Der Schuh. Gabriela Bock

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Der Schuh - Gabriela Bock

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Sau wolltest mich doch auch nur vögeln!«, brüllte das Mädchen und drosch auf Robert ein, »und dafür wolltest du mir Geld geben!«

      Robert hielt ihre Hände fest.

      »Ich habe dir fünfzig Mark gegeben, aber bestimmt nicht dafür.«

      »Fünfzig Mark, was denkst du, was ich damit anfangen kann?«, schrie sie, kam mit ihrem Gesicht nah an Roberts und versuchte, ihn anzuspucken. Blitzschnell drehte Robert ihr den Arm auf den Rücken.

      »Wenn du nicht sofort aufhörst und deine Klappe hältst, schmeiße ich dich hier raus, dann kannst du sehen, wie du zu deinem Zuhälter kommst.«

      »Ihr könnt mich mal, ihr Arschfotzen!«, tobte sie.

      Robert hatte ihren Arm immer höher gebogen. Er ließ sie los und schubste sie so, dass sie weinend aufs Bett fiel, wo sie unter die Bettdecke kroch.

      »Da haben wir uns was eingehandelt«, meinte Robert, als wir vom Rastplatz zurück auf die Autobahn fuhren.

      »Du hast dir was eingehandelt«, stellte ich fest.

      »Zu Hause werde ich mal zum Arzt gehen«, sagte Robert.

      Nach einigen Überlegungen beschlossen wir, das Mädchen bei uns ins Jugendzentrum zu bringen. Dort gab es Psychologen und Sozialarbeiter, kurzum, geschulte Leute, die sich auskannten.

      »Ich kenne da einen«, sagte Robert, » der ist zwar nicht der Netteste, aber Hauptsache wir sind sie los.«

      »Du bist sie los«, verbesserte ich ihn.

      Später erfuhr ich, was der Psychologe Bernd Schuster an dem Tag dachte, als er uns ankommen sah, nämlich: Teufel die Pest! Da kommt ausgerechnet der jüngere Bruder meiner Ex über den Platz. Wie kommt Robert an die kleine, äußerst schmale Fixerin und eine schwarz gelockte Misshandelte, die ihre Wimperntusche noch in Nasenhöhe sitzen hat und eine gewaltige Beule über dem Auge? So was ...! Das hätte ich dem sonst so arroganten Robert, dem dressierten Vorzeigestück seines Vaters, nicht zugetraut.

      »Wir haben einen Abstecher auf die Reeperbahn gemacht, und dort haben wir sie aufgegabelt…«, stammelte Robert, knallrot im Gesicht, rum.

      »Aufgegabelt? Ihr habt mich weggelockt und mir erzählt, der da wäre ein berühmter Fotograf!« Die Puppe tobte so, dass sie kaum zu beruhigen war. »Das haben sie nur gemacht, damit diese Sau mich vögeln konnte!«

      »Stimmt das, Robert?«, fragte Bernd.

      »Na ja, ich gebe es zu, aber das mit dem Fotografen haben wir nie so zu ihr gesagt. Das ist ein Missverständnis.«

      Sie rannte erneut auf Robert zu und trat mit voller Wucht gegen sein Bein. Bernd hielt sie fest und sprach beschwichtigend auf sie ein.

      »Du solltest dich schämen, Robert. So was machst du also, wenn du nicht Papas Vorzeigeobjekt spielen musst. Bravo!«, meinte er dann zu Robert. Dem war die Situation oberpeinlich. Mir war es egal, was sie von mir dachten. Nach Hause, zu Niclas, sonst nichts.

      »Mit so einfach abgeben ist das nicht getan. Ich möchte, dass ihr morgen um dieselbe Zeit hier noch mal auflauft. Nichts mit Ex und Hopp. Ich finde es voll Scheiße von euch, was ihr da gemacht habt.« Bernd war wirklich sauer.

      Robert ließ mich hinter unserem Haus raus und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Meine Eltern sahen mich total entsetzt an. Schrecklich, wie ihre Tochter aussah. Da stimmte doch was nicht. Ich kuschelte mich mit Niclas ins Bett und schwor mir, nie wieder ohne ihn für so lange Zeit wegzufahren. »Es wird alles gut«, sagte ich ihm. Pan legte seine große Schnauze auf die Kante meines Bettes und Syrinx rannte geschäftig umher.

      Auch wenn es sich spießig anhört, dachte ich, Vertrautheit und Geborgenheit sind das Wichtigste im Leben. Und Liebe! Die wirkliche, die ich zu Niclas und meinen Eltern empfand. Und zu Eva. Der arme Robert. Er hatte nie viel davon abbekommen. Vielleicht von seiner Mutter? Plötzlich war ich mir meiner Verantwortung Robert gegenüber bewusst. Keine Spielchen mit einem wie ihm.

