Der Stempelmörder. Torsten Schönberg
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Morgens mussten wir spätestens um neun das Heim verlassen. Heute blieb uns also noch eine halbe Stunde. Nur Herbert durfte bleiben und die Desinfektionskammer für den Abend vorbereiten. Während unserer Abwesenheit hatte die Polizei begonnen, alle Räume zu durchsuchen. Auch die Soko unter Herberts Leitung hatte die Nachforschungen aufgenommen.
Herbert klebte sich drei Sterne auf die Vorderseite des Helms, um auf seine wichtige Stellung hinzuweisen. Ich schloss die Tür.
»Georg, was machen wir heute? Wir sollten feiern gehen. Morgen früh müssen wir laut Wochenplan zum Pater nach Dornbach.«
Georg schüttelte den Kopf. »Du bringst das arme Schwein um und willst dann die Sau rauslassen? Piefke 5! Dass ich nicht lache. Welcher Piefke 5 ist so blöd und stempelt mit diesem Stempel auf Karl herum? Hör bloß auf mit der Scheiße. Und glaube ja nicht, dass ich das mit der Tirolerin nicht weiß. Die werden dich an deinem Schniedelwutz aufhängen, wenn sie das rauskriegen. Beziehungen im Heim sind unerwünscht. Erst recht zwischen Piefkes und Österreicherinnen. Die werden dich nach Hause schicken!«
Wenig später saß ich auf meinem Bett und blätterte im »Penner«. »Das mit Isabel lass mal meine Sorge sein. Halt dich da raus. Hier steht übrigens, dass morgen Karli Molk und die Donauzwillinge auf dem Kirtag in Dornbach auftreten.«
»Lass ja die Finger von denen, sonst haben wir die Volksmusikfreunde am Hals.«
»Keine Panik. Ich steh nicht auf die Zwillinge. Und hör endlich auf, mir das mit Karl zu unterstellen. Wenn das jemand mitbekommt! Ich bin doch kein Mörder. – Und du? Wusste gar nicht, dass du Karl kanntest, schließlich hat er den Drachenflieger-Kurs geleitet, bei dem deine Frau umgekommen ist … Stimmt das wirklich?«
Georg schaute aus dem Fenster. »Er hatte keine Schuld. Ganz im Gegenteil. Die Technik hat versagt. Karl hat die Untersuchung der Polizei nach dem Absturz unterstützt und mir geholfen, wo er nur konnte.« Dann drehte er sich wieder zu mir. »Ich kann ihm nichts vorwerfen.« Georg steckte den Müll in einen schwarzen Sack und warf ihn vor die Tür.
»Wo verteilen wir heute den ›Penner‹?«
Es war nämlich nicht ganz einfach, die Zeitungen unter die Leute zu bringen. Die Konkurrenz schlief nicht. Da gab es die Obdachlosenzeitung »Augustin« und schließlich noch die Kolporteure, die an jeder Kreuzung billige österreichische Schmuddelblätter verkauften. Wir hatten da unsere eigene Masche.
»Wir gehen zuerst zum Schwedenplatz, dann schau’n wir weiter.« Georg hatte dank seiner Kärntner Nase einen besonderen Riecher für diesen Job. Ziel war immer eine flüssige oder feste Mahlzeit am Ende des Tages.
Reinhold kam ins Zimmer. »Ihr müsst gleich raus. Sie sind schon bei mir und stellen alles auf den Kopf.«
»Haben sie schon was gefunden?«, wollte Georg wissen. »Nein, alles sauber. Wenn ihr mich fragt, dann werden sie auch nichts finden. Wer ist schon so blöd und versteckt die Mordwaffe in seinem Zimmer? Die Polizei hat doch gar kein Interesse, den Fall aufzuklären. Der Greißler war nur ein kleines Licht. Derzeit wohnen hier 225 Männer. Das sind eine Menge Zeugenvernehmungen.«
Ich musste ständig auf die Schublade schauen. Georg trat mir sachte auf die Zehen.
»Sag, musst du immer in der Unterhose herumrennen?«, wollte Georg von Reinhold wissen.
»Besser in einer Wiener Unterhose stecken, als eine Kärntner Mutter haben.« Das war zu viel. Georg sprang Reinhold an die Gurgel.
