Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
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Ein »Gscheitle« mit Geldinstinkt
Typisch für Uli Hoeneß ist es, wie er die Geschichte von seinem ersten sportlichen Erfolg als Sechsjähriger erzählte: »Ein Sieg, ich schoss mein erstes Tor – und mein Onkel stiftete die erste Prämie meines Lebens: Er steckte zehn Mark in mein Sparschwein.« Andere hätten diese »Prämie« vielleicht vergessen, für ihn aber war sie genauso erwähnenswert wie das Tor.
Das Geld spielte ein große Rolle in dem grau verputzten, schlichten Haus Am Eselsberg 1, wo die Familie Hoeneß lebte und arbeitete. Als Kind ist Uli Hoeneß im elterlichen Geschäft mit dem ganzen Ernst des mittelständischen Berufslebens konfrontiert worden. Vater Erwin war Metzger mit Leib und Seele, stand ab morgens um drei bis spätabends in der Wurstküche, Mutter Paula hat im Laden verkauft, am Wochenende die Buchhaltung gemacht und zwischendurch die Kinder großgezogen. »Unser ganzes Leben war auf den Betrieb abgestimmt«, erzählte Sohn Uli. »Ich war schon immer kaufmännisch orientiert und habe samstags, wenn keine Schule war, hinter der Kasse gestanden. Ich wusste genau, was eine Lyonerwurst kostet.« Während der Fußball trotz allen Ehrgeizes vor allem auch eine Lust blieb, wurde ihm der Umgang mit Geld, der ihn schon immer faszinierte, geradezu zu einer Sucht. Hinter der Kasse zu stehen, gestand Hoeneß, »war meine Leidenschaft, und das scheint mich bis heute geprägt zu haben«. Fiel beim Kassieren ein Geldstück durch den Holzrost am Boden, so eine oft zitierte Geschichte, musste Uli nach Ladenschluss so lange danach suchen, bis die Tagesbilanz des kleinen Handwerksbetriebs wieder stimmte. »Ich sehe nicht ein«, sagte er noch Jahrzehnte später, »dass man zehn Cent irgendwo liegen lässt, nur weil sie verdreckt sind.«
Im Gegensatz zu ihm habe sein Bruder Dieter nie in der Metzgerei geholfen. »Dieter war eher der Künstler, der gemalt hat.« Ja, bestätigte Mutter Paula, »Dieter war ein Rechengenie und musisch begabt. Er konnte besser malen und singen als Uli.« Uli dagegen war das »Cleverle« von den beiden und besaß das größere Durchsetzungsvermögen. Uli hatte auch schon früh eigene Geschäftsideen. »Einmal zogen Uli und ich mit Hammer, Meißel und Schubkarre los«, erzählte Dieter. »Wir bauten Quarzsteine ab und dachten, eine Fensterfirma würde sie uns abkaufen.« Tatsächlich wurden sie die Steine los: Mutter Paula hatte den Leuten von der Fensterfirma Geld gegeben und sie gebeten, zum Schein auf den Deal einzugehen, um die Jungen nicht zu enttäuschen. Als die Eltern dann ihre Kinder irgendwann über den wahren Sachverhalt aufgeklärt hatten, wurde der Satz: »Verkauft ihr wieder Steine?«, zu einem Running Gag in der Familie.
Die typischste Hoeneß-Jugendgeschichte ist aber wohl nicht die Sache mit den Steinen, sondern die, in der es um einen besonders tollen Ball geht, der bei »Sport Sohn« in Ulm im Schaufenster lag. Er war nicht braun wie die gewöhnlichen Bälle, sondern schwarz-weiß. Es war ein sogenannter Flutlichtball, und er kostete die stattliche Summe von 34 Mark. In den Ferien arbeitete der Dreizehnjährige vier Wochen lang bei der Lebensmittelfirma Gaissmaier als Beifahrer, um das Geld aufbringen zu können. Nach der Arbeit fuhr er jeden Tag mit dem Fahrrad zu dem Sportgeschäft, um zu sehen, ob der Ball noch da war. Und als er dann das Geld zusammenhatte, kaufte er sich das begehrte Objekt und war fortan der König. Denn wenn er mit dem Flutlichtball auf die Spielwiese kam, konnte er jetzt sagen: »Du darfst mitspielen, du darfst mitspielen – und du nicht.« So war aus dem kleinen Hoeneß, der sich gegen die Größeren immer hatte durchboxen müssen, plötzlich der Bestimmer geworden, der alle, die ihm nicht passten, auf die Ersatzbank verbannen konnte. Da war wohl schon angelegt, dass er einmal mehr werden wollte als nur ein Fußballspieler – nämlich einer, der die Spielbedingungen dirigieren kann.
