Heimat?. Группа авторов

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Heimat? - Группа авторов

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Fruchtman, Ahmed Yussuf, Wahid Nader und andere Autor*innen erzählen in diesem Band von ihren Wanderungen zwischen den (Heimat-)Welten, Caritas Führer und Mieste Hotopp-Riecke berichten aus einer Heimat, die seit dem 3. Oktober 1990 so nicht mehr existiert.

      In diesem Band melden sich ausschließlich Schriftsteller*innen zu Wort, mal literarisch, mal essayistisch, gemäß Heinrich Bölls Forderung an seine Kolleg*innen, sich einzumischen. „Wir Autoren sind die geborenen Einmischer. Das klingt idealistisch, ist es aber nicht. Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben.“8

      Heimat? ist der dritte Band einer Edition (nach: Unsere Antwort. Die AfD und wir. Schriftsteller*innen und der Rechtspopulismus, Hirnkost 2018, und Ihre Papiere bitte!, Hirnkost 2020), in der Schriftsteller*innen sich einmischen. Im Vorwort des AfD-Bandes notierte ich im Frühjahr 2018: „Ist die Zeit, in der Wortmeldungen von Autoren wie Heinrich Böll oder Günter Grass noch in den Feuilletons und sogar in der Politik breit diskutiert wurden, endgültig vorbei? Oder müssen Autor*innen (und andere Künstler*innen) vielleicht nur wieder selbstbewusst in die Offensive gehen, sich einmischen, um gehört zu werden? Müssen wir in Zeiten immer kürzerer Themenkonjunkturen und schnelllebigerer und oberflächlicherer Mediendebatten unsere Empörung über Missstände, aber auch unsere Visionen einer besseren – gerechteren, toleranteren, friedlicheren, demokratischeren – Gesellschaft nur lauter platzieren? Dieses Buch ist auch – darin sind sich alle Beteiligten bei ansonsten sehr kontroversen Meinungen zum Thema einig – ein Schritt in diese Richtung. Wir Autor*innen werden uns auch zukünftig – wieder – stärker einmischen!“

      1 https://www.tagesspiegel.de/politik/gruenen-chef-habeck-wir-muessen-den-begriff-der-nation-zurueckerobern/22953924.html

      2 Siegfried Lenz: Heimatmuseum. Hamburger Ausgabe der Werke, Bd. 9, Hoffmann und Campe 2018, S. 147 f.

      3 Thomas Ebermann: Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung. konkret 2019, S. 14; auch in: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108905.debatteum-heimatbegriff-ein-brutales-gefuehl.html.

      4 Bernhard Schlink: Heimat als Utopie. Suhrkamp (Sonderdruck) 2000, S. 32 f.

      5 Briefe von und an Ludwig Marcuse. Diogenes 1975.

      6 Vilém Flusser: Heimat und Heimatlosigkeit. Originaltonaufnahmen 1985–1991. Audible Hörbuch 2019.

      7 Jochen Kelter (Hrsg.): Die Ohnmacht der Gefühle – Heimat zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Drumlin, Weingarten 1986, Vorwort, S. 13.

      8 Heinrich Böll: „Einmischung erwünscht“, in: ders.: Einmischung erwünscht. Schriften zur Zeit. Kiepenheuer & Witsch 1977, S. 15.

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       Schlachtet die Heimat!

       von Leonhard F. Seidl

      Wir sollten von vorne beginnen. Mit der Erbsünde: Adam stibitzt den Apfel, Eva beißt genießerisch hinein, der süße Saft spritzt, und wir feiern ab sofort jährlich ein Fest, das diesen Akt der Befreiung feiert. Natürlich sollten wir das Ereignis anders benennen und damit umdeuten. Vielleicht „Abnabelung“, „Emanzipation“ oder „Lob des Ungehorsams“. Denn jene Abnabelung wirkt bis heute nach. Zwar hat Luther dafür gesorgt, dass wir heute, wenn wir wollen, keinen Ablass mehr dafür leisten müssen. Also nicht mehr zur Beichte schreiten müssen, um von unseren Sünden, die auch auf der Erbsünde beruhen, befreit zu werden. Ob er es als positiven Akt des Ungehorsams deuten würde, sei dagegen dahingestellt. War er doch der Meinung: „Drum soll hier erschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und daran denken, dass nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann als ein aufrührerischer Mensch; (es ist mit ihm) so, wie man einen tollen Hund totschlagen muss: Schlägst du (ihn) nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.“ Widersprechen würde ihm die griechische Schöpfungsgeschichte, die ebenfalls auf „einen Akt des Ungehorsams“ zurückgeht, wie es Erich Fromm so treffend festgestellt hat. Denn Prometheus stahl den Göttern das Feuer und „legte … die Grundlage für die Entwicklung des Menschen“. Und war stolz darauf: „Ich möchte lieber an diesen Felsen gekettet als der gehorsame Diener der Götter sein.“