      Am nächsten Tag holte Robert mich mit meinem Käfer ab und wir fuhren zum Jugendzentrum in der Kaiserstraße. Bernd war allerdings gerade mit einem Sozialarbeiter und einigen Jugendlichen auf dem Fahrzeugplatz. Hier wurden Autos und Motorräder repariert. Der Sozialarbeiter, der Henry hieß, stand Kaugummi kauend neben Bernd. Beide waren von Jugendlichen umringt. Wir holten uns unsere Standpauke ab.

      »Wenn das noch einmal vorkommt, Robert, dann wünsche ich dir nur, dass du an den Richtigen gerätst, der dich nicht schont. Dann kannst du nämlich in den Knast wandern wegen Missbrauchs einer Minderjährigen. Schluss mit Jurastudium!«

      Bernd hatte ganz schnell die Identität des Mädchens herausbekommen. Sie war erst fünfzehn Jahre alt und von zuhause abgehauen. Ein übler Kerl hatte sie von Rauschgift abhängig gemacht und zur Prostitution gezwungen. Ihre Eltern waren froh, ihre Tochter endlich wieder bei sich zu haben und verzichteten auf eine Anzeige gegen Robert. Wir hatten Glück, dass wir auf Bernd gestoßen waren. Ich verspürte eine Verbundenheit mit dem Mädchen und war froh, dass es auch wieder bei ihrer Familie war.

      Obwohl wir uns ohne größere Diskussion vorgenommen hatten, uns nicht mehr so oft zu sehen, kam Robert auch jetzt beinah täglich aus Hannover, wo er studierte, bei mir vorbei. Wir trafen uns im Treppenhaus, als ich mich gerade auf den Weg machen wollte, Eva zu besuchen. Ausnahmsweise fuhr ich. Pan überfüllte den Beifahrersitz des Käfers. Hinten saß Robert mit Niclas auf dem Schoß. Syrinx stellte sich auf die Hinterpfoten, um alles, was auf der Straße vor sich ging, genau beobachten zu können. Dabei knurrte und kläffte sie, wuselte umher, guckte mal hier und mal da zum Fenster raus. Niclas quiekte bei dem Versuch, die Hündin zu schnappen, was ihm aber nicht gelang bei der quirligen Syrinx. Wir fuhren in Richtung Bad Pyrmont.

      Ich hatte Eva seit drei Monaten nicht mehr gesehen, eine sehr lange Zeit. Für uns beide. Früher waren Onkel Ernst-Walter und Eva mindestens einmal in der Woche bei meinen Eltern vorbeigekommen. Aber seitdem mein Onkel vor einem Jahr diese Sybille von Grosche kennengelernt hatte, kam er gar nicht mehr und rief auch nicht mehr an, was er sonst beinah täglich getan hatte. Meine Eltern, die das gar nicht verstehen konnten, suchten krampfhaft nach einer Erklärung für sein Verhalten. Nach dem Tod von Tante Doro, Evas Mutter, hatten Franziska und Konstantin sich rührend um Ernst-Walter gekümmert. Für Eva waren sie schon vorher immer dagewesen. Für den Haushalt gab es seit Jahrzehnten Frau Müller, das Mädchen für alles, oder wie Onkel Ernst-Walter sie nannte, die Aufwartefrau. Frau Müllers Kinder waren längst ausgezogen. Sie wohnte mit ihrem gehbehinderten Mann, einem Frührentner, in einer bescheidenen Wohnung unten in der Ortschaft Welsede.

      Walter ist ein Fachidiot, der im alltäglichen Leben einfach versagt, musste Konstantin immer wieder feststellen. Bis vor einem Jahr war er gut genug gewesen, für seinen Schwager den Kalfaktor zu spielen. Ernst-Walter beschäftigte zwar gelegentlich einen Gärtner, aber wenn Konstantin nicht an alles dachte – ob es das Holz für den Kamin war, das geschlagen, transportiert, gesägt und gestapelt werden musste, der Holzwurm die alte Standuhr zerfraß, oder ob eine neue Glühbirne eingeschraubt werden sollte ... Mit all so was kam Ernst-Walter nicht alleine zurecht. Um eine Glühbirne auszuwechseln, hätte er auf eine Leiter steigen müssen, denn die Lampen hingen sehr hoch unter den Decken des Landhauses.

      Konservendosen öffnete Frau Müller immer, bevor sie ging. Beim letzten Versuch, es selber zu machen, hatte Onkel Ernst-Walter sich

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