Bei der Sache mit dem Flutlichtball von »Sport Sohn« hatte der kleine Uli gelernt, dass eine besondere Anstrengung auch einen besonderen Lohn nach sich zieht. Das Vorbild der Eltern allerdings war gerade in dieser Hinsicht irgendwann nicht mehr sonderlich überzeugend. »Die Eltern haben uns Kinder das Arbeiten gelehrt und dass man nur durch Leistung nach oben kommt«, so Hoeneß. Das Problem dabei war nur, dass die Eltern ja selbst nie so richtig nach oben kommen wollten. Man lebte sehr bescheiden, konnte sich nie viel leisten. In seiner Kindheit sei es schon das »Allergrößte« gewesen, wenn die Eltern mit den Kindern für eine Woche zum Zelten nach Italien gefahren sind. Im Wesentlichen bestand das Leben der Familie aus Arbeit. Aus sehr viel Arbeit. Und die Arbeit in der Metzgerei war äußerst anstrengend, insbesondere an Weihnachten. »Da wurde gearbeitet, bis die letzte Gans verkauft war. Am Heiligabend um zehn Uhr waren wir dann alle tot. Wir konnten gerade noch etwas Anständiges essen, dann sind wir ins Bett gefallen.«
Die oft recht bedrückende Stimmung zur Weihnachtszeit hatte aber nicht nur etwas mit den Anstrengungen zu tun. Denn sie war immer davon abhängig, wie das Geschäftsjahr gelaufen war; und das war häufig schlechter gelaufen als erhofft. »Wenn man an einem Samstag mal nur 1.200 statt 1.500 Mark umgesetzt hat, hieß es gleich: Was ist da los? Hat die Schinkenwurst nicht gepasst? Im Sommer haben wir manchmal Sportfeste beliefert. Da hat mein Vater die ganze Nacht Wiener und Bratwürste gemacht. Und dann hat’s geregnet – ein Drama.« Die Konsequenz des Sohnes lautete: »So wollte ich es später nie haben. Ich war bereit, hart zu arbeiten, aber ich wollte die Sonntage sorgenfrei verbringen können.« So viel wie der Vater zu arbeiten, von drei Uhr morgens bis spätabends, dabei nur wenig Geld erwirtschaften und dann auch noch Existenzängste ausstehen müssen – was das heißt, so Hoeneß, habe er nie vergessen. Für ihn war klar, dass Aufwand und Ertrag in einem anderen Verhältnis stehen müssen als im Berufsleben seines Vaters.
In einem aber waren und blieben die Eltern Vorbild: in der Vorsicht, das Geld zusammenzuhalten. Im Haus von Erwin und Paula Hoeneß wurde nie mehr Geld ausgegeben, als da war, Schuldenmachen war verpönt. Sohn Uli hielt sich an das elterliche Gebot, und der Gedanke an eine Kreditaufnahme sollte ihm auch in seinen späteren Jahren als Bayern-Manager stets zuwider bleiben. »Das ist eine rein menschliche Sache«, begründete er diese schwäbische Bedachtsamkeit. »Manche können mit Schulden leben und sind bereit, gewisse Risiken einzugehen. Meine Sache ist das nicht. Ich habe noch nie Schulden gemacht, auch im Privaten nicht.« Insofern ist es wohl kein Zufall, dass er seinen ersten großen geschäftlichen Erfolg als »Schuldenvernichter« feierte: Als Schulsprecher des Schubart-Gymnasiums sanierte er die defizitäre Schülerzeitung. Der Chefredakteur war ein guter Schreiber, aber ein Chaot. Also ließ Hoeneß ihn schreiben, während er sich um die Geldbeschaffung kümmerte. Und bald hatte er so viele Anzeigenkunden für die »Schubart-Chronik« geworben, dass alle finanziellen Sorgen der Vergangenheit angehörten. »Plötzlich hatten wir einen Überschuss«, berichtete Uli Hoeneß stolz, »und mit dem haben wir jedes Jahr ein Riesenschulfest für 2.000 Leute veranstaltet.« Geradezu »legendär« seien diese Schulfeste in seiner »Ägide« gewesen, schwärmte noch der Fünfzigjährige: »Höhepunkte in Ulms Kulturleben.« Alle seien begeistert gewesen, vor allem seine Kumpels, die als Ordner arbeiteten und dafür Freibier erhielten. »Einer hat 25 Halbe geschafft an einem Tag.«
Der Macher selbst langte beim Bier weniger hin und erfreute sich vielmehr an einem anderen angenehmen Nebeneffekt seiner Tätigkeit. Zur Professionalisierung der Schülerzeitung hatte er eine Kooperation mit einer Mädchen-Realschule initiiert und dabei ein nettes Mädchen