      Die Erbsünde als eine Schuld ist tief in uns verankert, allen voran in katholisch sozialisierten Menschen wie mir. Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich in der dämmrigen, Weihrauch durchwalkten Kirche zum Beichtstuhl schritt. Am Abend zuvor hatte ich mir im Bett überlegt, welche Sünden ich begangen hatte, um sie dem Pfarrer hinter dem Holzgitter in der beklemmenden Enge des Beichtstuhls zu gestehen. Da ich damals noch ein äußerst anständiger Bub war, grübelte ich wie besessen, bis in die Nacht hinein, über mögliche Verfehlungen. Und goss damit den Samen der Erbsünde für die nächtlichen, schuldgeplagten Grübeleien im Erwachsenenalter zwischen ein und drei Uhr morgens, die bekanntlich zu nichts führen, außer zu Augenringen und Gewissensbissen. Und hier zeigt sich wieder einmal die Bildhaftigkeit der deutschen Sprache. Die Bisse schmerzen, sie dringen ins Fleisch, lassen einen sich von der einen Seite des Bettes auf die andere werfen. Darum sind Begrifflichkeiten auch von derart eminenter Bedeutung, besonders wenn sie mit tiefen Emotionen, Deutungsmustern und daraus hervorgehenden Handlungsmustern und/oder -anweisungen verknüpft sind. Eben Begriffe wie Erbsünde oder Heimat.

      Gerade der gerne von Ernst Bloch zitierte Satz: „Heimat, ein Ort, der allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war“ spiegelt die emotionale Suggestion von Worten wider. Mit Heimat verknüpfen viele Menschen die Geborgenheit auf dem Schoß der Mutter, bestenfalls sogar des Elternhauses. Hinzu kommen Bäume, Wiesen, Wälder: Natur. Wer möchte es ihnen vergällen. Wir alle sehnen uns nach Harmonie. Und gerade im Weichspüler des Rückblicks ist sie in besonderem Maße vorhanden. Wie in einem Werbespot: Kräftige Farben, breites Lächeln (scheinbar) makelloser Menschen, blütenweiße, saubere Laken. Die Blutspritzer auf dem Weiß, durch die Schläge des Vaters oder Schüsse der Waffen-SS, würden verstören. Ebenso das noch warme Blut des erlegten Hirsches, aufgehängt an den Läufen, das aus der Hauptschlagader der durchschnittenen Kehle pulst. Der Hirsch als Element des Heimatgefühls. Nicht als Hirschkopf über dem Esstisch, sondern als Hirschbraten auf dem Esstisch. Als Mahl am Heiligen Abend. Durchdrungen vom Zauber der Bescherung, der Überraschung der Geschenke hinter dem bunten Papier und dem Spiel zu Füßen der Eltern und Verwandten. Der nicht selten am Weihnachtsabend aufbordende Streit wird im Rückblick häufig genauso ausgeblendet wie die anstrengenden, weil angespannten Verwandtenbesuche an den darauffolgenden Feiertagen bei Onkeln, Tanten und Großeltern. Darum bewirkte die Forderung nach einem Veggieday auch eine derart heftige Reaktion. Wie kommen die (damals noch) bösen Grünen nur auf den Gedanken, mir diese heimelige Erinnerung an den Braten oder andere fleischliche Genüsse verknüpft mit Geborgenheit zu rauben!?

      Wenn wir nun versuchen würden, dem Begriff der Heimat eine fortschrittliche, emanzipatorische Bedeutung zu geben, fernab von Heimattümelei und Nationalismus, müssten wir den Hirsch schlachten, um die Blutspritzer auf dem weißen Laken zu zeigen, auf dem kitschigen Bild der verklärten Kindheit und damit der Heimat. Wie bei dem Begriff der Erbsünde sind die mit dem Begriff und der Realität der Heimat, also einer Nation, Gesellschaft, Region, einhergehenden Unterdrückungsmechanismen enorm. Denn Sprache formt Bewusstsein und geriert damit Realität. Fühle

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