Heimat?. Группа авторов

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Heimat? - Группа авторов

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ich mich als Teil der Gemeinschaft, nicht mehr allein, fühle mich aufgehoben in der Heimat. So, wie es Erich Fromm in seinem Aufsatz Der Ungehorsam als ein psychisches und ethisches Problem beschrieben hat. Ein wesentliches Element dieses Gehorsams ist immer auch, nicht zu sündigen, also sich nicht schuldig zu machen. Was gerade in der Provinz gleichbedeutend ist mit gehorsam sein. „Provinz ist überall“, schrieb der homosexuelle, niederbayerische Dramatiker Martin Sperr und unterstrich damit die Weltläufigkeit dieses nicht selten brutalen Mechanismus, dem letztlich meist nur in der Stadt zu entkommen ist. Denn sobald man gegen die Regeln und Gesetze der Heimat verstößt, ist man ungehorsam und bekommt unmittelbar zu spüren, dass man sich etwas zuschulden kommen hat lassen.

      Dank der Erbsünde wird bei Streitereien sofort die Frage aufgeworfen, wer Schuld hat. Es geht keineswegs um ein möglichst konstruktives Problemlösungsverhalten, mit dem allen gedient wäre, sondern um richtig und falsch und letztlich auch darum, wer das Sagen, die Macht hat. Somit hat die beklemmende Enge der Heimat immer auch ein ausgrenzendes Moment. Wer Ungehorsam ist, fällt auf und raus und kann kein Teil dieses Konstrukts sein. Die „Zugereisten“, auf altbairisch auch abfällig „Zuagroaste“ oder „Preißn“ geschimpft, haben es qua Abstammung noch schwerer, was den Blut-und-Boden-Aspekt des Heimat-Konstruktes und damit auch des Begriffes offenbart – von dem es keine Entsprechung in anderen als der deutschen Sprache gibt. Und der nur im Singular auftaucht, was aufzeigt, dass er in Zeiten der Globalisierung nicht mehr zeitgemäß ist. Und der den „Eingeborenen“ mehr Rechte einräumt als den Neuankömmlingen. Als würden die kapitalistischen Ausgrenzungsmechanismen nicht schon genügen.

      Die mit Heimat einhergehenden Ausgrenzungsmechanismen sind eine Form von Gewalt, die das Grundbedürfnis nach Sicherheit raubt und seine Kumulation in Molotow-Cocktails und „Ausländer-raus!“-Rufen vor Unterkünften für Geflüchtete findet. Und sie äußern sich auch in zweierlei Maß der Bemessung von Gewalt. Wenn sich die Dorfjugend „fotzt“, gehört das zum Erwachsenwerden. Wenn geflüchtete Jugendliche Andere angreifen, was keineswegs relativiert werden soll, aber ebenso ein Element der Lebensphase Jugend sein kann, gehören sie abgeschoben.

      Wer also versucht, einen progressiven oder linken Heimatbegriff zu kreieren, ist zum Scheitern verurteilt. Oder wie sollte die „Heimat“ der alten Nazis, die eine „rassische“ Durchmischung ablehnten, wie auch der Neo-Nazis des „Thüringer-Heimatschutz“, aus dem der NSU entstand, und auch die der Faschist*innen der Neuen Rechten und der AfD positiv konnotiert werden? Der Rechtsruck und die tägliche Gewalt gegen „Nicht-Heimat-Ansässige“ geben die Antwort: Überhaupt nicht. Genauso unmöglich ist es, einem Hirsch die Kehle auf einem weißen Laken durchzuschneiden, ohne dass es von Blut besudelt wird. Eher wird es uns gelingen, die Erbsünde als Akt der Befreiung und des Lobs des Ungehorsams neu zu schreiben und zu verinnerlichen.

       Trap Heimat Klauen

       von Olufemi Atibioke

      Ich stehe unter der Dusche. Mein iPhone spielt Deutschlandfunk (mal wieder – warum, weiß ich auch nicht so genau). Es ist der Tag der Deutschen Einheit. In der Rubrik Essay und Diskurs geht es um Heimat, Untertitel: der offene Begriff. Der Beitrag beginnt mit Smetanas Moldau, dann ein tiefsinniges Zitat von Hölderlin, ein weiteres, noch tiefsinnigeres von Bloch. So klingt German Funk. Der Begriff ist nach drei Minuten schon zu. Dicht. Ich schalte ab. Das Radio läuft weiter im Hintergrund. Ich frage mich: Wer klaut eigentlich Bücher? Oder Texte? Keiner, oder? Außer irgendein sweetes Bohemian Child in irgendeiner mittelgroßen deutschen Universitätsstadt. Leicht angetrunken, höchst aufgeregt und irgendwas Rebellisches vom Merve Verlag in der Bootytasche als seelische Unterstützung dabei, tapst es durch die altlinke Buchhandlung seiner Wahl, steckt was Kleines, Flaches ein, kauft aus schlechtem Gewissen doch noch einen Bleistift mit Radiergummi und sitzt dann zwei Straßenecken weiter auf einer grünen Bank, blättert mit feuchten Händen durch das Buch und fühlt sich insgeheim einem seiner Lieblingsrapper um einiges näher. Wie er, nur anders.

