Der Stempelmörder. Torsten Schönberg

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Der Stempelmörder - Torsten Schönberg

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Bier vom Fass und meinen geliebten Schweinsbraten. Der Kellner war ein alter Bekannter aus der Meldemannstraße: Erwin aus Berlin, mit seiner ganz besonderen Berliner Art. Wir mochten ihn alle irrsinnig gern. Er hatte morgen seinen freien Tag. Noch so ein Piefke 5.

      »Na, wat für ’ne Überraschung. Juri, Georg! Euch beede hab ick heut nich mehr erwartet. Wie war det Jespräch mit Paradeiser und Stippschitz? Ham se euch fertigjemacht?« Er legte uns die Speisekarte auf den Tisch und zückte Block und Stift.

      »Erwin, einmal wie immer.«

      Georg schaute auf. »Für mich das Gleiche, aber mit viel Saft, damit der Braten ordentlich rutscht.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Uns hat noch niemand durch die Mangel gedreht. Wir sind Paradeiser allerdings schon zweimal am Naschmarkt fast in die Arme gerannt. Einmal bei Kovac, und dann bei Seldschuk. Wir werden in den nächsten Tagen sicher noch das Vergnügen haben. Was hat er dich gefragt?«

      Erwin setzte sich kurz an unseren Tisch. »Er wollte allet Mögliche wissen. Meine Personalien wurden offjenommen. Wie meene Wochenplanung aussieht, ob ick heute Nacht meen Zimmer verlassen hätte, ob mir wat uffjefallen sei. Ob ick irgendjemanden in Verdacht hätte, der zu so ’ner Tat fähig wär’, ob ick mit Karl Greißler in irgendeener Verbindung stand und so weiter und so weiter. Nachdem ick ihm so jut wie keene Informationen jegeben habe, hat er seine Taktik jeändert und mich jefragt, warum ick damals in Berlin die Tageszeitung an ’nem Kiosk jeklaut hätte und warum ick dreimal beim Schwarzfahren erwischt worden bin. Na ja, und noch so ’n paar Sachen.« Erwin grinste, dabei fielen seine nicht mehr vorhandenen Vorderzähne auf.

      »Was noch?«, fragte ich ihn.

      »Dann rechnete der mir vor, wie lang es wohl noch dauern würde, bis ick den Status des juten Österreichers erhalten würde. Und ob ick mit meenem Leben im Piefke-5-Programm zufrieden bin, wollte der wissen. Ick hab jesagt, datt ick schon jern ein normales Leben führen und nicht jeden Tag weiterjereicht werden möchte. Ach so, und denne fragte der noch, ob ich schon Jeschlechtsverkehr mit ’ner österreichischen Frau jehabt hätte. Es jäbe da Jerüchte. Ick bin ja nich bescheuert, wa? Dann hatter mir seine Karte jegeben und uff seine Telefonnummer jezeigt. Jeder Hinweis würd mich meinem Ziel näher bringen, hatter jesagt. Wenn er in den nächsten 24 Stunden nüscht von mir hören würde, dann bliebe ick een Jahr länger Piefke 5. Jeden Tag een Jahr länger.«

      Georg verzog das Gesicht. »So ein Schwein. So ein verdammtes Schwein, dieser Paradeiser! Ist ja nicht zu fassen. Wahrscheinlich hat er allen aus dem Männerwohnheim damit gedroht. Der baut sich sein eigenes Spitzelnetz auf und irgendwann wird sich jemand darin verheddern.« Dabei schaute er zu mir.

      »Was schaust mich an?« Mein Magen knurrte und ich verspürte einen schrecklichen Durst. »Erwin, hol uns ein Bier.«

      Er war schon fast außer Sichtweite, als er noch einmal zurückkam. »Bevor ick’s vergesse. Zwei Nischen weiter sitzt der Hasil. Ick gloobe, dem jeht’s nich jut. Der raunzt schon den janzen Tag rum und trinkt eene Halbe nach der anderen. Vielleicht könnt ihr den ja ein bissel offmuntern?«

      Wir und den Hasil aufmuntern! Hatten wir sonst keine Probleme? Seit wir von einem Großteil seiner Kundschaft Geld kassierten, liefen seine Geschäfte miserabel. Kein Köter im Knast. Keine Pudelhaare für Hasil. Er hatte keine Ahnung, dass wir der Grund dafür waren. Auf der anderen Seite verstärkte sich mein schlechtes Gewissen gegenüber Isabel, denn ohne Hunde im Knast hatte auch sie keine Einnahmen. Wie man es drehte, irgendwer schaute immer in die Röhre, aber ich musste auf mich und Georg achten. Er stand mir näher. Gehörte quasi zur Verwandtschaft.

