Der kleine Eheretter. Monika Röder

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Der kleine Eheretter - Monika Röder Carl-Auer Ratgeber

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von Muster und Herkunft unseres eigenen Beziehungs- und Konfliktverhaltens trägt dazu bei, uns selbst besser verstehen und annehmen zu können. Und das ist die Basis zur Veränderung und zur Entwicklung wirksamer Lösungen.

      Was ist Streit? Kleiner Exkurs in die Neurobiologie

      Streit entsteht fast automatisch, wenn eine Person getriggert wird und unwillkürlich in eine Angriffs- oder Verteidigungshaltung umschaltet. Und das hat wieder mit unserem autonomen Nervensystem zu tun.

      Überleben – die oberste Aufgabe unseres Gehirns

      Unser Gehirn besteht grob vereinfacht gesagt aus drei Bereichen, die sich evolutionsbiologisch bottom-up, also im Schädel von hinten unten nach vorn oben, entwickelt haben. Der basale und älteste Bereich ist der Hirnstamm. Sein höchstes »Interesse« ist es, dass wir überleben. Er sorgt dafür, dass unser Herz schlägt und die Atmung sowie Stoffwechsel und Kreislauf funktionieren. Es gibt extreme Lebenssituationen wie z. B. einen Schock und traumatische Situationen, in denen alle höheren Hirnfunktionen kollabieren und nur noch der Hirnstamm arbeitet, damit wir überleben.

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      Darüber liegt das evolutionsbiologisch jüngere limbische System. In diesem Bereich sind unsere Gefühle angesiedelt, die emotionale Alarmzentrale und auch unser Gedächtnis. Hier sind all unsere Erinnerungen in sortierter Form abgespeichert. Ausnahmen gibt es bei traumatisierten Menschen, bei denen manche Erinnerungen aufgrund des damals erlebten Stresses nicht chronologisch, sondern eher verstreut abgespeichert sind. Ein Körpergefühl, bestimmte Worte oder ein Geräusch können also ohne systematische Geschichte abgelegt sein und damit einzeln getriggert werden. Ein vergleichbares Geräusch oder ein Geruch alleine kann dann eine innere Kettenreaktion auslösen und den Organismus in den traumatischen Zustand zurückkatapultieren.

      Im limbischen System gibt es auch ein Alarmsystem, das wir Amygdala nennen. Die Amygdala ist dafür zuständig, im gesamten Organismus Alarm auszulösen, sobald über die Sinne etwas erkannt wird, das in der Erinnerung irgendwann mal als Gefahr bewertet wurde. Und weil es für unser Nervensystem die höchste Priorität darstellt, unser Überleben zu sichern, ist die Amygdala so übergründlich, dass sie lieber zehnmal falsch positiven Alarm auslöst, als dass ihr eine Gefahr durch die Lappen geht.

      Ganz oben und vorne im Gehirn liegt der Neokortex als Teil der Großhirnrinde. Er ist der evolutionsbiologisch jüngste Teil und unterscheidet uns Menschen und einige andere Säugetiere in besonderem Maße von einfacheren Organismen. Von hier aus sind alle höheren Fähigkeiten vernetzt, die uns Menschen ausmachen: z. B. die Fähigkeit zur Handlungsplanung, Selbstreflexion, Kreativität und Empathie sowie unser Humor.

      Integrierter Gefahrenscanner

      Wie kommt es nun dazu, dass wir streiten? Um das zu verstehen, sind noch ein paar neurobiologische Faktoren wichtig: die Neurozeption und die verschiedenen Modi, in die unser autonomes Nervensystem umschalten kann.

      Jeder Mensch hat einen integrierten Gefahrenscanner – die Neurozeption. Das ist eine Art Antennensystem, das ständig und unterhalb der Bewusstseinsschwelle unsere Umgebung scannt. Auch während eines Gesprächs, bei der Arbeit oder beim Sex nimmt unser Nervensystem wahr, ob in der Umgebung alles in Ordnung ist. Es vergleicht die unbewusst wahrgenommenen Geräusche, Gerüche und sonstigen Empfindungen mit den Erfahrungen und Erinnerungen im limbischen System. Sobald etwas als potenzielle Gefahr erkannt wird – das Schreien eines Kindes, ein Donnergrollen, der Geruch von Rauch oder auch der bedrohlich veränderte Blick oder Tonfall beim anderen –, schlägt die Amygdala Alarm, und das Nervensystem schaltet auf einen Defensivmodus um. Das kann auch passieren, wenn der Auslöser heute gar keine große Bedrohung mehr darstellt, der Mensch inzwischen erwachsen, stark und souverän ist und die Situation mit seinem heutigen Repertoire eigentlich locker bewältigen könnte.

