Der Stempelmörder. Torsten Schönberg

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Der Stempelmörder - Torsten Schönberg

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Ihnen da weiterhelfen?«

      »Hör mal zu, du kleiner Scheißer«, schrie Paradeiser und zog Seldschuk am Ohr. »Wenn du mich verarschen willst, dann werden wir das Gespräch auf dem Kommissariat weiterführen. Außerdem hängt deine Lizenz am seidenen Faden. Hilf mir oder ich sorg dafür, dass du in einem Flieger nach Anatolien landest. Also, lass hören.«

      Seldschuk war die Ruhe selbst. Er ließ sich nicht so leicht einschüchtern. »Herr Chefinspektor Paradeiser, ich habe heute frische Melanzani im Angebot. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

      Plötzlich musste ich niesen. Blut schoss mir ins Hirn.

      »Wer ist denn in deiner Hütte?« Paradeiser fragte nicht um Erlaubnis. Er bahnte sich den Weg vorbei an Seldschuk und wollte hinter den Stand treten, da hielt ihn Stippschitz zurück. »Wir haben einen Termin in der Meldemannstraße. Der Heimleiter wartet.«

      Mein Herz pochte. Georg und Akgün waren kreideweiß.

      Paradeiser dachte kurz nach und drehte sich um. »Seldschuk, denk an deine Lizenz. Melde dich, sobald du was hörst. Wenn dein Name bei den Verhören im Wohnheim fällt, dann bist du dran.« Er gab ihm seine Visitenkarte und verschwand mit Stippschitz im Gewühl der Touristen.

      Seldschuk ließ uns aus unserem Versteck. »Ihr habt gehört, was der gesagt hat. Er war schuld, dass meine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht genehmigt wurde. Ein unangenehmer Mensch, echt pervers. Sein Hilfssheriff Stippschitz soll auch nicht besser sein. Beiden kann man nicht trauen. So, jetzt muss ich meine Paradeiser verkaufen. Und grüßt mir die Jungfrau Maria.« Dabei grinste er komisch.

      Wir verschwanden durch den Hinterausgang.

      *

      Unsere heutige »Penner«-Ausbeute war gering und damit auch eine Mahlzeit nicht einmal ansatzweise in Sicht. Zum lukrativsten Jagdgebiet gehörte der erste Bezirk, die Innere Stadt, vor allem die Gegend rund um die teuren Fünfsternehotels. Meist schickten die Bonzen eigene Angestellte oder Hotelbedienstete hinaus, um mit ihren Hunden auf einem schmalen Grünstreifen zwischen Hotel und der Wiener Ringstraße Gassi zu gehen. Unser Weg führte also vom Naschmarkt über den Karlsplatz zum Kärntner Ring. Gleich an der Ecke Kärntner Straße, Kärntner Ring standen das Hotel Bristol und das Grand Hotel. Wir setzten uns in eine Straßenbahnhaltestelle direkt vorm Bristol und warteten auf Kundschaft.

      Wien ist im August wie ausgestorben. Sommerferien. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal im Urlaub gewesen war. Gleich nach dem Studium hatte ich in diversen Studentenjobs gearbeitet, die nichts brachten. Die Wirtschaftskrise traf mich ganz besonders, tiefer konnte ich nicht fallen. Das dachte ich zumindest damals.

      Dann entdeckte ich das Land, in dem angeblich alles besser war: Österreich. Der kleine Staat in den Alpen profitierte von den Touristenströmen. In meiner Naivität setzte ich »Alpen« mit »Geologie« gleich und machte mich auf den Weg nach Wien, um mein Berufsleben endlich in die richtigen Bahnen zu lenken.

      Aber auch im Paradies waren nicht alle gleich. Die Regierung schirmte die einheimische Bevölkerung von den Neuankömmlingen ab, und so steckte mich das Arbeitsmarktservice sofort ins Piefke-5-Programm. Damit standen wir unter ständiger Kontrolle.

      Diesen voyeuristischen Ansatz kannte ich bisher nur als eine Form der Sexualität. Da ich aber keine exhibitionistischen Neigungen hatte, empfand ich diese speziellen Rahmenbedingungen als höchst unsympathisch.

      Georg hatte es nach dem Tod seiner Frau ebenfalls nicht leicht gehabt, er war allerdings aus einem anderen Holz geschnitzt. Sein Motto: Durchwurschteln!

