Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
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Keine Medaille, aber eine schöne Zeit
Die Triumphe bei der Europameisterschaft und in der Bundesliga waren Uli Hoeneß, der ja nach wie vor als Amateur firmierte, noch nicht genug. Nun wollte er auch noch mit der Amateur-Nationalmannschaft, für die er als Siebzehnjähriger debütiert hatte, bei den Olympischen Spielen in München nach »Gold« greifen. Trainer Jupp Derwall hatte für den Bayern-Star eine Führungsrolle vorgesehen, doch das olympische Fußballturnier lief dann sowohl für Uli Hoeneß wie für das deutsche Team äußerst enttäuschend. Schon ein Vorbereitungsspiel in Flensburg gegen Schweden, das mit 1:5 verloren ging, ließ Böses erahnen. Der Nationalspieler, zuvor noch jubelnd begrüßt, wurde mit Pfiffen verabschiedet. Im August war die Derwall-Elf bei Olympia zunächst erfolgreich, allerdings ohne wesentliche Mithilfe des im Bayern-Trikot so erfolgreichen Stürmers. 13 Tore gab es in der Vorrunde gegen namenlose Gegner wie Malaysia, Marokko und die USA, doch keines ging auf das Konto von Uli Hoeneß, der zudem nach einem indisponierten und undisziplinierten Auftritt im ersten Spiel vorübergehend auf die Bank verbannt worden war. In der Zwischenrunde musste das Team alle Medaillenträume begraben. Einem 1:1 gegen Mexiko und einem 1:4 gegen Ungarn folgte, im ersten Aufeinandertreffen zweier deutscher Mannschaften überhaupt, ein 2:3 gegen die DDR, den späteren Gewinner der Bronzemedaille. Gegen die Ostdeutschen – deren Team übrigens weitgehend identisch war mit jenem, das zwei Jahre später bei der Weltmeisterschaft für Furore sorgen sollte – schoss Uli Hoeneß sein einziges Tor im gesamten Turnier. Mit fünf Toren wesentlich besser hatte sein Sturmkollege Ottmar Hitzfeld abgeschnitten, ein beim FC Basel kickender Vertragsamateur, von dem man viel weniger erwartet hatte.
Der Kleinverdiener Hitzfeld hatte den neureichen Hoeneß während des Turniers fast ungläubig bestaunt: »Er ist mit dem Porsche rumgefahren, während wir im Mannschaftsbus saßen.« Porschefahren sei nicht unbedingt leistungsfördernd, meinten denn auch einige Kommentatoren wie Gerhard Seehase, der in der »Welt« zu dem Urteil kam, in Hoeneß’ schwachen Leistungen komme das Problem eines zum »Star« erhobenen Spielers zum Ausdruck, der an seinen eigenen Erwartungen scheitert. Der Gescholtene selbst, der nun nach 22 Spielen seine Karriere in der Amateur-Nationalmannschaft beendete, wollte freilich nicht der Alleinschuldige sein. Er kritisierte das mangelhafte Zusammenspiel und machte den hohen und letztlich unerfüllbaren Erwartungsdruck, der auf ihm gelastet habe, als Ursache für die enttäuschenden Leistungen aus.
Weder Prämien noch Ruhm hatte es bei den Olympischen Spielen gegeben – und doch sollte sich Uli Hoeneß in späteren Jahren immer wieder gerne an diese Wochen zurückerinnern. »Ich habe als aktiver Olympiateilnehmer 1972 bis zum Attentat eine der schönsten Zeiten meines Lebens verbracht, im Dorf. Diese Ungezwungenheit, diese Fröhlichkeit. Diese Dinge muss man erlebt haben, um die Begeisterung für Olympia im Herzen zu tragen.« Uli Hoeneß war einer, der sich für die olympische Idee aufrichtig begeistern konnte. Aber natürlich blieb er darüber immer ein kühl kalkulierender Profi. Das heißt: Ein solcher musste der bisherige »Olympia-Amateur« in der Wirklichkeit des Fußballerlebens erst noch werden. Vor dem olympischen Fußballturnier hatte er »Garantien« von den Bayern für den nach den Spielen anvisierten Profivertrag verlangt, und um seine Forderungen zu unterstreichen, hatte er mit vielen Klubs Sondierungsgespräche geführt. Am 6. Oktober war er offensichtlich zufrieden mit dem Bayern-Angebot und unterschrieb einen Zwei-Jahres-Vertrag beim amtierenden Deutschen Meister. Hinzu kam, dass in München die Aussichten auf Ruhm und Prämien durch die Qualifikation für den Europapokal der Landesmeister äußerst vielversprechend waren.
