Heimat?. Группа авторов

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Heimat? - Группа авторов

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im Rheinland, sich überwiegend Angehörige der gehobenen Mittelschichten zusammenfinden, um sich in „Heimat- und Bürgervereinen“ für ihre Region und ihre Mitbürger*innen zu engagieren. Landwirte fordern zum Schutz ihrer Heimat und ihrer eigenen Existenz endlich effektive Maßnahmen gegen die menschlichen Ursachen der Klimakatastrophe, während andere ihre Heimat eher durch eine sechzehnjährige Schwedin und deren Mitstreiter*innen bei den Fridays for Future gefährdet sehen. Während Geflüchtete und andere Migrant*innen versuchen, in Deutschland eine zweite Heimat zu finden, sind manche Eingeborene – in einigen Bundesländern gar über fünfzig Prozent – der Meinung, die gehören sowieso nicht zu ihrer Heimat. „Heimat“ ist eines der emotionalsten Themen überhaupt, erst recht in Zeiten, in denen politische Interessengruppen es ideologisch aufladen und für ihre Zwecke zu missbrauchen versuchen. Denn unsere Perspektive auf „Heimat“ – Wer gehört dazu? Wer nicht? – ist nicht nur durch unterschiedliche weltanschauliche Standpunkte bestimmt, sondern vor allem durch unsere eigenen autobiografischen Erinnerungen und Erfahrungen geprägt.

      Welche Gefühle löst das Wort Heimat also in unseren Köpfen aus? Steht es für Sicherheit, Geborgenheit, Natur und Liebe oder wirkt es als Drohung, Ausschluss, soziale Kontrolle? Geht „Heimat“ auch ohne Nationalismus? Welche Bedeutung hat „Heimat“ für Menschen, die das Land ihrer Kindheit und Jugend verlassen mussten? Unterscheiden sich west- und ostdeutsche Heimat-Sichten? In diesem Buch spüren 25 Schriftsteller*innen literarisch und essayistisch ihren eigenen, autobiografischen Heimat-Erinnerungen und der politischen Ambivalenz der Heimat-Renaissance nach.

      „Heimat, das ist der Ort, wo Sprache durch ungenaues Gefühl ersetzt werden darf …“ – Diese Anthologie unternimmt den Versuch, diese Gefühle zu fokussieren, den Blick – und die Sprache – ein wenig zu schärfen, ohne die Widersprüche aufzuheben. Es ist nicht das Ziel, eine einheitliche Sicht auf „Heimat“ zu entwickeln; das wird auch nicht möglich sein. Aber die folgenden Beiträge illustrieren, wie multiperspektivisch, facettenreich, dramatisch, humorvoll und lehrreich „Heimat“ sein kann.

      Das oben aus dem Zusammenhang gerissene Zitat von Siegfried Lenz verfälscht eigentlich den konkreten Sinn des wohl berühmtesten Heimatromans des 20. Jahrhunderts. Heimatmuseum erzählt von den Versuchen, das Wissen um die Geschichte, Kultur und Traditionen Masurens zu bewahren. Das autobiografisch geprägte Werk war durchaus als Liebeserklärung des Autors an seine Heimat gedacht, die so nicht mehr existierte. So wie der Ich-Erzähler Zygmunt Rogalla in seinem Museum persönliche Zeugnisse, Alltagsgegenstände und andere Artefakte sammelt, um eine bereits in der Moderne und natürlich in der Folge des Zweiten Weltkriegs untergehende Welt für die Nachgeborenen zu erhalten, so erweckt auch Siegfried Lenz mit der ausführlichen Präsentation der Menschen, ihrer Bräuche und der Landschaft der ehemaligen preußischen Provinz im Norden Polens Masuren literarisch meisterhaft wieder zum Leben. Und in der angesprochenen Szene, die vor fast einem halben Jahrhundert niedergeschrieben wurde und dabei doch so wirkt, als wäre sie ein Kommentar zur aktuellen Diskussion, verteidigt Lenz‘ Alter Ego seine Heimat-Sicht:

       Ich verstehe, mein Lieber, ich verstehe Sie schon: Sie möchten die Heimat verantwortlich machen für eine gewisse Art von hochmütiger Beschränktheit, Sie möchten ihr Fremdenhass anlasten, den bornierten Dünkel der Sesshaftigkeit. Sie möchten sie verstehen als geheiligte Enge, in der man sich unvermeidlich seine Erwähltheit bestätigen muss, mit einem gehobelten Brett vor dem Kopf.

       Ich weiß, ich weiß: Heimat, das ist der Ort, wo sich der Blick von selbst nässt, wo das Gemüt zu brüten beginnt, wo Sprache durch ungenaues Gefühl ersetzt werden darf …

       Damit Sie mich nicht missverstehen, ich gebe zu, dass dies Wort in Verruf gekommen ist, dass es missbraucht wurde, so schwerwiegend missbraucht, dass man es heute kaum ohne Risiko aussprechen kann. Und ich sehe auch ein, dass es in einer Landschaft aus Zement nichts gilt, in den Beton-Silos, in den kalten Wohnhöhlen aus Fertigteilen, das alles zugestanden; aber wenn es schon so ist: Was spricht dann gegen den Versuch, dieses Wort von seinen Belastungen zu befreien? Ihm seine Unbescholtenheit zurückzugeben?

