Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
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Ein Ball im Nachthimmel von Belgrad
Bei der Endrunde zur Europameisterschaft 1976, die am 22. Mai 1976 mit dem Viertelfinale gegen Spanien im Olympiastadion begann, waren nur noch vier Bayern im DFB-Team dabei: Maier, Beckenbauer, Schwarzenbeck und eben Uli Hoeneß, der wegen seiner Verletzungen ein Jahr lang in der Nationalmannschaft hatte pausieren müssen. Nach einigen starken Darbietungen in der Bundesliga holte der Bundestrainer nun den mit 24 Jahren immer noch sehr jungen Bayern-Spieler in die Nationalelf zurück. Das lange Tief hatte bei dem ehemaligen Himmelsstürmer, dem bis zum WM-Gewinn 1974 alles zugeflogen war, eine deutlich spürbare charakterliche Veränderung bewirkt. »Er ist reifer geworden«, bemerkte Bundestrainer Helmut Schön, »er hat über sich nachgedacht.«
Uli Hoeneß’ Rückkehr stand unter einem guten Stern: Er spielte gut und erzielte den ersten von zwei deutschen Treffern zum letztendlichen 2:0-Sieg gegen die Spanier. Aber es sollte das letzte von insgesamt fünf Länderspieltoren des Uli Hoeneß bleiben. Nach einem schwer erkämpften 4:2 gegen Jugoslawien, das der neue Stürmerstar Dieter Müller durch zwei Treffer in der Verlängerung entschied, wartete im Endspiel von Belgrad die Tschechoslowakei. Dort stand es nach einem dramatischen Spiel und Hölzenbeins Ausgleich in letzter Minute nach der regulären Spielzeit 2:2. Als auch die torlose Verlängerung keine Entscheidung gebracht hatte, kam es zum Elfmeterschießen – und zu einem traumatischen Erlebnis für Uli Hoeneß.
Einmal war der ansonsten matte Bayern-Stürmer im Spiel an seinem Bewacher Koloman Gögh vorbeigezogen, hatte den Ball dann aber an den Pfosten gesetzt. »Aus drei Metern hatte ich abgedrückt, dumpf war der Knall. Hätte ich nur getroffen!«, stöhnte er hinterher. »Das wäre der Sieg gewesen – es wäre nie zu diesem verdammten Elfmeterschießen gekommen.« Nach dem Abpfiff der Verlängerung lagen die Spieler erschöpft im Mittelkreis, tranken Wasser und kühlten sich mit feuchten Schwämmen und Eiswürfeln. Helmut Schöns Assistent Jupp Derwall sprach auf der Suche nach den Elfmeterschützen nacheinander jeden einzelnen Spieler an. Drei hatte er schnell gefunden: Flohe, Bonhof und Bongartz. Der Rest wollte nicht. Beckenbauer wollte nicht, und der völlig platte Hoeneß wollte auch nicht. Da meldete sich plötzlich der Torwart, Sepp Maier: »Dann schieß halt ich.« Nun war Beckenbauer ganz erschrocken und erbarmte sich: »Bevor der schießt, dann lieber ich.« Fehlte noch einer. Derwall sagte in Richtung Hoeneß: »Dann muss eben der junge Dieter Müller schießen.« Jetzt erbarmte sich endlich auch Hoeneß und willigte ein.
Masny, Nehoda, Ondrus und Jurkemik hatten für die Tschechoslowaken getroffen, Bonhof, Flohe und Bongartz für die Deutschen, als sich Uli Hoeneß mit weichen Knien auf den Weg zum Elfmeterpunkt machte. Die Entfernung zum Tor wurde in seinem Kopf lang und länger. »Ich war so weggetreten, wie es sonst nur im Konzertsaal passieren kann. Ich merkte nicht, dass da überhaupt Leute drin waren, im Stadion. Einsam spazierte ich auf den weißen Punkt, rings um mich Sahara. ›Ins rechte Eck kannst du nicht schießen‹, dachte ich, denn dann müsste ich mit der Innenseite schieben. Das erfordert Konzentration, die nicht mehr da ist. ›Also donnerst du den Ball mit dem Innenspann ins linke Eck. So hart, dass notfalls der Torwart mit dem Ball ins Tor fliegt.‹ Ich wanderte immer noch …« Dann der Moment der Wahrheit: »Ich legte den Ball irgendwo auf den Punkt – wie in Trance. Ich lief an, ich schoss, ohne auf den Torwart zu blicken. Ich schaute dem Ball nach, sah ihn immer höher steigen. Wie eine Weltraumrakete von Cape Kennedy sauste er in Richtung Wolken. Unerreichbar. Da kam kein Torwart mehr ran, niemand konnte ihn halten, so hoch flog der. Nur im Tor war er nicht gelandet, dieser Ball.« Den Schlusspunkt des Spiels setzte Panenka, der Sepp Maier listig verlud und dann den Ball in die Mitte des Tores schob. Hoeneß hatte den Rest des Dramas wie betäubt verfolgt. »Ich bin froh, dass du den verschossen hast«, sagte Beckenbauer zu ihm, um ein tröstliches Wort bemüht. »Ich wäre nach dir gekommen, und wer weiß, ob ich dann nicht derjenige gewesen wäre.« Doch Uli Hoeneß war untröstlich. Dieser verschossene Elfmeter war eine Sache für die Geschichtsbücher. Dort wird er ewig stehen.