      Erwin kam mit dem Brünner Bier. Zwei Halbe mit einer weißen Krone. Wir nahmen die Gläser und setzten uns zu Hasil.

      Ich klopfte ihm auf die Schulter. Das hatte ich von Kovac gelernt. »Na, alter Raunzer. Was macht das Leben? Wie geht es deinen Pudelmützen? Ich habe gehört, du arbeitest mit Dokupil, dem Pferdeschlachter, zusammen und verarbeitest die Pferdehaare zu Pudelmützen?« Ein Bekannter vom Naschmarkt erzählte uns letztens von diesem Synergieeffekt. Pferdehaare in Pudelmützen – das war so was wie Muckefuck, also Ersatzkaffee aus Getreide.

      Hasil schaute deprimiert drein. »Ihr habt gut reden. Werdet vom Staat durchgefüttert und bekommt alles in den Arsch gesteckt. Ihr Piefkes lebt doch in Saus und Braus. Lasst mich in Ruhe.«

      Georg stieß mit seinem Glas an das von Hasil. »Prost, alter Pudelkönig. Du kannst nicht alle über einen Kamm scheren. Wir Kärntner haben es auch nicht so leicht mit euch Wienern. Und schon gar nicht mit diesem Piefke. Aber Ersatzhaare zu Pudelmützen verarbeiten, das ist ein Skandal – oder etwa nicht?«

      Hasil sah aus wie ein geschlagener Köter. »Was wollt ihr von mir? Mich erpressen?«

      Ich schlug ihm noch einmal auf die Schulter. »Das würden wir nie tun. Wir sind bald gute Österreicher. Und gute Österreicher helfen sich gegenseitig, wenn sie in der Klemme stecken. Eine Hand wäscht die andere.«

      Georg mischte sich ein. »Wir hätten da einen Job für dich. Morgen Mittag sollst du für uns im Beichtstuhl der Dornbacher Pfarrkirche ein kleines Päckchen an die Jungfrau Maria übergeben. Den Koffer, den du von ihr bekommst, gibst du an uns weiter. Das ist alles. Klingt doch ganz einfach, oder?«

      Hasils Zeigefinger bewegte sich in Richtung Stirn. »Ihr seid’s doch vollkommen durchgedreht. Die Jungfrau Maria! Geht’s euch gut?«

      Ich erinnerte ihn noch einmal an die Ersatzhaare in seinen Pudelmützen. »Wenn deine Kunden, vor allem die neureichen Russen, von dem Betrug Wind kriegen, bist du erledigt. Wir kennen da so ein paar Moskauer in Wien, die das sicher interessiert. Lass es nicht drauf ankommen. Morgen Mittag wird dir die Jungfrau Maria im Beichtstuhl erscheinen.«

      In dem Moment kam Erwin mit unserem Schweinsbraten. »Soll ick’s hier servieren?«

      Georg zeigte zum anderen Tisch und flüsterte Hasil noch ein paar Worte ins Ohr. Der zuckte merklich zusammen und nickte. Wir zogen uns zurück und widmeten uns dem Braten.

      »Was hast du zu ihm gesagt?«, wollte ich von Georg wissen.

      »Ich hab ihm damit gedroht, jeden Tag einen toten Pudel in sein Geschäft zu werfen und die Tierschützer auf ihn zu hetzen.«

      »Du widerst mich an. Lass die armen Viecher in Ruhe. Erwin, noch zwei Bier!«

      Hasil war ein armes Schwein. Seine Lebensgrundlage waren Pudelmützen. Unsere war Piefke 5. Nach dem Essen tranken wir mit Erwin noch ein Bier. Ich fand sein Ziel, ein guter Österreicher zu werden, nicht unbedingt erstrebenswert, ich verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Wir freuten uns schon auf ein Wiedersehen am Donnerstag im Arbeitslosenstrandbad, Erwin arbeitete dort als Barkeeper. Wir würden an diesem Tag als Bademeister für die Aufsicht zuständig sein.

      Gegen sieben rafften wir uns endlich auf. Das Männerwohnheim wartete, um acht wurden die Türen geschlossen. Wer sich bis dahin nicht für die Nacht angemeldet hatte, der musste draußen schlafen. Um zehn wurde das Licht abgedreht, dann war Nachtruhe.

      Wir öffneten kurz vor acht die Tür. Es herrschte Totenstille, die kalten Flure wirkten um diese Zeit irgendwie unheimlich. Im Erdgeschoss lag die Verwaltung des Heims. Direkt neben dem Stiegenaufgang befand sich die Anmeldung. Ich klopfte und wir traten ein.

      Franz saß hinter einem massiven Schreibtisch aus Eichenholz. Er tippte gerade etwas in seinen Computer.

      »Sollen wir später noch mal wiederkommen?«, fragte ich.

      »Nein,

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