Thriller Spannung ohne Ende! Zehn Krimis - 2000 Seiten. Alfred Bekker
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Kriminaloberinspektor Heppel meldete sich zum Dienst, ein unauffälliger, etwas dicklicher Enddreißiger, der sich gerne in seinem Zimmer mit den Terminals, Bildschirmen und sonstigen Geräten vergrub.
Lewohlt brummte: «Wollen Sie einen Kaffee?» und schob ihm seine Notizen hin.
Eine halbe Stunde geschah gar nichts. Die Routine war angelaufen, und zur Routine gehörten auch die langen Pausen. Dann steckte Pedder den Kopf ins Zimmer und gab in seiner silbensparenden Art bekannt: «Alles eingegeben - gleich.»
Widerwillig stand Lewohlt auf, nahm seinen Kaffeetopf mit und schlich in Heppels Zimmer, der sofort murmelte: «Es dauert noch.»
Lewohlt blies geistesabwesend auf seinen heißen Kaffee und döste vor sich hin. So viel friedliche Ruhe gab es selten, und mit jeder Minute kroch die Müdigkeit höher. Dann blinkte ein hellgrünes Viereck auf dem Bildschirm. Heppel tippte eine Zahlenkombination, drückte eine Taste und sagte halblaut: «Es kommt.» Sekunden später erschienen die Daten auf dem Bildschirm, und in solchen seltenen Momenten war auch Lewohlt bereit, die Elektronik gut zu finden.
«Größe 171 cm - Gewicht 58 Kilogramm - geschätztes Alter: 18-20. Blut gr. o pos. - Obdkt. Term. Mont., io.3oUhr, Raum 1, Staatsanw. benachricht. - rieht. Erlbns. beantr.»
«Sieh mal an», brummte Lewohlt, «sie sah älter aus.»
Heppel nickte stumm, hielt mit einer neuen Zahlenkombination die von der Medizinischen Aufnahme übermittelten Daten fest, tippte erneut und fugte damit die Liste der äußeren Merkmale hinzu, die er nach Lewohlts Notizen bereits in den Computer eingegeben hatte, drückte neue Tasten, die Angaben verschwanden, eine Zieladresse tauchte auf, blinkte kurz, bevor sie sich auflöste, ein winziges «wait» erschien links oben, und dann starrten sie auf das dunkle Glas. Im Moment verglich der zentrale Rechner ihre Angaben mit den gespeicherten Daten der als vermißt gemeldeten Personen - zuerst aus der Stadt, dann aus dem Land, zuletzt bundesweit.
«Wir haben sie, Chef.» In Lewohlts Gegenwart sprach Heppel immer leise, aber das war keine Schüchternheit, sondern gegenseitige Abneigung, und weil sie beide darum wußten, behandelten sie sich höflicher als sonst unter Kollegen üblich. Neue Reihen wurden blitzschnell von links nach rechts geschrieben: «Kleinmann, Martina. Hessenstraße 13...» Der Drucker begann zu rasseln, und Lewohlt lehnte sich wieder an die Fensterbank. Der Kaffee vertrieb die Müdigkeit nicht.
Ein anderer Bildschirm wurde hell. Mit Elektronik waren sie phantastisch ausgerüstet, konnten Bilder digital abspeichern und jederzeit abrufen, seit einigen Monaten sogar in Farbe, konnten elektronisch Ausschnitte vergrößern und über einen Apparat, dessen Technik Lewohlt nie kapiert hatte, in Sekundenschnelle als fertige Bilder auf den Tisch zaubern. Neugierig schaute er hin. Ja, das war die junge Frau aus der Kleingartenanlage Rothenbruch.
«Brauchen Sie Positive?»
«Nein, danke.»
Das Drucker-Protokoll beschäftigte ihn. Martina Kleinmann, siebzehn Jahre alt - verblüfft rieb er sich über das Kinn -, kaufmännischer Lehrling. Am Samstag, also gestern, von den Eltern Herbert und Anna Kleinmann als vermißt gemeldet, weil sie in der Nacht von Freitag auf Samstag nicht nach Hause gekommen war. Abgezeichnet vom Revier 18, um 17.15 Uhr. Unterwegs mit einem weißen Damenfahrrad, Marke Ferrier, Gestellnummer 16 A 534. Bekleidet mit weinroten Jeans, einer weißen Bluse und hellbeiger Strickjacke. Hellbraune Lederhandtasche mit langem Tragriemen. Zuletzt gesehen am Freitag gegen 19.10 Uhr, als sie die elterliche Wohnung verließ, um zu einer Freundin zu fahren, Roswitha Zoller, Hohe Fuhre 26. Dort laut Aussage der Eltern, die sich erkundigt hatten, gegen 19.35 Uhr eingetroffen und kurz nach 20 Uhr wieder abgefahren. Seitdem vermißt.