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      Die drei Modi unseres Nervensystems

      Der andere neurobiologische Aspekt, dessen nähere Betrachtung sich lohnt, sind die drei unterschiedlichen Modi, in denen sich unser autonomes Nervensystem befinden kann: das soziale Kontaktsystem (ventraler Vagus), die Mobilisierung (Sympathikus: Kampf oder Flucht) und die Immobilisierung (dorsaler Vagus: Resignation, Totstellreflex oder Kollaps).

      Wenn wir uns wohl und sicher fühlen – allein oder mit einem anderen zusammen –, sind wir im Modus des sozialen Kontaktsystems. Neurobiologisch gesprochen ist hier der ventrale, also vordere, Teil des Vagus – eines wichtigen Hirnnervs – aktiv. Das bedeutet, dass unser gesamtes Gehirn inklusive des Neokortex voll funktionsfähig ist: Wir haben einen weiten Blick auf die Situation, können selbstkritisch sein, haben Humor und können uns in den anderen einfühlen. Wir fühlen uns wohl, können lachen und uns freuen. Wir erlauben uns, zu kommen und zu gehen, und wir können Nähe genießen. Wirklicher zwischenmenschlicher Kontakt ist nur möglich, wenn sich beide Partner im sozialen Kontaktsystem befinden.

      Sobald unser Gefahrenscanner eine potenzielle Gefahr identifiziert hat – wir also getriggert sind –, schaltet unser Nervensystem um auf einen Defensivmodus. Die erste Variante ist dabei die Mobilisierung. Blitzschnell und unterhalb der Bewusstseinsschwelle wird der Sympathikus, das Stress-System des Menschen, aktiviert und bereitet Körper und Geist auf Kampf oder Flucht vor: Die Muskelspannung im gesamten Körper steigt. Das Herz schlägt schneller, die Gefäße insbesondere in den Extremitäten verengen sich, was evolutionsbiologisch den Effekt hat, dass es bei Kratzern und Verletzungen nicht unnötig stark blutet. Die Gefühle sind negativ geprägt. Gedanken werden wertend und sind geleitet von Wut oder Angst. Der Blick ist fokussiert auf die Gefahr, wohingegen unwichtige Wahrnehmungen links und rechts ausgeblendet werden. Es kommt zu einem »Tunnelblick«. Der Kiefer verspannt sich, um zubeißen zu können – eigentlich lächerlich heutzutage, da wir nicht mehr mit unserem Körper kämpfen oder beißen, aber hier hinkt die Evolution der Entwicklung unserer modernen Gesellschaft etwas hinterher.

      Es gibt noch einen dritten Modus und damit ein weiteres Defensivsystem, in das unser Nervensystem schalten kann – er ist mit dem hinteren, dorsalen Teil des Vagusnervs verbunden: die Immobilisierung bzw. der »Shutdown«. Bei Tieren nennen wir das den Totstellreflex. Dieser Modus wird dann aktiviert, wenn der Abgleich der Wahrnehmungen aus der Umgebung mit den Erinnerungen auf eine Art Resignation hinausläuft: Kämpfen habe ich x-mal probiert und keine Chance gehabt. Flüchten kann ich nicht – zum Beispiel, weil ich zu klein und unterlegen bin oder weil ich verheiratet bin, wir Haus und Kinder zusammen haben und ich aus der Nummer nicht mehr so leicht herauskomme.

      Soziales Kontaktsystem (ventraler Vagus)

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      Mobilisierung (sympathisches Nervensystem) – Kampf/Flucht

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      Immobilisierung (dorsaler Vagus) – »Shutdown«, Totstellreflex

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      Dieser Modus ist in gefährlichen Situationen überlebenswichtig. Im Shutdown werden Hormone und Botenstoffe ausgeschüttet, die die Schmerzwahrnehmung betäuben. Das Gehirn ist gefühlt leer. Das »Totstellen« hat außerdem den Effekt, dass

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