Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

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Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein

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Mark Taschengeld verfügte, erhielt angeblich einen nagelneuen BMW 2002 und dazu einen dicken Scheck. Der Neu-Bayer bestritt indes stets, dass ihn irgendwelche Geschenke in seiner Entscheidung beeinflusst hätten. »Es passte in die Klischeevorstellung, dass ich die materiell verführerischsten Angebote sortiert und natürlich spontan beim FC Bayern zugegriffen habe. Aber der Schein trog. ›Weichgemacht‹ haben mich weder Barscheck noch Auto, sondern der Verhandlungsstil.« So wurde er also als Olympia-Amateur ein Angestellter in der Bayern-Geschäftsstelle. Dort war er, wie Bayern-Präsident Neudecker der Presse erläuterte, für die Frankiermaschine verantwortlich. Sein Gehalt betrug 2.000 DM brutto. »Bei anderen Klubs«, so Hoeneß, »hätte ich offen gestanden – und unversteuert unterm Ladentisch – mehr verdienen können. Aber in diesem Moment zählte es für mich nicht.« Es zählte nicht, weil er ehrgeizig – »ungeheuer, fast hoffnungslos ehrgeizig« – und überzeugt war, seine Karriere in dem jungen Bayern-Team um den Superstar Beckenbauer am besten vorantreiben zu können.

      Eine Sportillustrierte, der dieser Arbeitsvertrag des Frankiermaschinen-Bedieners im Bayern-Trikot nicht ganz unberechtigt etwas zweifelhaft erschien, höhnte von einem Amateur »Honoris Cassa«. Den Kritisierten indes focht das nicht an. »Ich bin ein ebenso guter Amateur wie viele andere und ein besserer als die alpinen Skifahrer, denn ich mache für keine Firma Reklame«, rechtfertigte er sich. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen in München war für ihn ein Herzenswunsch, und er war schon beinahe beleidigt, wenn die Aufrichtigkeit seiner olympischen Gesinnung in Zweifel gezogen wurde. »Ich habe mich entschieden, Amateur zu bleiben, weil ich ins Stadion einmarschieren will, weil ich im olympischen Dorf wohnen und dort berühmte Sportler kennen lernen will, die ich sonst nie mehr im Leben zu Gesicht bekommen werde. Das klingt etwas idealistisch, aber für mich ist das Grund genug.« Nicht ganz so idealistisch klangen die Hintergedanken, die er in einem Interview mit der »Welt am Sonntag« offenbarte. »Als ich mich verpflichtete, bis zur Olympiade Amateur zu bleiben, tat ich es spontan, weil mich die Kameradschaft in der Amateur-Nationalmannschaft für die Sache freut. Ich hoffe, dass mir mein Entschluss Popularität eingebracht hat und noch mehr einbringen wird. Ich hoffe, dass er sich nach den Spielen auch auszahlen wird.« Mit anderen Worten: Der »idealistische« Einsatz als Amateur sollte sich letztendlich doch in klingende Münze umsetzen, sollte am Ende wohl sogar noch lukrativer sein als der direkte Weg in den bezahlten Fußball.

      Neben dem Fußball wollte Hoeneß studieren. Zunächst hatte er noch Betriebswirtschaft geplant, sich dann aber, als dort kein Platz frei war, für ein Lehramtsstudium in Anglistik und Geschichte entschieden. Ein studierender Fußballspieler war damals eine kleine Sensation. Noch vor Beginn der Saison 1970/71 brachte der »Kicker« eine Story über Hoeneß mit dem Titel »Studium als Stimulans«. Auf die Frage, ob es für den »aufgeweckten Blondschopf« nicht ein Handicap sei, dass er neben seiner harten Profiarbeit sein Studium absolvieren müsse, antwortete dieser: »Im Gegenteil, ich brauche geradezu mein Studium als Stimulans für den Fußball. Es wäre schrecklich für mich, wenn ich als ›Nur-Fußballprofi‹ leben müsste. Meine Leistung würde sogar darunter leiden.«

      Uli Hoeneß war der Prototyp einer neuen Spielergeneration und der FC Bayern der Verein, der den neuen Zeitgeist und die gesellschaftliche Fortentwicklung des Fußballs am deutlichsten dokumentierte. Kein anderer Bundesligist konnte sich Anfang der siebziger Jahre auch nur annähernd so vieler Abiturienten rühmen wie der FC Bayern: Karl-Heinz »Charly« Mrosko, der spätere Rechtsanwalt, Rainer Zobel, Edgar Schneider, Jürgen Ey und natürlich Paul Breitner, der in München Pädagogik studierte, standen für einen sozialen Machtwechsel im deutschen Spitzenfußball. »Uli Hoeneß zählt zur neuen Generation des Fußballprofis«, schrieb der »Kicker« später, »obwohl er bis 1972 Amateur bleiben und erst dann Geld verdienen will.« Es sei nicht verwunderlich, so das Blatt weiter, dass »die jungen Intellektuellen« beim FC Bayern unter Trainer Udo Lattek zusammengefunden hätten, »der einst selbst das Abitur ablegte, ehe er Sport und Englisch studierte«. Hoeneß selbst zitierte die Zeitschrift mit dem Satz: »Die heutige Art, Fußball zu spielen, setzt eine gewisse Intelligenz voraus.« Die Ära der Analphabeten sei vorbei, erklärte er nachdrücklich, wer heute in der Bundesliga weiterkommen wolle, benötige Köpfchen. »Spieler, die nur rennen, kommen entweder nie über ein Mittelmaß hinaus oder verschwinden bald wieder in der Versenkung.«

