Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Das Prinzip Uli Hoeneß - Christoph Bausenwein

Скачать книгу

darfst du nie aufs Tor schießen«, hatten ihn seine Mitspieler stets ermahnt, denn »Katsches« Schussversuche waren in der Regel grauenvoll. Aber in seiner Verzweiflung zog er diesmal, aus 30 Metern, einfach ab – und der Ball war drin. Das 1:1 kam so überraschend, dass alle für einen Moment voller Verblüffung erstarrten – dann pfiff der Schiedsrichter, und die durch eine Art Wunder erlösten Bayern fielen sich freudestrahlend in die Arme.

      Da Endspiele damals noch nicht durch Elfmeterschießen entschieden wurden, musste der Sieger in einem Wiederholungsspiel ermittelt werden. Das sollte nur zwei Tage später erneut im Heysel-Stadion zu Brüssel stattfinden. So hatte man 48 Stunden, um die Wunden zu lecken und sich Gedanken zu machen über die Fehler, die man im ersten Spiel begangen hatte. Der 22 Jahre junge Uli Hoeneß, in der Presse zuvor als »der schnellste lebende Stürmer Europas« gefeiert, gehörte zu den Bayern-Spielern, von denen die Beobachter am meisten enttäuscht waren; sein behäbiger Gegenspieler, der 34 Jahre alte Rodriguez Adelardo, hatte ihm während des gesamten Spiels kaum einen Stich gelassen. Als Susi Hoeneß am Morgen nach dem Spiel ihren Mann im Hotel »Le Grand Veneur« besuchte, sah sie sofort, dass er total deprimiert war. »Wir sagten nur ›Grüß Gott‹ zueinander und setzten uns dann auf eine Wiese. Es war ein herrlicher Sonnentag. Ich glaube, wir saßen drei Stunden wortlos da und guckten nur in die Gegend. Ich spürte, dass es besser war, meinen Mund zu halten. Irgendwie hat ihm das gut getan. Als wir uns trennten, war er ganz guter Stimmung.« Wie seine Mitspieler war auch Uli Hoeneß völlig kaputt, aber er wusste, dass die überalterten Atlético-Kicker sich vermutlich noch schwerer erholen würden als die junge Bayern-Mannschaft. Und außerdem hatte er für das Wiederholungsspiel einen Plan gefasst: »Wir müssen das Mittelfeld schneller überbrücken als am Mittwoch, damit die Spanier keine Gelegenheit haben, sich mit acht Mann zurückzuziehen. Wir Sturmspieler müssen mehr tun.« Trainer Lattek goss den Plan in den taktischen Auftrag an Müller, sich immer wieder aus der Sturmmitte zurückfallen zu lassen, dadurch seine Gegenspieler mitzuziehen und somit für die schnellen Vorstöße von Hoeneß mehr Platz zu schaffen. Mehr tun – das hieß also für Hoeneß, seine alte Rolle als voranpreschender »Jung-Siegfried« neu aufzulegen. Er interpretierte sie diesmal so bravourös wie nie zuvor.

      Schon nach einer Viertelstunde hat Hoeneß, der seinen Bewachern mit Vollgas davongezogen war, die Chance zur Führung auf dem Fuß: Gefühlvoll, aber mit etwas zu starkem Druck lupft er den Ball über den Balken. Auch Müller hat gleich darauf Pech, als sein Kopfball am Pfosten landet. Dann die 28. Minute. Breitner angelt sich kurz vor dem eigenen Strafraum den Ball, dreht sich einmal um die eigene Achse und drischt die Kugel nach vorne, dorthin, wo sein Spezi Uli wartet. Während der Ball fliegt – 40, vielleicht 50 Meter weit – sprinten Hoeneß und sein Bewacher los. Der Spanier Adelardo, der im ersten Spiel noch so souverän war, hechelt ohne Chance hinterher und muss hilflos zusehen, wie der blonde Turbo-Siegfried den mehrmals auftupfenden Ball annimmt, ihn dann mit konstant hohem Tempo in den Strafraum treibt und schließlich dem herausstürzenden Reina kaltblütig durch die Beine schiebt – 1:0.

      In der Pause herrscht in der Bayern-Kabine Zuversicht. Nach dem Wiederanpfiff ist erstmal Müller-Zeit: Vom linken Flügel flankt Kapellmann mit rechts auf den sprintenden »Bomber«, der den Ball im Sprung annimmt und dann verwandelt; das dritte Tor erzielt er mit Verstand und Gefühl per Lob über den zu weit herausgeeilten Reina – ein Weltklassetreffer. In der 82. Minute dann die Kür von Uli Hoeneß: Breitner befördert den Ball per Scherenschlag aus dem Strafraum, Müller leitet mit dem Kopf weiter zu einem Spanier, und der vertändelt den Ball, als Hoeneß dazwischenspritzt. Reporter Oskar Klose ist wie elektrisiert: »Hoeneß! Hoeneß!! Hoeneß!!! Ein Mann noch, einer ist bei ihm, an dem muss er noch vorüber, der zweite kommt … jetzt legen sie ihn um! … Nein, er macht sie alle fertig!« Ein atemberaubender Querfeldeinlauf über das Feld, bei dem Hoeneß am Ende auch noch den herausgeeilten Reina narrt und den Ball schließlich scharf unter die Latte zieht. Beide Hoeneß-Tore waren gleichsam noch verschönerte Kopien der Treffer von Dresden, mit Kraft und Raffinesse vorgetragene Sololäufe, bei denen die Gegner zu Statisten eines Heldenauftritts schrumpften.

