Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

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Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein

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ein schier unüberwindbar scheinender Gegner auf die Elf des DFB. Während des Turniers waren die Holländer um den genialen Spielmacher Johan Cruyff beinahe zu Fußballgöttern aufgestiegen. Außer bei einem 0:0 gegen Schweden hatten sie bei allen Auftritten geglänzt und mit ihrem »totalen Fußball«, bei dem jeder Spieler auf jeder Position auftauchen konnte, sämtliche Gegner in Grund und Boden gespielt. Die Deutschen waren nicht viel mehr als ein bemitleideter Außenseiter, zumal die Bayern – also der Kern der Nationalmannschaft – im Europapokalspiel des Vorjahrs gegen Cruyffs Ajax Amsterdam mit 0:4 untergegangen waren: Kurz, so Hoeneß, »wir galten als Mannschaft, für die Holland einfach eine Nummer zu groß sein musste«.

      Der Bayern-Stürmer selbst hatte noch dazu das Problem, dass er sich mit einer fiebrigen Erkältung herumschlagen musste. In der Befürchtung, nicht aufgestellt zu werden, hielt er sein Handicap geheim und besorgte sich unter der Hand Medikamente zur Selbstbehandlung. Vielleicht hatte es ein wenig mit seiner mangelnden Fitness zu tun, dass er etwas unkonzentriert war und gleich in der ersten Minute des Spiels mit einer unglücklichen Aktion ins Zentrum des Geschehens rückte. Nach ein paar kurzen Ballstafetten der Holländer trat Johan Cruyff zu einem Solo an, kam an seinem Bewacher Berti Vogts vorbei, strebte der Strafraumgrenze zu – und fiel über das ausgestrecke Bein von Uli Hoeneß. »Ich könnte es beschwören«, meinte der: »Der ›Tatort‹ war nicht im Strafraum. Schwarzenbeck, der Taylors Pfiff gehört hatte, und Franz Beckenbauer riefen fast im Chor: ›Mauer machen.‹ Sie glaubten ebenso wie ich, der Pfiff konnte nur einen Freistoß bedeuten. Doch als ich Herrn Taylor mit ausgestrecktem Arm Richtung Elfmeterpunkt marschieren sah, war ich vor Schreck fast erstarrt. Das durfte und konnte doch nicht wahr sein! Es war leider wahr! Erst als Neeskens Name als Torschütze oben auf der elektronischen Anzeigetafel erschien, wurde ich wieder wach: Im WM-Finale nach 60 Sekunden mit 0:1 im Rückstand! Ohne dass einer von uns den Ball berührt hatte. Waren die Holländer wirklich solche Teufelskerle?«

      Die Deutschen fanden mit ihrer altbewährten Tugend, der Kampfkraft, allmählich immer besser ins Spiel. Berti Vogts legte Johan Cruyff an die Leine, und Paul Breitner verkürzte nach einem ebenfalls fragwürdigen Elfmeter, verursacht durch einen Hauch von Foul an Bernd Hölzenbein, in der 25. Minute auf 1:1. Eigentlich war Gerd Müller als Elfmeterschütze bestimmt, doch plötzlich war Breitner losgerannt und hatte den Ball ins Netz gedonnert. »Es war sein drittes, lebenswichtiges Tor des Turniers«, kommentierte Uli Hoeneß voller Anerkennung, »und das als Verteidiger!« Müller steuerte seinen Treffer in der 43. Minute bei, als er eine Bonhof-Flanke von rechts kurz stoppte und nach rascher Drehung auf typische Müller-Art – und mit etwas Glück – zur 2:1-Führung verwandelte. In der zweiten Halbzeit folgte ein Sturmlauf der Holländer, bei dem die deutsche Nationalelf mit unbändiger Willenskraft und einem überragenden Sepp Maier im Tor glücklich dagegen hielt. Uli Hoeneß rackerte und spurtete unentwegt und sorgte mit Konterattacken, bei denen zweimal nicht viel zum entscheidenden 3:1 gefehlt hätte, für Entlastung. Endlich hatte er die Leistung gebracht, kommentierte der »Kicker«, die seine Anhänger schon in den vergangenen Spielen von ihm erwartet hatten. Und am Ende vibrierte das Zeltdach des Olympiastadions unter dem Jubelschrei von 80.000 Zuschauern: Weltmeister! Der Jubel schwoll zum Orkan an, als Kapitän Beckenbauer die von FIFA-Präsident Sir Stanley Rous überreichte WM-Trophäe in die Höhe stemmte, und als sich die Spieler nach der offiziellen Zeremonie auf die Ehrenrunde machten, wollte der begeisterte Beifall noch immer kein Ende nehmen.

