Operation Werwolf - Ehrensold. Uwe Klausner
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Ihre Gurgel zwischen den Fängen der linken Hand, ließ der Werwolf von ihr ab, rappelte sich auf und sah sie an, als versuche er in ihrem Blick zu lesen. Sie selbst lag einfach nur da, am ganzen Körper zitternd, die Linke vor dem blutüberströmten Gesicht. Die nächsten Sekunden würden über ihr Leben entscheiden, und sie hütete sich, auch nur einen einzigen Laut der Klage zu äußern.
Doch dann, als der Bahnsteig bereits in Sichtweite kam, erwachte der Unbekannte zu neuem Leben, beugte sich über sie und entblößte die rechte Hand.
Der Mann trug eine Prothese, metallisch schimmernd wie der Greifarm eines Automaten.
»Schau sie dir an, du dreckige kleine Schlampe«, knurrte er zähnefletschend vor sich hin, einen Geruch im Mund, der ihren Ekel vor dem Monstrum noch verstärkte. Und kreischte mit sich überschlagender Stimme: »Du sollst hinschauen, hab ich gesagt! Das da habe ich ganz allein dir zu verdanken – oder behauptest du immer noch, du hättest nichts damit zu tun? Und ob du was damit zu tun hast, du mieses Stück Dreck. Halt mich bloß nicht für dumm, sonst wirst du es bitter bereuen. Weißt du überhaupt, was ich durchgemacht habe? Nein? Wegen dir kann ich nicht mehr Violine spielen, und wegen dir kleinem Aas bin ich aus der SS geflogen. Und ausgerechnet du besitzt die Frechheit, zu behaupten, du hättest mich noch nie gesehen.« Der Werwolf lachte diabolisch auf. »Weißt du, was ich denke? Ich denke, wir machen es ein bisschen spannend. Der Reiz des Ungewissen – du verstehst. Wenn ich gewollt hätte, du wärst längst tot, oder glaubst du wirklich, du könntest mir das Wasser reichen? Da müsste schon jemand anderes kommen als du, machen wir uns nichts vor. Kurzum, um dich leiden zu sehen, brauche ich Zeit. Viel Zeit. Denn wenn ich schon meinen Kopf riskiere, möchte ich wenigstens auf meine Kosten kommen. Die anderen fünf, das war erst der Anfang, die Ouvertüre, um es dezent zu formulieren. Mit dem, was dir blüht, nicht im Mindesten zu vergleichen. Glaub mir, der Tag wird kommen, an dem du bereust, mich zum Krüppel gemacht zu haben. Meine Rache wird furchtbar sein, also mach dich auf was gefasst. Egal, wo du bist, egal, wo du dich versteckst, egal, was du dir einfallen lässt, um mich an der Nase herumzuführen, du entkommst mir nicht!«
An der Abteiltür angekommen, riss der Unbekannte eine Pistole hervor, zielte auf ihren Kopf und zischte: »Das Einfachste wäre, dir eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Aber keine Angst, mit dem Schießprügel zu agieren ist nicht unbedingt mein Ding. Gut Ding will Weile haben, das ist nun einmal so. Aber was soll’s, wenn es so weit ist, werde ich dich aufspüren – und wenn es Jahre dauert, bis ich dich finde. Ich komme wieder, sei gewarnt!« Die Augen weit offen, warf der Unbekannte einen verzückten Blick nach oben, während ihm der Speichel in Strömen zwischen den Mundwinkeln hervorsickerte. Und sprach mit bebender Stimme: »Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, zu dir wird kommen alles Fleisch!«
Kurz darauf, nachdem der Zug endlich zum Stehen gekommen war, war er wie vom Erdboden verschluckt.
CONFUTATIS
Wenn zum Schweigen gebracht werden die Verdammten,
Flammis acribus addictis,
den verzehrenden Flammen ausgesetzt werden,
Voca me cum benedictis.
dann rufe mich mit den Gesegneten.
Oro supplex et acclinis,
Ich bitte unterwürfig und demütig
Cor contritum quasi cinis,
mit einem Herzen, das sich in Reue im Staub beugt,
Gere curam mei finis.
trag Sorge zu meinem Ende.
(Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem)
2
Berlin-Schöneberg, Kaiserin-Auguste-Viktoria-Krankenhaus
21:30 Uhr
»Eine Vernehmung, in diesem Zustand? Kommt überhaupt nicht infrage, Herr Kommissar!«
Der Chefarzt sah seinem Vater zum Verwechseln ähnlich. Das war die eine Hälfte des Problems. Die andere bestand darin, dass er sich auch so benahm. Und genau damit kam Tom Sydow nicht zurecht.
»Seien wir doch mal ehrlich: Wären Sie an meiner Stelle, Sie würden genauso handeln. Die Ärmste hat genug durchgemacht, und wenn sie etwas braucht, dann ist es Ruhe – und zwar so viel wie irgend möglich.«
»Und was, wenn der Täter erneut zuschlägt? Ihre Fürsorge in allen Ehren, aber …«
»Kein Aber, Herr von Sydow. Meine Entscheidung steht unverrückbar fest.«
Der Halbgott in Weiß hatte gesprochen.
Eine finale Geste, und Sydows Déjà-vu-Erlebnis war komplett.
So hatte es zumindest den Anschein. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Herr Kommissar. Morgen früh sehen wir weiter.«
»Auf die Gefahr, Ihr Nervenkostüm zu strapazieren: Bis dahin könnte es zu spät sein.« Und dann auch noch die Reminiszenzen an seinen alten Herrn, mit dem ihn eine innige Hassliebe verband. Für Sydow, dem die Anstrengung deutlich ins Gesicht geschrieben stand, des Schlechten entschieden zu viel. »Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Herr Doktor: Jede Minute zählt. Je früher ich mit dem Mädchen reden kann, desto größer die Chancen, den Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen.«
»Ich denke, ich habe mich klar genug ausgedrückt. Das Wohl der Patientin geht vor.«
»Das will ich ja auch gar nicht bestreiten, Herr Doktor …«
»Wilmers. Facharzt für Klinische Chirurgie«, vollendete die anerkannte Koryphäe, rein äußerlich in den besten Jahren, wofür seine Gesichtsbräune beredt Zeugnis ablegte. Das eisgraue Haar fiel dabei nicht übermäßig ins Gewicht, und man musste schon genauer hinsehen, um die Falten unter den stahlblauen Augen zu entdecken. »Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, Herr Kommissar«, fuhr der Stationsleiter höflich, aber bestimmt fort, gab Sydow einen Wink, ihm zu folgen, und trat an die schalldichte Panoramascheibe, um einen Blick auf die 17-jährige Notfallpatientin zu werfen. »Aber ich kann das nun mal nicht verantworten. Wie gesagt, morgen ist auch noch ein Tag.«
Der Kopf gleich mehrfach bandagiert, das Gesicht, in dem es kaum noch eine unversehrte Stelle gab, dunkelrot gefleckt, der linke Arm fast vollständig von einem Verband umhüllt, während der rechte an der mobilen Drainage hing. Ein Anblick, bei dem Sydow Mühe hatte, den Groll in seinem Inneren zu bezähmen. »Wie Sie sehen, hat die junge Dame schwerste Verletzungen erlitten, und wir können von Glück sagen, dass sie noch am Leben ist.«
»Das können wir in der Tat«, räumte Sydow mit nachdenklicher Miene ein, wechselte einen Blick mit dem zuständigen Revierleiter und kam nicht umhin, den Chefarzt genauer in Augenschein zu nehmen. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war frappierend, und wie immer, wenn er mit seinem Vorleben konfrontiert wurde, machte sich Wehmut in ihm breit. Zeitlebens waren sie sich nie wirklich nah gewesen, nicht etwa, weil der Wille dazu fehlte, sondern weil Vater und er den gleichen Sturkopf besaßen. Kam es zu Streitigkeiten, die zuletzt überhandnahmen, konnte von Einlenken nicht die Rede sein. Auch deswegen, weil seine Mutter zunehmend Partei für ihn ergriff. Der häusliche Friede, sofern man das Wort in den Mund nehmen konnte, war somit nachhaltig gestört. Ein Grund unter vielen, weshalb sich seine Mutter nicht anders zu helfen wusste, als die Scheidung