Der Schuh. Gabriela Bock
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Später kläffte Syrinx, als die Türglocke läutete. Robert Hagedorn stand mit einem Blumenstrauß vor der Tür.
»Besuch für dich, Emi!«, rief Franziska.
Ich war hastig aus dem Bett gesprungen und in Hemd und Unterhose auf den Flur gerannt.
»Es tut mir leid, wegen der blöden Frage heute Morgen. Vergiss es bitte«, stammelte Robert.
Der sonst eher verschlossene Robert verstand sich auf Anhieb gut mit Konstantin, mit dem er noch am selben Abend in dem Laden im Erdgeschoss verschwand. Mein Vater war völlig von den Socken, dass es jemanden gab, der noch viel mehr über Kunst wusste, als er selbst. Aber so war Robert. Wenn ihn etwas interessierte, wollte er am liebsten alles darüber wissen. Franziska fand Robert gutaussehend, besonders geschmackvoll gekleidet. Und er hätte Benehmen, was auch nicht mehr selbstverständlich wäre in der heutigen Zeit.
Am Abend darauf besuchten wir alle gemeinsam das Osterfeuer. Treffpunkt war wie immer ›dort, wo die Wege sich kreuzen‹. Mit dem selbst gemachten Eierlikör von Helga hielt ich mich absichtlich zurück. Im Schein des Feuers fand ich Robert noch schöner. Später wiederholte sich das Ritual von neulich. Wieder genoss ich Roberts intensiven Blick, nur das Licht war wärmer. Ich registrierte die dunkelroten Wände meiner eigenen Wohnung, das blaue Bettzeug auf dem dunklen Dielenboden, den Mond, der durch das gardinenlose Fenster schien und den langgliedrigen Körper von Robert. Morgens schrie Niclas nach mir und wollte sein Fläschchen. Nachdem ich ihn aus dem Himmelbett genommen hatte, gab ich ihn Robert auf den Arm. Der schaukelte den Kleinen hin und her und wirkte schier verzweifelt, als das Geschrei immer lauter wurde.
In den darauffolgenden Wochen kam Robert immer vorbei, wenn er Zeit fand. Egal, ob Robert Tintenfische flambierte oder Spaghetti kochte, ob er ein Frühstücksei mit einem Hieb durchschlug oder mit seinen Händen über meinen Körper glitt, was er tat, das zelebrierte er irgendwie. Nach etwas Gelungenem streckte er meist die linke Faust vor, den Zeigefinger nach vorne gerichtet und den Daumen nach oben. Es hätte ein ›Peng‹ gefehlt, aber er sagte nichts, sondern setzte seinen kühlen, etwas überheblichen Robert-Hagedorn-Blick auf.
In finanziell rosigeren Zeiten hatte ich mal einen gebrauchten Käfer erstanden. Als ich das Auto gesehen hatte, musste ich es einfach haben, auch ohne einen Führerschein zu besitzen. Seitdem stand es die ganze Zeit bei Freunden im Schuppen rum. Jetzt fuhr Robert uns damit in der Gegend umher. Meist nahm er die Kiste einfach mit. Mir war es egal, wo er damit hinfuhr. Beim Kinderarzt hatten sie uns drei für eine nette kleine Familie gehalten, aber ich wusste es besser. Robert hatte mir unmissverständlich klargemacht, dass so was wie Familie für ihn nicht in Frage käme. Er wäre gerade dabei, sich von den überholten, verkrusteten Strukturen seines Elternhauses zu befreien. Mit dieser ehrlichen Aussage konnte ich etwas anfangen. Ich liebte Direktheit, auch wenn sie wehtat, und hasste verlogenes Getue und Gequatsche, genoss Roberts intensiven Blick beim Sex, die Tatsache, dass er einen Führerschein besaß, seine gelegentliche Kritik an meiner Person, besonders wenn es darum ging, dass er mich für völlig unpolitisch hielt, und fand es gut, dass er mir Distanz gewährte und nicht zu sehr in mein Leben eindrang. Trotzdem gab er mir viel und kümmerte sich ab und zu liebevoll um Niclas.
Manchmal empfand ich eine starke Verbundenheit oder gar Liebe für Robert. Ich glaubte sogar, dass er meine Gefühle erwiderte. Dann hatte Robert einen Blick drauf, der wie eine Aufforderung auf mich wirkte, auf die Straße laufen zu müssen, um irgendetwas anzuzünden. Ständig fragte ich mich, was hinter Roberts Brandstifterblick für Gedanken steckten. So nah kam ich ihm zu der Zeit aber nicht, dass ich das erfuhr.