Die Prügelei sprach sich schnell herum. Um die beiden Streithähne bildete sich ein Kreis. Dann kam Herbert. Er setzte seinen Helm als Rammbock ein, Reinholds Schädel musste zuerst dran glauben. Georg sprang elegant zur Seite und wich dem Helm aus, stieß Herbert zurück und rannte in Richtung Stiegenhaus. Ich konnte ihm nur mit Mühe folgen. Wir hörten Inspektor Stippschitz kreischen: »Ich nehme euch alle fest! Stehen bleiben – sofort!« Wir rannten mit dem »Penner« im Rucksack die Stiegen hinunter. Das Haupttor stand offen.
Ich war völlig außer Puste. »Wahnsinn. Das war knapp. Der Hubsi-Reinhold ist verrückt. Sucht ständig Streit und schnüffelt in fremden Sachen rum. Neulich hab ich ihn erwischt, wie er deinen Schrank inspizierte. Wir sollten mit ihm ein Sechsaugengespräch führen.«
»Nee, nee, nee. Du lässt die Hände von ihm.« Georg blieb stehen, fasste sich an den Kopf und drehte sich zu mir. Erregt streckte er mir seine Faust entgegen. »Du fasst ihn nicht an. Versprochen?«
Ich hatte damit kein Problem. »Klar. Warum regst du dich so auf?«
Wir mussten nun endlich die ersten Blätter unter die Leute bringen. Um Reinhold konnten wir uns später kümmern. Es schlug bereits neun und wir standen mit einer Handvoll Zeitungen am Donaukanal gegenüber dem Schwedenplatz. Georg putzte sich mit meiner blutigen Unterhose die Nase und warf sie anschließend in den Kanal.
Es war ein lauwarmer Augustmorgen. Hier unten am Kanal hatten Isabel und ich das erste Mal Körperkontakt gehabt, heimlich in der Nacht zwischen den stinkenden Mistkübeln der Gastronomie. Es war Lust auf den ersten Blick gewesen. Spannung pur. Wir hatten uns umarmt und geküsst, uns gestreichelt und im Stehen befriedigt. Gleichzeitig die Angst vor dem Entdecktwerden. Auf Sex im Freien stand die Höchststrafe. Aber der Kick war es wert.
Fragst du dich, wie wir unsere Zeitungen loswurden? Wir entwickelten da unsere eigene Masche. Wer hier keine kreativen Ideen hatte, wurde schnell vom Markt gedrängt.
Unser Ansatz war verdammt genial. Seit einiger Zeit gab es in Wien die Initiative »Sackerl fürs Gackerl«. Sie forderte Hundebesitzer auf, die Hundescheiße in speziell dafür vorgesehene Tüten und die in speziell dafür vorgesehene Behälter zu werfen. Wer das ignorierte, musste saftige Strafen zahlen oder seinen Hund in den Hundeknast bringen.
Um diesem Unglück zu entgehen, waren Frauchen und Herrchen bereit, viel zu zahlen, und füllten unsere ständig leere Geldbörse.
Die Idee war uns eines Tages am Schwedenplatz gekommen. Ich hatte ein Hündchen beim Geschäft beobachtet. Das Frauchen ignorierte den Haufen und ich schoss ein Beweisfoto: Frauchen, Hündchen und Gackerl.
Dann musste Georg den Sack zumachen. Er hatte mit dem Frauchen gesprochen und ihr einen Handel angeboten. Entweder sie kaufte zwei »Penner« und wir löschten das Foto, oder wir schickten das Bild direkt an die Polizei.
Der Donaukanal am Schwedenplatz war ein idealer Ort für unser Vorhaben. Es gab hier sehr wenige Grünflächen, aber dennoch viele Hundebesitzer, die entlang des Donaukanals ihre Köter ausführten. So auch heute.
Georg ging mir schon den ganzen Morgen mit dem Mord im Männerwohnheim auf die Nerven. »Mensch, wenn der Paradeiser dich befragt, dann werden sie dich aus Piefke 5 werfen. Vielleicht noch schlimmer: Ausweisen werden sie dich. Zurück nach Piefkonien. Weißt eh, dass der Reinhold ein Spitzel der Polizei ist. Er hat letztes Jahr den Tschuschen verpfiffen, weil der eine Österreicherin aufs Zimmer geschleppt hat. Er flog erst aus Tschuschen 6 und dann wieder zurück auf den Balkan. Und lass die Finger von der Hundefrisörin. Andererseits hätt’ ich dann endlich ein Zimmer für mich allein.« Er lachte.
Ich sah das ein wenig anders. »Piefke 5 hat doch nur ein Ziel: uns unter Kontrolle zu halten, uns zu bespitzeln und uns tagtäglich zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Dass du auch ein Piefke 5 bist, ist doch komisch, oder etwa