       Wie ich das meine? Ich vermute, dass Sie lächeln, doch ich sage es gegen Ihr Lächeln: Heimat, das ist für mich nicht allein der Ort, an dem die Toten liegen; es ist der Winkel vielfältiger Geborgenheit, es ist der Platz, an dem man aufgehoben ist, in der Sprache, im Gefühl, ja, selbst im Schweigen aufgehoben, und es ist der Flecken, an dem man wiedererkannt wird; und das möchte doch wohl jeder eines Tages: wiedererkannt, und das heißt: aufgenommen werden …2

      Anders als Siegfried Lenz scheitert der Ich-Erzähler Zygmunt Rogalla am Ende, in der Bundesrepublik Deutschland angekommen, an der politisch-gesellschaftlichen Realität, und er sieht keine andere Chance, seine Heimat-Erinnerungen vor dem Missbrauch zu retten, als das komplette Museum zu verbrennen.

      „Wer also versucht, einen progressiven oder linken Heimatbegriff zu kreieren, ist zum Scheitern verurteilt“, schlussfolgert auch Leonhard F. Seidl pessimistisch in seinem, diesen Band eröffnenden Beitrag „Schlachtet die Heimat!“. „Heimat ist im Kern eine völkische Idee, denn sie verwechselt Menschen mit Bäumen und spricht ihnen einen natürlichen und angestammten Platz in der Welt zu. Aber wer Menschen verwurzelt, entmündigt sie und ordnet sie der Natur und dem Kollektiv unter, macht sie zu Sklav_innen der Gerüche und Geschmäcker ihrer Kindheit“, schreibt Thorsten Mense im Vorwort zu Thomas Ebermanns fulminanter Anti-Heimat-Suade Linke Heimatliebe.3 Und auch Isobel Markus teilt in ihrem Beitrag für dieses Buch „Heimat ist ein Tomatenbrotschnittchen“ nicht Zygmunt Rogallas Utopie von Heimat als Ort, an dem man jederzeit wiedererkannt wird.

      „Heimat ist ein Ort nicht als der, der er ist, sondern als der, der er nicht ist“, fasste Bernhard Schlink einmal in einer Rede in der American Academy in Berlin kurz vor Weihnachten 1999 einen zentralen Topos der Heimat-Wahrnehmung zusammen. „Heimat“ existiert vor allem in unseren Köpfen. „So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, Orte, an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat – letztlich hat sie weder einen Ort noch ist sie einer. Heimat ist Nichtort. Heimat ist Utopie. Am intensivsten wird sie erlebt, wenn sie einem fehlt; das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh. Die Erinnerungen und Sehnsüchte machen die Orte zur Heimat.“4 – Oder verhindern, dass die Orte der Kindheit und Jugend jemals als „Heimat“ angesehen werden können, wie Werner Schlegel in seinem Beitrag „Phantasia oder Die Heimat der Heimatlosen“ erzählt.

      „Heimat ist Utopie. Am intensivsten wird sie erlebt, wenn sie einem fehlt.“ – Vielleicht erklärt sich so die Enttäuschung, die viele Menschen erleben und Autor*innen beschreiben, wenn sie nach Jahren des Exils in die Stadt ihrer Kindheit zurückkehren. Wie könnte die reale Welt, im Laufe der Jahre immer utopischer aufgeladen und sich gleichzeitig im Wandel der Zeit immer stärker von den konservierten Bildern der Kindheit absetzend, gegen eine imaginierte und weichgezeichnete Phantasmagorie kindlicher Idylle bestehen? „Ich fühle mich nirgends so einsam wie in der Stadt, in der ich geboren bin“, notiert Ludwig Marcuse im Juli 1949 nach seiner Rückkehr in seine Geburtsstadt Berlin nach sechzehnjähriger Emigration.5

      Gibt es eine Heimat nach der Heimat? Also auch für diejenigen, die den Ort ihrer Jugend nie lieben konnten oder ihr Herkunftsland verlassen mussten? Vilém Flusser, der 1939 vor den Nationalsozialisten fliehen musste und seine gesamte Familie in ihren Konzentrationslagern verlor, fand Sicherheit nur im Exil. „Der Mensch ist wie die Ratte – kosmopolitisch. Wer aus der Heimat vertrieben wird (oder den Mut aufbringt, von dort zu fliehen), der leidet. Die geheimnisvollen Fäden, die ihn an Dinge und Menschen binden, werden zerschnitten. Aber mit der Zeit erkennt er, dass ihn diese Fäden nicht nur verbunden, sondern angebunden haben, dass er nun frei ist, neue zwischenmenschliche Fäden zu spinnen und für diese Verbindungen die Verantwortung zu übernehmen.“6 Ähnlich plädiert auch der deutschschweizerische Schriftsteller Jochen Kelter für ein – mindestens – geistiges Exil: „Die Schreibenden und ihre Leser sollten gegen Heimaten,

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