      Du wirst dich jetzt sicher fragen, welche Ziele der Kärntner verfolgte. Klar, er wollte endlich ein guter Österreicher werden, regelmäßig Geld verdienen, eine Zweizimmerwohnung beziehen und seinen kleinen Sohn zurückholen. Der wurde in der Zwischenzeit zwar bei seinen Eltern in Kärnten gut betreut, dennoch erwähnte er regelmäßig seine Sehnsucht nach einem ganz normalen Familienleben.

      Aber ich sagte immer: Georg und ich waren auf eine gewisse Art und Weise auch eine Familie, wenn auch nur auf Zeit. Und das war gut so.

      »Juri, mein Magen knurrt. Ich kann weit und breit keinen Köter sehen. Wie ausgestorben.«

      »Du bist immer so ungeduldig. Wir brauchen Kundschaft. Ich sehe schon den leckeren Schweinsbraten und die selbst gemachten Knödel vor mir. Wir sind nur ein paar Gackerl entfernt von unserer Mahlzeit.«

      Meine Gedanken kreisten gerade um das kleine Päckchen, das Seldschuk uns gegeben hatte. »Was, glaubst du, ist in dem Päckchen? Meinst du, Seldschuk handelt mit Drogen?«

      »Kann ich mir gut vorstellen. Er hat manchmal so eine Art, die mir unheimlich ist. Ich weiß nicht, warum.«

      »Aber was, wenn es Kokain wäre? Dann ist doch sicher viel Geld im Koffer, oder? Schon mal was von der Jungfrau Maria gehört?«

      Georg nickte. »Klar. Meine Eltern haben mich katholisch erzogen. Und wenn Geld im Koffer ist, dann gehört es Seldschuk und nicht uns.«

      »Das heißt doch nichts anderes, als dass wir morgen Mittag eine kapitalträchtige Erscheinung haben werden. Wenn der Papst wüsste, dass die Jungfrau Maria drogensüchtig und Seldschuk ihr türkischer Dealer ist – das wäre eine echte Schlagzeile für den ›Penner‹.«

      »Juri, du alter gottloser Evangele.«

      Wir grinsten uns an und mussten lachen.

      Ich wollte aber die heiße Ware auf gar keinen Fall übergeben. Wenn da was schiefging, hätten wir ein großes Problem. »Wir müssen jemanden finden, der das für uns übernimmt. Mal schauen, wer dafür infrage kommt.«

      Dann kam doch noch ein Gackerlproduzent. »Juri, schau mal. Die Pelztante mit dem kleinen Vierbeiner an der Leine. Die kommt gerade aus dem Grand.«

      Tatsächlich. Mit einem winzigen Chihuahua. Der Pelz der Frau musste schweineteuer sein.

      Wir teilten uns wie immer auf, ich stand Schmiere. Georg öffnete die Digitalkamera, die wir uns von Anton geliehen hatten. Dann kackte der kleine Köter direkt auf den Grünstreifen. Georg drückte ab, ich bot der Dame einen Handel an. Sie war völlig durcheinander und zahlte. Schließlich erwachte sie aus ihrer Starre und schrie so lange, bis der Portier aus dem Hotel gerannt kam, wobei er seinen Zylinder verlor. Er wollt uns verscheuchen. Ich verhedderte mich in der Hundeleine, die Pelzfrau und der Köter kugelten plötzlich am Boden. Ich zerrte an der Leine, woraufhin der Chihuahua in hohem Bogen durch die Luft flog und auf dem Portier landete. Die Pelztante saß mitten auf dem Gackerl und ich bahnte mir meinen Weg durch die hupenden Autos auf der Ringstraße.

      Wir rannten den Kärntner Ring und den Schubertring entlang in Richtung Stadtpark.

      Normalerweise saßen wir am Samstagnachmittag am Naschmarkt in einem der gemütlichen Lokale. Es gab dort fast alles, was das Herz begehrte: Egal ob Sushi, Döner, Käsekrainer, Palatschinken oder Schnitzel – es schmeckte alles hervorragend, ein richtiger Kontrast zum stinkenden Gackerl. Am liebsten mochte ich die süß und sauer gefüllten Palatschinken oder einen Schweinsbraten mit Kruste. Dazu ein gutes tschechisches Bier und der Tag war gerettet.

      Heute allerdings führte uns der Weg vom Stadtpark ein paar Meter weiter zum Schwarzenbergplatz in einen Bierkeller. Das Lokal lag direkt neben dem Sowjetdenkmal am Kopfende des Platzes, das an die Befreiung Wiens durch die Sowjetarmee erinnern sollte. Am Abend leuchtete es wunderschön und der Springbrunnen verlieh dem Denkmal eine besondere Atmosphäre.

      Wir

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