       Unruhe im Reich des »Kaisers«

      Mit Mittelmaß wollte sich auch der neue Bayern-Trainer nicht aufhalten. Der bis dahin ziemlich unbekannte Udo Lattek hatte sein Engagement nicht zuletzt der Empfehlung Franz Beckenbauers zu verdanken, der ihn als Assistenten von Bundestrainer Helmut Schön kennen und schätzen gelernt hatte. »Er war freundlich, souverän, nicht anbiedernd«, so das Urteil Beckenbauers, »was bei Assistenten nicht selbstverständlich ist. Viele holen sich ihre Bestätigung durch eine verschwörerische Kumpelhaftigkeit, versuchen, sich durch Gefälligkeiten eine gewisse Wertschätzung zu erwerben. Lattek hatte nichts davon an sich, er war geradlinig, ehrlich, selbstbewusst. Als Fußballer entwickelt man – und ich weiß, es geht nicht nur mir so – ein Gespür für Siegertypen, die vieles dem Willen zum Erfolg unterordnen, manche sogar alles. Bei Udo Lattek hatte ich das Gefühl.« Der damals erst 35 Jahre alte Trainer war weniger als Übungsleiter gefragt denn als Motivator. Beckenbauer: »Wir Bayern waren damals eine Supertruppe, aber irgendwer musste sie schließlich bei Laune halten.«

      Da Bayern-Präsident Neudecker mit Latteks Vorgänger, dem eigensinnigen Branco Zebec, schon seit geraumer Zeit nicht mehr gut konnte, war es nicht sonderlich erstaunlich, dass das Engagement des Neuen nach einer kleinen Misserfolgsserie des Alten früher als geplant begann. Zebec wurde am 13. März 1970 vorzeitig entlassen, nur einen Tag später gab Lattek sein Debüt. Aus den verbleibenden sieben Begegnungen holte der ehemalige Jugendtrainer des DFB elf von 14 möglichen Punkten und Platz zwei in der Gesamtabrechnung. Das war der Beginn der erfolgreichsten Ära in der Geschichte des FC Bayern München.

      Die dringlichste Aufgabe des neuen Trainers vor der neuen Saison bestand darin, eine neue Stammformation zu bilden. Insbesondere galt es, für die beiden langjährigen Leistungsträger Rainer Ohlhauser und Werner Olk, die sich ins »Rentnerparadies« Schweiz verabschiedet hatten, tauglichen Ersatz zu finden, und Kandidaten dafür waren die beiden Jugendnationalspieler Uli Hoeneß und Paul Breitner. Der erste Eindruck von den beiden war überragend. »Überraschend, wie die Spieler, die im Vorjahr noch in der DFB-Jugendauswahl kickten, die Strapazen überstanden«, berichtete der »Kicker« aus dem Trainingslager der Bayern. »Hoeneß und Breitner hielten mit, als hätten sie schon immer unter Profibedingungen trainiert. Hoeneß, der wie sein Freund Paul Breitner körperlich voll da ist, entwickelt gewaltigen Ehrgeiz.« Und den Ehrgeizling zitierte die Fachzeitschrift mit den Worten: »Jetzt muss man sich einen Platz in der Mannschaft erkämpfen. Auf eventuelle Verletzungen zu warten, um dranzukommen, darauf verlasse ich mich nicht.« Voller Selbstbewusstsein erklärte er darüber hinaus, keine Vorbilder zu benötigen. »Jemanden zu kopieren heißt, die eigenen Vorzüge zu zerstören«, dozierte er etwas altklug. »Man sollte so spielen, wie es einem in die Beine gegeben ist.«

      Der Neuling aus Ulm dachte nicht daran, sich zu verstecken. Er forderte seinen Platz und zeigte sich selbst nach einer mäßigen Leistung in einem Vorbereitungsspiel keineswegs bescheiden. »Ich musste die mir etwas ungewohnte Rolle des Rechtsaußen übernehmen, weil Erich Maas einen Dämpfer bekommen sollte«, begründete er seine schwache Vorstellung und machte sich damit gleichzeitig bei einem Mitspieler unbeliebt. Selbst vor den Größen in der Mannschaft zeigte er keinerlei Respekt. »Der Gerd hat ganz ordentlich gespielt«, meinte er einmal nach dem Abpfiff zur Leistung des »Bombers« Müller, und über die Arbeitsauffassung seines Kapitäns witzelte er: »Der Franz Beckenbauer ist schon ein Garant dafür, dass es im Training nicht zu hart zur Sache geht.« Solche kessen Sprüche des von der »Welt am Sonntag« als »Klassenbester des DFB« titulierten Nachwuchsstürmers störten bald den Frieden in der Mannschaft. »Besonders in der ersten Zeit bei Bayern München war sein übertriebenes Selbstbewusstsein recht unangenehm für seine Umgebung«, kommentierte Lattek das vorwitzige Verhalten seine Schützlings. »Damit kompensierte er seine Sorgen. Das kam in der Mannschaft gar nicht gut an.«

      Ebenso

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