabrik?« – »Nein.« – »Ja, was wollen Sie dann?« – »Wenn Sie uns eine Chance geben, in zwei Lagern für ein halbes Jahr einen Test zu machen, würde ich investieren.« Der Vorstoß war äußerst forsch, ein Aldi-Lager belieferte immerhin 60 Geschäfte. Dann folgte die entscheidende Frage: »Wann können Sie liefern?« Antwort: »Geben Sie uns sechs Wochen.« Die Hand drauf, und los ging’s. Hoeneß nahm sich bei Bayern Urlaub, orderte Fleisch, mietete geeignete Räume, leaste Maschinen, heuerte 15 Mitarbeiter an. Das Ergebnis: »Am 15. April haben wir geliefert.« Insgesamt waren es fünf Tonnen Wurst, in der Nacht vor dem Liefertermin hatte er mit seiner Frau eigenhändig die letzten Paletten fertig gemacht.
Nürnberger Rostbratwürstchen wiegen 25 Gramm, dürfen maximal neun Zentimeter lang sein und müssen im Schafsaitling abgefüllt sein. Zu ihrem Schutz wurde 1997 eine Vereinigung der Hersteller und des Hotel- und Gaststättenverbandes gegründet, im August 2003 gelang schließlich die Eintragung ins Register der »geschützten geographischen Angaben«. HoWe-Geschäftsführer Florian Hoeneß kommentierte: »Wir brauchten eine rechtliche Grundlage, um gegen in- und ausländische Nachahmer mit oft abenteuerlichen Rezepten vorgehen zu können und das Original ›Nürnberger Rostbratwurst‹ zu schützen.« Jeder Verbraucher wisse heute, fügte er hinzu, dass er kein fragwürdiges Billigprodukt, sondern Qualität aus der Region bekommt, wenn auf der Verpackung »Nürnberger Rostbratwurst« steht. Wobei, wäre noch zu ergänzen, das Fleisch selbst nicht unbedingt aus der Region kommen muss: Zu einem der Hauptlieferanten von HoWe wurde Schalkes Aufsichtsratchef Clemens Tönnies, Betreiber der größten Schweineschlachterei Deutschlands. Der Qualität muss das aber nicht abträglich sein. Am 20. Oktober 2003 erhielten die Hoeneß-Würstchen – reines Schweinefleisch ohne Geschmacksverstärker und Wasserzusatz, gewürzt mit Thüringer Majoran – von der Zeitschrift »Ökotest« das Prädikat »sehr gut«.
Mit dem Fleisch gab es nie Probleme, dennoch ist die Wurstfabrik einige Male negativ in die Schlagzeilen geraten. Anonyme Hinweise, denen zufolge bei HoWe illegale Ausländer beschäftigt sein sollten, veranlassten die Polizei, am 8. November 1988 in den Räumen der damals noch in Buchenbühl produzierenden Firma eine Razzia durchzuführen. Fündig wurden die Beamten nicht. Im Herbst 2000, als Hoeneß wegen der »Daum-Affäre« heftig ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik geraten war, gab es erneut Aufregung um die Firma. Diesmal ging der anonyme Hinweis beim Arbeitsamt in Nürnberg ein, und wie 1988 ging es um den Vorwurf, dass in der Wurstfabrik illegale Arbeiter beschäftigt würden. 40 Fahnder und Polizisten besetzten das Fabrikgelände am Nürnberger Hafen, durchsuchten die Geschäftsräume und befragten die Angestellten. Nach einigen Stunden musste die Streitmacht wieder ergebnislos abziehen. »Es kann doch nicht sein, dass irgendjemand mit einem Anruf beim Arbeitsamt eine Kontrolle lostritt, ohne konkrete Hinweise zu geben oder ein Verdachtsmoment zu begründen«, beschwerte sich Hoeneß später. Trotz eines erheblichen Umsatzausfalls wegen des Produktionsstillstandes verzichtete er aber auf eine Schadensersatzklage, die er zunächst erwogen hatte. Ende 2010 hatte die Firma Ärger mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Diesmal ging es um den Vorwurf, dass HoWe unter Tarif bezahle, auf Zeitarbeiter setze und die Beschäftigten bei Nässe und Kälte arbeiten lasse, zudem gebe es in der Firma keinen Betriebsrat. Hoeneß reagierte schnoddrig: »Wir leben in keinem Gewerkschaftsstaat, wo mir die NGG Vorschriften machen kann.«
Auf Kritik aus der Gewerkschaftsecke reagierte Uli Hoeneß stets unwirsch und eher kurz angebunden, in seinem Element war er jedoch, wenn es im Fachgespräch um die Wurst ging. Als er sich etwa im Juli 2005 gegenüber der »Neuen Zürcher Zeitung« über die Problematik des Preisverfalls beim Schweinefleisch auslassen durfte, war er kaum zu bremsen. »Das Preisniveau in Deutschland ist verrückt«, ereiferte er sich und griff zum Vergleich mit der Schweiz, wo sich die Verbraucher an hohe Preise gewöhnt haben. »Wenn ich in der Lenzerheide, wo ich eine Ferienwohnung habe, eine St. Galler Bratwurst kaufe, so kostet sie mindestens zwölf Euro das Kilo, bei Aldi in Deutschland kostet das Kilo Nürnberger Rostbratwürste fünf Euro sechzig.« Durch die große Konkurrenz sei man gezwungen, unheimlich effizient zu arbeiten. »Wir machen hier 30 Millionen Euro Umsatz mit 150 Leuten, mein Vater hat 150.000 Mark mit sieben