      Sehr sweet. Ist okay. Aber sonst? Wer klaut Bücher? Wer Texte? Keiner, Bruv. Keiner. Menschen, die aus freien Stücken Bücher lesen, sind brav. Wollen die Autorin unterstützen. Den Einzelhandel. Den Verleger. Und kaufen deshalb.

      Ich steige aus der Dusche, trockne mich ab, putze Zähne.

      Also warum schreiben? Nichts gegen die brave Leserschaft, sollen sie machen. Aber es sind die Klauenden, die ich als meine primäre und einzige Zielgruppe verstehe. Schade nur, dass sie mich nicht klauen werden. Mich nicht hören werden. Mich nicht verstehen und missverstehen werden. Und mir vor allen Dingen nicht sagen werden: Lass den Scheiß.

      Auf sie würde ich hören. Nur auf sie. Denn die Klauenden sind meine Vorbilder. Seit meiner Kindheit brennt da ein Feuer der Sympathie in mir, das ich hege und pflege. Klauen war cool. Sehr cool sogar. Wenn man die Richtigen beklaute. Wenn man es schaffte, dem Klauen ein gesellschaftskritisches Theorem unterzujubeln. Ein Statement. Dann ist Klauen sehr, sehr cool für mich. Bis jetzt. Jay Rock, Basquiat.

      Hip-Hop (suprise, suprise) ist Öl für dieses Feuer.1 Samplekultur verstehe ich als Klaukultur. Gefällt mir, nehme ich. Copyright? Wie wär’s erstmal mit Civil Rights, mein Jiggo? So ungefähr. Bis jetzt. Hito Steyerl, Negroman, Virgil Abloh. Letzterer schreibt eh nicht, tippt höchstens auf seinem iPhone. Ansonsten macht er Schuhe. Und klaut Ideen.

      Der Kaffee ist etwas sauer, das Kaffeepulver zu kurz geröstet für die Caffettiera. Zu unrobust. Glaube ich. Keine Ahnung. Ich trinke zwei Schlucke und kippe den Rest in den Abfluss der Spüle.

      Früher ging ich viel in die Bücherei. Lieh aus. Bücher, Ideen, Sätze. Schöne Sätze zitierte ich gerne genau, inklusive Urheber. Ich fühlte mich smart. Irgendwann hörte ich dann, dass exaktes Zitieren inklusive (meist männlichen) Urhebers sehr alphamännliches Verhalten sei, und (in meinem bestimmten Fall) checkte ich, dass Zitieren auch den jämmerlichen Versuch beinhaltete, irgendeinem Establishment zu gefallen. Ich ließ das genaue Zitieren weg (so gut wie). Sobald ich sie verstanden hatte (oder meinte, sie zu verstehen), wurde die fremde Idee einfach meine Idee. Ich lieh aus, aber gab nicht wieder zurück.

      Geht das auch mit Heimat? Kann man sich Heimat klauen? Zusammenklauen? Zurückklauen? Allein? Als Gruppe? Ist das nicht der einzige Weg weg von Hölderlin & Co.? Ihn beklauen, alle Smarten und Reichen beklauen und dann abziehen? Einfach abziehen. Nach Italien oder so.

      Klingt gut. Heimat kann man nicht schreiben. Wenn überhaupt, wenn man will, kann man Heimat machen.

      Ich bin seltener in Büchereien. Was mich früher anzog (die Ruhe, die Ordnung, das Stöbern), kommt mir heute unnatürlich vor. Auch das Lesen kommt mir dieser Tage unnatürlich vor. Wie ein Fliehen. Zu einer lesenden Clique in der Diaspora. Man versteht sich. Labert, talkt und speakt (manchmal trendy subaltern) und hat kein anderes Gesprächsthema als die Realität, der man entflohen ist. Über Krieg, über Frieden. Über Angst, über Liebe. Über Ausland, über Heimat. Heimat, Heimat, Heimat. Trap.

      Ich sitze in der Tram, werde kontrolliert. Bin nervös, obwohl es keinen Grund gibt. Mein Ticket ist gültig.

      Der Stärkste ist der, dem die ganze Welt fremd ist. (Geklaut.)

      Und das Paradies ist überall zu finden. (Auch geklaut.)

      Urlaub: Vor ein paar Wochen war ich im Geburtsland meines Vaters. Ich lief durch Lagos. Und ich kam an meine performativen Grenzen. Ich war weiß. War vorher noch nie weiß. Wusste nicht, wie das geht, weiß sein. Versuchte es, fühlte mich unwohl. Wurde festgenommen, geschlagen, verhört. Mein nigerianischer Pass für die Cops eine Fälschung.

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