Mit dem Ball im Nachthimmel von Belgrad begann der Abgang des Fußballspielers Uli Hoeneß. Sein 35. und letztes Länderspiel bestritt er im November desselben Jahres bei der freundschaftlichen Revanche gegen die Tschechoslowaken, die in Hannover glückte (2:0). Kurz darauf holte er mit dem Weltpokal seinen letzten internationalen Titel im Trikot des FC Bayern (2:0 und 0:0 gegen den Südamerika-Meister Cruzeiro Belo Horizonte). In der Hinrunde der Bundesligasaison 1976/77 gelangen ihm immerhin acht Tore und vier Torvorlagen, doch es war offensichtlich, dass der angeschlagene ehemalige Weltklassestürmer sein altes Niveau einfach nicht mehr erreichen konnte. Präsident Neudecker erklärte bei der Jahreshauptversammlung der Bayern: »Wir brauchen keine Märtyrer.« In der Rückrunde wurde es nicht mehr besser. Im Februar 1977 entdeckte Professor Klümper in Freiburg ein markstückgroßes Loch in der rechten Leiste – Uli Hoeneß spielte trotzdem weiter bis zum 12. März, da Gerd Müller sich im Krankenstand befand. Parallel zu seinem anhaltenden Verletzungsdrama setzte sich, begleitet vom Unmut der eigenen Fans, der Niedergang der einstigen Erfolgself fort. Es gab Pfiffe für Hoeneß, der nicht mehr so konnte, wie er wollte, und für die Mannschaft, die nicht mehr zu siegen vermochte: »Aus« im DFB-Pokal, »Aus« im Europapokal, und in der Bundesligasaison 1977/78 folgte mit Rang zwölf die schlechteste Platzierung seit dem Aufstieg 1965.
Vor der WM 1978 tat der angeschlagene Uli Hoeneß alles, um sich noch einmal für die Nationalmannschaft ins Gespräch zu bringen. Er rief regelmäßig Bundestrainer Helmut Schön an, laut einem Artikel im »Fußballmagazin« ging er sogar so weit, von Journalisten nach einigermaßen gelungenen Spielen hervorragende Noten geradezu zu fordern. Wer ihn seiner Meinung nach zu schlecht beurteilt hatte, den soll er demnach per Telefon gestellt haben: »So schlecht, wie du mich gemacht hast, habe ich am Samstag bestimmt nicht gespielt. Ihr solltet euch mal ein Beispiel an den Kollegen in anderen Städten nehmen. Die schreiben ihre Spieler richtig in die Nationalmannschaft rein.«
Obwohl er bei 30 Saisoneinsätzen immerhin zu respektablen elf Toren gekommen war, wurde es nichts mehr mit einem Comeback im DFB-Trikot. Und seine Karriere neigte sich nun auch bei den Bayern ihrem Ende zu.
KAPITEL 2
Der umtriebige Macher
Uli Hoeneß und seine zahllosen Geschäfte
Der Aufstieg des Uli Hoeneß zum Fußballstar war erstaunlich, aber nicht beispiellos. Der kleine Bub aus der Ulmer Metzgerei musste sich enorm anstrengen, um nach oben zu kommen. Aber so wie er haben auch die anderen Bayern-Größen, die ebenfalls allesamt aus einfachen Verhältnissen stammten, für ihren Aufstieg gekämpft. Der Vater von Franz Beckenbauer war Postbeamter, Karl-Heinz Rummenigge kam aus einer Werkzeugmacher-Familie, Sepp Maier war Maschinenschlosser, Gerd Müller hatte den Beruf des Webers erlernt. Alle nutzten sie die Chance, die ihnen der Fußball bot. Und alle waren sie dankbar. So wie Uli Hoeneß. »Dass es so gekommen ist«, kommentierte er seinen Weg auf den Gipfel des Erfolges, »erfüllt mich bis heute mit tiefer Demut.«
Anders als seine Mannschaftskameraden wollte sich Uli Hoeneß allerdings nicht mit einer Karriere als Fußballspieler begnügen. Will man Parallelen zum Werdegang des Bayern-Managers finden, so muss man über den Tellerrand des Fußballs hinausschauen.
Uli