Er nahm das Protokoll und ging quer durch das Sekretariatszimmer in Fischers Raum. «Wir haben sie», knurrte er verlegen, und Fischer warf ihm ein schräges Lächeln zu, während er mühsam aufstand. «Danke, Jürgen. »
Das war etwas, was er nie gelernt hatte: Angehörigen eine Todesnachricht zu überbringen. Keiner tat das gern, auch Fischer nicht, aber Fischer wußte aus leidvoller Erfahrung, was Eltern empfanden, und konnte die richtigen Worte finden. Er und Pedder, der über seine seltsame Hellsichtigkeit für die Gedanken und Gefühle anderer Menschen verfügte.
Lustlos bummelte er nach Hause. In seine Zwei-Zimmer-Wohnung zog ihn nichts, aber er hatte auch keine Lust, sich allein in eine Kneipe zu hocken. Vor neun Wochen war er umgezogen, in ein Hochhaus, und die meisten Kisten standen noch immer unausgepackt in der Wohnung. Die Spedition schrie inzwischen Zeter und Mordio und drohte mit Säumnisgebühren. Zwei-, dreimal die Woche nahm er sich vor, endlich seinen Kram auszuräumen, aber jedesmal packte ihn ein lähmender Ekel vor dieser Aufgabe. Dann schob er die Kisten wieder zur Seite, ließ sich in den zart quietschenden Ohrensessel fallen und begann zu lesen. Das Fernsehgerät war immer noch nicht angeschlossen, das zweite Telefon stand auf einem Kistenstapel; das erste war schon am dritten Tag heruntergefallen und zersplittert. Einen Teil der Diele bedeckte ein Haufen schmutziger Wäsche; wenn sich die Tür des Geraderobenschrankes nicht mehr aufziehen ließ, brachte er alles zur Wäscherei. Wer die Wohnung hätte sehen können, würde sofort die Diagnose stellen: Richard Lewohlt, 46 Jahre alt, geschieden, Kriminalhauptkommissar und Leiter des Fachreferats (FR) in, verkam. Aber bis jetzt hatte noch kein Fremder die Wohnung betreten, selbst Andy nicht, der geduldig unten auf der Straße wartete, wenn er seinen Freund und Chef abholte.
Aber «verkommen» war der falsche Ausdruck. Er verkam nicht, obwohl ersieh mit dem Junggesellenleben immer noch schwertat. Er hatte einfach keine Lust mehr, zu nichts, und flüchtete sich in die Welt von Biographien und Romanen. In der Filiale der Stadtbücherei gleich um die Ecke kannte man ihn mittlerweile gut, und die Große .mit den aschblonden Haaren und dem korrekten Mittelscheitel störte sich wenig an seinem mürrischen Ton.
Er schaffte einen ganzen Band der «Memoiren des Herzogs von Saint-Simon» und lebte einige Stunden in der Welt des französischen Hofes. Seit er sich zufällig in einem historischen Roman festgelesen hatte, war er fast süchtig nach dieser Art Lektüre geworden.
Die Woche begann mit einem Treffen aller Referats-Mitarbeiter, offiziell «Konferenz» genannt, in Wahrheit eher ein letzter Versuch, sich bei Kaffee und Klatsch vor der anstehenden Arbeit zu drücken. Die zurückgekehrten Urlauber zeigten demonstrativ ihre Bräune und bewiesen mit Farbfotos, wo sie gewesen waren und was sie gesehen hatten. Es wurde viel herumgealbert und geflaxt, bevor die laufenden Fälle besprochen wurden, Urlaubspläne, Termine für Lehrgänge, Probleme, Schwierigkeiten. Lewohlt schwieg meistens und achtete höchstens darauf, daß auch die Sachbearbeiter zu Wort kamen. In diesen dreißig oder vierzig Minuten durfte und mußte jeder offen reden. Über das, was tagsüber passiert war, verständigten sich die Chefs der Gruppen am späten Nachmittag, kurz vor dem offiziellen Dienstschluß. Aber im FR m gab es keine festen Dienstzeiten, und keiner, der darauf bestanden hätte, wäre länger als einen Monat in diesem Haufen geblieben.
Ruhender Pol dieser Runde war Jürgen Fischer, dem nach einem ungeschriebenen Gesetz Lewohlts Schreibtisch-Sessel zustand. Lewohlt saß auf der Fensterbank und war mehr Zuhörer als Chef. Jeder wußte, daß Fischer - wegen seiner Behinderung fast immer an seinem Schreibtisch zu finden - die wichtigen Entscheidungen traf und daß Lewohlt seinem Stellvertreter unbesehen vertraute, daß Fischer auf der anderen Seite nie etwas tun würde, dem Lewohlt nicht zustimmen konnte. Aber wer Ärger mit Lewohlt hatte, was nicht selten vorkam, weil Lewohlt viel zu mürrisch und ungeduldig war, um immer gerecht zu sein, wandte sich an Fischer. Und Fischer, unbestechlich, geduldig und gerecht, kümmerte sich darum. Seit er Lewohlt dazu gebracht hatte, sich öffentlich in dieser Montagsrunde bei Mitgliedern des FR 111 zu entschuldigen, herrschte