      Es folgte das feucht-fröhliche Nachspiel. Hoeneß: »In der Kabine stand Sekt parat, kistenweise. Davon war bald nichts mehr übrig. Leicht selig fuhren wir zum offiziellen Bankett ins Hilton-Hotel. Ebenfalls beim Bankett: die Holländer. Wenn auch, verständlicherweise, mit ernsteren Gesichtern. Einige drückten uns, leicht verschämt, die Hand. Andere besahen sich unsere überschäumende Freude etwas nachdenklich aus einer Ecke. Langsam tauten auch sie auf, die sich im Finale als großartige Mannschaft präsentiert hatten.« Die Offiziellen des DFB, die den Frauen der Spieler die Teilnahme am Bankett untersagt hatten, tauten allerdings nicht auf. Und so wurde Uli Hoeneß’ Frau Susi, die trotz des Verbotes am Tisch der Weltmeister Platz genommen hatte, zum Ausgangspunkt eines heftigen Streits. DFB-Funktionär Deckert erschien am Tisch und bestand darauf, dass Frauen den Saal zu verlassen hätten. Laut Franz Beckenbauer entspann sich daraufhin folgender Dialog:

      Uli Hoeneß (auf einige ältere Damen mit Perücken hinweisend, die an der Funktionärstafel dinierten): »Aber da sind ja auch andere Frauen.«

      Deckert (die Hände flach auf den Tisch legend, wütend): »Das sind die Damen der Offiziellen, das ist etwas ganz anderes. Hier herrscht noch Zucht und Ordnung. Maßen Sie sich nicht Rechte an, die Ihnen nicht zustehen.«

      Uli Hoeneß: »Halten Sie doch die Luft an.«

      Damit stand Uli Hoeneß auf und verließ mit seiner Frau den Saal, Beckenbauer folgte ihm. »Mit seiner geschlossenen Gesellschaft hatte sich der DFB selbst an den Pranger gestellt«, resümierte Beckenbauer. »Gerd Müller erklärte noch in der gleichen Nacht seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Andere schlossen sich an.«

      Der Vorfall zeigte, dass mit den Weltmeistern von 1974 eine neue Generation von Spielern herangewachsen war. Sie hatte sich weit entfernt von der Generation der Arbeiterkinder, die meist nur für einen angestammten Verein gegen das Leder traten und sich davon einen bescheidenen Ruhm als »local hero« sowie gewisse berufliche Privilegien versprachen. Jetzt waren es Profis, die im Zuge einer kontinuierlich ansteigenden Kommerzialisierung des Spiels ihren Wert einzuschätzen wussten, denen bewusst war, dass sie die Zuschauer in die Stadien und vor den Fernseher lockten, die Kasse klingeln ließen und die Bühne für die Funktionäre bereiteten. Fußball war nicht mehr nur in trauter Vereinstümelei betriebener Sport, sondern Teil der Unterhaltungsindustrie. Die höhere mediale Beachtung hatte die Helden des Rasens in einen Rang ähnlich den Stars der Popmusik erhoben, und dementsprechend hatte sich auch ihr Verhalten geändert.

      Dieses neue Selbstbewusstsein hatte aber nicht nur mit dem gestiegenen Ansehen und Einkommen der Sportler zu tun. Über allem lag ein Hauch von »’68«. Das dokumentierte sich in den langen Haaren und dem lässigen Auftritt, im Aufbegehren gegen verknöcherte Autoritäten, das selbst den überzeugten CSU-Wählern unter den Profis nicht fremd war, sowie in einem anderen Verständnis über die Rolle der Frauen. Der Eklat im Hilton war also keineswegs nur ein zufälliges Ereignis, sondern Ausdruck eines Zeitenwandels, der aus Fußballspielern selbstbewusste Stars gemacht hatte – Stars, die in vorher noch nicht dagewesener Weise von jungen Leuten umjubelt wurden, so etwa durch die Schüler, die an ihrer Lehranstalt in Ulm ein Transparent mit dem Namen »Uli-Hoeneß-Gymnasium« entrollten.

       Ein angeschlagener Weltmeister

      Im Jahr 1974 standen die Bayern auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Deutscher Meister, Europapokalsieger und – Weltmeister, denn bei der WM hatten ja mit Maier, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Breitner, Müller und Hoeneß sechs Bayern zur Stammformation gezählt. Zum Bundesliga-Auftakt gegen Offenbach im Frankfurter Waldstadion machte Karl-Heinz Rummenigge sein erstes Spiel und erlebte gleich den Beginn der ersten großen Bayern-Krise: Die Männer um Beckenbauer und Müller schossen kein einziges Tor, die Gegner deren sechs. Bayern begann die Saison als Tabellenletzter. Danach wurde es nicht allzu viel besser. Offenkundig waren viele Spieler nach den großen Triumphen satt. Außerdem gingen den Bayern die Kräfte aus, denn die Auswechselbank war schmal und qualitativ nicht gut besetzt. Dazu war die Stimmung im Verein alles andere als harmonisch. Die vergangenen Erfolge hatten die Mannschaft nicht zusammengeschweißt, im Gegenteil: Überall wucherten Neid und Missgunst und trieben tiefe Risse in das Mannschaftsgefüge.

      Die Bayern waren kein Team mehr, sondern mutierten zu einem Ensemble aufeinander eifersüchtiger Stars, in dem jeder seine Pfründe verteidigte. Als die Weltmeister drei Wochen vor dem Auftaktspiel der neuen Bundesligasaison ins Training einstiegen, war die Stimmung aufs Äußerste gespannt. Deutlicher Ausdruck der allgemeinen Gereiztheit war Uli Hoeneß’ Reaktion auf das Gerücht, die Bayern wollten den bei der WM groß herausgekommenen Polen Gadocha verpflichten: »Wir können nicht noch einen Star in der Mannschaft

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