Kapitel 2
Der Sommer 1975 sollte einiges in meinem Leben verändern. Endlich besaß ich einen Führerschein, was mich aber nicht davon abhielt, mich gelegentlich noch von Robert umherkutschieren zu lassen. Niclas, der Wonneproppen im Hause Weber, kommunizierte nun fleißig mit seiner Umwelt und konnte bereits alleine sitzen. Seine Krabbelversuche schlugen zwar noch fehl, aber er hatte eine Taktik entwickelt, sich so geschickt auf dem Boden umherzurollen, dass er beinah überall hinkam, wo er hinwollte. Es war anstrengender geworden mit ihm, man konnte ihn kaum noch aus den Augen lassen. In einem Monat würde meine Ausbildung beginnen, und dann bräuchte ich meine Mutter für Niclas. Meine Mutter hatte zwar süßsauer gelächelt und ›Ja‹ gesagt, aber ich wusste, wie schwer ihr die Zusage gefallen war. Franziska hatte jahrelang ihre eigene Mutter gepflegt, meine Großmutter, die auch Emilia hieß. Dann war Oma in demselben Jahr gestorben wie ihre Tochter Dorothea, meine Tante, Franziskas Schwester. Jetzt erst hatte sich meine Mutter langsam davon erholt, und eigentlich hatte sie vorgehabt, eine ›Verkaufsecke‹ für Edelsteine in dem Laden einzurichten. Franziska war überzeugt davon, Edelsteine würden nicht nur wunderschön aussehen, sondern auch große Kräfte besitzen. Sie hatte Seminare zu dem Thema besucht und viele Bücher gelesen.
Aber wenn man schon mal an sich selbst dachte. Es tat mir leid – wegen Franziska, aber Niclas brauchte eine Mutter mit einer Berufsausbildung. Es wäre ja nur für kurze Zeit, dann käme er in die Tagesstätte.
Ich war sehr verwundert, als Konstantin mir vorschlug, mit Robert mal ein paar Tage wegzufahren. Sie würden schon auf Niclas aufpassen. So könnte er Franziska mal zeigen, wie wunderbar sich ein Kleinkind in das Berufsleben integrieren ließ. Wie konnte ich nein sagen zu diesem verlockenden Angebot? Robert tauschte für die Fahrt meinen Käfer gegen den VW-Bus von Helga und Paul ein. Der Bus war hinten perfekt ausgebaut, mit einem Bett, auf dem man kuschelig in weichen Fellen lag. Decken und Kissen gab es in mehrfacher Ausführung, schmal, rund, eckig, die Bezüge von Helga selbst genäht. Paul hatte überall Kästen und Fächer eingebaut, die die unterschiedlichsten Sachen beherbergten: Küchenutensilien, ein Mikroskop, Bälle, Spiele, Klopapier und auch sonst alles Mögliche. Man konnte die Vorhänge an den Fenstern zuziehen, sie waren weiß mit gelb-blauen Zauberern drauf. Wir fuhren bei Timmendorf an die Ostsee und zogen von dort ein Stück die Küste hoch. Ein Fach unter dem Bett enthielt flaschenweise Spirituosen, was für mich ein abstinentes Reisen von Anfang an unmöglich machte. Leider war ich die meiste Zeit leicht betrunken und empfand deswegen eine tiefe Scham. Was ich tat, gehörte sich nicht. Schon gar nicht für eine erwachsene Frau mit Kind, fand ich.
Mir kamen Zweifel, ob ich mich jemals ändern könnte, dann wieder versuchte ich mich zu beruhigen, indem ich mir immer wieder selbst versicherte, ich hätte nie ernsthafte Alkoholprobleme gehabt. Allein Zuhause würde ich mich niemals volllaufen lassen, aber immer wenn sich mir in Gesellschaft die Gelegenheit dazu bot, trank ich zu viel, und es war wie eine Sucht, umher zu flippen und hemmungslose Sachen zu machen. So rannte ich zum Beispiel völlig nackt am Strand herum und provozierte damit die Leute. Ich fand, alle sollten so rumlaufen und endlich ihre blöde Verklemmtheit ablegen. Guckten die Männer mir hinterher, stritten ihre Frauen deswegen mit ihnen und zusammen taten sie ihren Kindern gegenüber so, als wäre was falsch daran, nackt zu sein. Dabei hatten Kinder eine völlig gesunde Einstellung zu ihrem Körper. Ich trat damit in viele Fettnäpfchen. Wäre der Alkohol nicht gewesen … Aber egal, beruhigte ich mich, am Strand würde mich ja niemand kennen. Nur noch dieses eine Mal, dann wollte ich für immer damit aufhören. Robert genoss das anscheinend, obwohl er selbst nie seine kühle Zurückhaltung verlor.
Robert machte mit meinem Fotoapparat eine Menge Fotos von mir: ich, nackt in der wellenlosen Ostsee, mit einer Qualle auf dem Kopf, ohne Qualle nackt, nass und nackt im Sand, im Bus, auf den Dünen …
Obwohl