Am 15. November gelang Uli Hoeneß beim souveränen 5:1 der »richtigen« Nationalmannschaft gegen die Schweiz eine Art Comeback. Seine Aufstellung war nach den schwachen Vorstellungen in der Olympia-Auswahl nicht unumstritten, und so war er überglücklich, bei diesem Länderspiel im Düsseldorfer Rheinstadion endlich wieder mit einer guten Leistung überzeugen zu können. Das Nachspiel war dann weniger gut für ihn. Es war ein tolles Spiel gewesen, alle waren in Feierlaune, keiner wollte gleich ins Bett, selbst der Bundestrainer genehmigte sich einen Schluck – und Uli Hoeneß samt einigen Nationalmannschaftskollegen unternahm einen Ausflug in die berüchtigte Düsseldorfer Altstadt. Morgens um vier soll er quietschfidel und in weiblicher Begleitung in einer Diskothek gesichtet worden sein. Als der FC Bayern drei Tage später gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 1:3 verlor und dabei vor allem die Nationalspieler eigenartig müde wirkten, forschte Udo Lattek nach – dann tobte er und kündigte an, die Spieler künftig früher ins Bett zu schicken.
Trotz früherem Zapfenstreich wiederholten die Bayern in der Saison 1972/73 souverän ihren Triumph des Vorjahres – zu dem Uli Hoeneß 17 Treffer beisteuerte –, beendeten die Spielzeit dann aber mit einem erneuten Eklat. Die Veröffentlichung von Fotos der nackten Spieler, die sich ausgelassen im Entmüdungsbecken tummelten, provozierte Empörung bei den Vereinsoberen und schließlich Paul Breitners epochale Frage: »Kann denn in diesem Scheißverein niemand gescheit feiern?« Aber der Mangel an gescheitem Feiern war in dieser Saison nicht das einzige Problem gewesen. Schlimmer war noch, dass man international nicht gewinnen, ja nicht einmal gescheit – also wenigstens knapp – hatte verlieren können. Nach 13 Toren gegen den »Niemand« Omonia Nikosia war im Europapokal bereits im Viertelfinale das »Aus« gekommen: Am 7. März 1973 waren völlig chancenlose Bayern in Amsterdam gegen Johan Cruyffs Ajax mit 0:4 untergegangen; es war ein fürchterliches Debakel, das auch ein nutzloser 2:1-Sieg im Rückspiel nicht mehr hatte abmildern können.
In der Saison 1973/74 kamen die Bayern nun auch noch in der Bundesliga ins Trudeln. Am 20. Oktober, dem zwölften Spieltag, führten die Münchner in Kaiserslautern zur Halbzeit scheinbar sicher mit 3:1 – dann aber folgte in der zweiten Spielhälfte eine noch nie erlebte kalte Dusche. Am Ende mussten bedröppelte Meisterspieler ein kaum zu fassendes 4:7 mit nach Hause nehmen. Beckenbauer machte dafür unter anderem Uli Hoeneß verantwortlich, der an diesem Tag nicht viel zustande gebracht hatte. Der Gescholtene selbst erläuterte später: »Ja, wir haben schon mal abgehoben. Herrje, wir waren damals noch blutjung und hatten doch schon fast alles erreicht, was sich ein Fußballer erträumen kann.«
Aber man fing sich wieder. Die Wiedergutmachung folgte mit einem tollen 4:3 gegen Borussia Mönchengladbach, und Uli Hoeneß setzte sowohl in diesem Spiel (ein Tor) wie überhaupt in dieser Saison noch einige Glanzpunkte. Wieder wurden die Bayern Meister, diesmal nur hauchdünn mit einem Punkt Vorsprung vor den Gladbacher Borussen, und wieder machte Uli Hoeneß alle Spiele mit und erzielte mit 18 Treffern einen persönlichen Torrekord. Das letzte Saisonspiel fand am 18. Mai in Mönchengladbach statt und endete mit einem grauenhaft klingenden Ergebnis – 0:5. Doch keiner ärgerte sich. Erstens änderte es am Ausgang der Spielzeit nichts mehr, und zweitens war es verzeihlich. Denn die eigentliche Geschichte dieser Saison hatten die Bayern nur einen (!) Tag zuvor in Brüssel geschrieben.
Wirbel im Europapokal
»Von seinen 8.400 Einwohnern waren 9.300 gekommen, um ihre Mannschaft siegen zu sehen«, hatte eine südschwedische Zeitung ihren Bericht über ein denkwürdiges Europapokalspiel am 3. Oktober 1973 eingeleitet. Es war die 1. Runde des Landesmeister-Cups, als die Bayern mit einem komfortablen 3:1-Sieg aus dem Hinspiel im Rücken gegen den Klub aus der kleinen schwedischen Stadt Atvidaberg antraten. Zwar hatten sie sich vor heimischem Publikum