      4:0 – eine solche Darbietung in einem solch wichtigen Spiel hatte es bis dahin noch von keiner deutschen Vereinsmannschaft gegeben. Der FC Bayern feierte seinen ersten Sieg im Europapokal der Landesmeister und den trotz aller späteren Erfolge wohl glücklichsten Tag seiner Geschichte. »An diesem Abend war ich richtig stolz auf ihn. Das ist doch schon etwas, der Europapokal«, resümierte Susi Hoeneß, die beim fulminanten 1:0-Treffer ihres Mannes auf der Tribüne vor Begeisterung geschrien hatte wie eine Verrückte. Und ihr Gatte Uli berichtete hernach von dem »Gefühl, das Rad des Lebens anhalten und eine Zeitlang auf derselben Stelle verweilen zu wollen«. Im »Kicker« wurde er gar mit dem größten aller damaligen Stars, mit Johan Cruyff, verglichen. Wenig später referierte der Hochgelobte, dass er vor dem Spiel nie zu träumen gewagt hätte, nach Dresden noch einmal zwei so wichtige und stilistisch so ähnliche Tore zu schießen. »Nämlich Tore im direkten Duell mit dem Torwart. Man sagt mir nach, dass ich in diesen Situationen einen kühlen Kopf und ein waches Auge hätte. Das muss wohl stimmen.«

      Als ein Mann, der immer in der Gegenwart lebte und stets tatkräftig nach vorne blickte, entwickelte er wenig Neigung, sich sentimentaler oder analysierender Nachbetrachtung hinzugeben. Uli Hoeneß beschäftigte sich denn auch nur selten mit seinen vergangenen Erfolgen als Fußballspieler. Nur im Fall dieses Spiels sollte er sich ab und an eine Ausnahme genehmigen: Wenn er Lust darauf hatte, sich die wohligste Gänsehaut, die er in seiner Karriere hat erleben dürfen, noch einmal hervorzuzaubern, legte er die Videokassette mit dem Triumph von Brüssel 1974 in den Rekorder.

       Der schwierige Weg zum Weltmeistertitel

      Der Europapokalsieg der Bayern war gleichsam der Auftakt eines für ganz Fußball-Deutschland herausragenden Jahres. Als Saisonhöhepunkt stand die erste in Deutschland ausgetragene Fußball-Weltmeisterschaft auf dem Programm. Nach dem letzten Test vor der WM am 1. Mai in Hamburg, einem 2:0 gegen Schweden, war Uli Hoeneß in der Presse mit der Schlagzeile gefeiert worden: »Der neue Netzer heißt Hoeneß.« Dieser Vergleich war wohl genauso unpassend wie der frühere mit Haller oder der spätere mit Cruyff, denn es handelte sich um jeweils ganz eigene Typen, deren Spielweisen kaum sinnvoll miteinander verglichen werden konnten. Unglücklich war der Vergleich darüber hinaus deswegen, weil der langmähnige Gladbacher in Hamburg selbst auf dem Platz gestanden hatte. Netzer wurde denn auch nie ein Freund von Hoeneß. Er, der selbst immer den Individualisten herausgekehrt hatte, mokierte sich vor allem über die Egomanie des jungen Bayern-Stürmers. Kurz vor der WM beschimpfte er Hoeneß in der »SZ« als »Banditen«, der wohl glaube, alleine Weltmeister werden zu können.

      Viele erwarteten, dass Hoeneß zum großen Star der WM werden könnte, unter ihnen der als »Fußballprofessor« gerühmte Dettmar Cramer, der frühere Assistent von Helmut Schön und jetzige FIFA-Trainer. »Das war sehr unglücklich«, sollte der Gelobte nach der WM äußern, es habe ihm sehr geschadet, derart »von außen hochgejubelt« worden zu sein. Vor dem Anpfiff des Turniers war er freilich noch nicht so klug gewesen und hatte sich nicht gegen solche Vorschusslorbeeren gewehrt. Er war absolut von sich überzeugt und entschlossen, die Erwartungen zu erfüllen. Konditionell, da waren sich alle Beobachter einig, würde er keinerlei Probleme bekommen. Bei einem Belastungstest vor dem Spiel gegen Chile erzielte er mit einer Pulsfrequenz von über 190 den Spitzenwert im deutschen Team. »Er ist der Typ des Zehnkämpfers und hält jegliche Belastung aus«, meinte Mannschaftsarzt Heinrich Hess.

      Aber das war die Theorie; die Praxis war das andere. Am 14. Juni, dem Tag des Auftaktspieles gegen Chile, herrschte in Berlin eine drückende Schwüle. Vorher, bei der Vorbereitung in der schleswig-holsteinischen Sportschule Malente, hatte es immer kühle Ostsee-Witterung gegeben. »Uli Hoeneß, der ohnehin gegen Klimawechsel sehr anfällig ist, schleppte sich vor dem Spiel herum, als hätte er am Vormittag das Europapokal-Finale gegen Madrid gespielt«, erzählte sein Freund Paul Breitner später. Die Deutschen konnten froh sein, dass Breitner schon in der 17. Minute das 1:0 erzielte – denn danach passierte nicht mehr viel. Kapitän Beckenbauer suchte sich hinterher vor allem Uli Hoeneß als Sündenbock für das schlechte Spiel heraus: »Wir standen vorne mit vier

Скачать книгу