Tod unterm Nierentisch. Alida Leimbach
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»Ich hätte da eine Frage, verzeihen Sie bitte.«
»Nanu?« Er zog die Augenbrauen hoch.
Das Dienstmädchen machte einen Knicks und lüftete die weiße gestärkte Spitzenschürze. »Ich hoffe, es ist nicht allzu aufdringlich, aber ich wollte fragen, ob alles recht ist.«
Walter Kettler lachte leise. »Natürlich ist es das, vielen Dank.«
»Wer spielt eigentlich heute?«
»Wir gegen die Türkei«, sagte er. »Ein wichtiges Spiel. Es wird zeigen, ob wir überhaupt eine Chance haben. Ich rechne mit nichts. Wir müssen uns gewaltig ins Zeug legen, um mit den anderen Mannschaften mitzuhalten. Wenn wir das nicht tun, sind wir schneller wieder draußen, als wir denken können.«
Katharina bedankte sich, trat aber immer noch nicht den Rückzug an.
»Noch etwas?«
Sie räusperte sich, knickste noch einmal. »Ich wollte einfach nur mal fragen, ob ich vielleicht, einmal, ein einziges Mal, bitte verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit … Das Spiel würde mich sehr interessieren! Es wäre so schön, wenn ich dabei sein dürfte, Herr Kettler! Ich habe doch in der Kellerküche kein Radio.«
Er schmunzelte. »Das lassen wir mal schön sein. Schuster, bleib bei deinen Leisten. Aber wenn Sie uns nett bedienen, richtig nett, bekommen Sie eventuell das eine oder andere Tor mit!«
2. Kapitel
Otto Korittke stützte seinen müden Kopf auf. Hunger hatte er nicht. Das Wiedersehen mit seiner Lotte schlug ihm auf den Magen. Minutenlang konnte er nichts sagen, bis seine Frau, ja, das war sie immer noch, damit begann, die Platten wegzuräumen und den Tisch zu decken.
»Das ist das Teeservice, das ich dir zur Hochzeit geschenkt habe«, bemerkte Otto mit rauer Stimme und sah zu, wie sie ein Sahnekännchen dazustellte. Er fühlte sich vernichtet. Verraten und verkauft. Er hatte gehofft, dass sich alles als Irrtum herausstellen würde. Nie hätte er damit gerechnet, dass sie nicht auf ihn warten würde! Wie auch? Schließlich hatte er sie nicht freiwillig verlassen, sondern war gezwungen worden, sich bei der Wehrmacht zu melden. Er hatte ihr versprochen, so schnell wie möglich gesund zurückzukommen. Sie hatte ihn bei ihrem letzten Abschied nach einem Heimaturlaub lange in den Arm genommen und geweint. Wie hätte er damit rechnen sollen, dass sie es nicht ernst meinte, sondern sich den Nächstbesten schnappte, der an ihr vorbeilief, um heimlich mit ihm erst ein Techtelmechtel zu haben und dann ein neues Leben zu beginnen?
»Ich weiß«, sagte Lieselotte. »Ich halte es in Ehren.«
»Das tust du nicht«, platzte es aus ihm heraus. »Du benutzt es mit einem anderen Mann, diesem Friseur. Er trinkt aus meinen Tassen und isst von meinen Tellern. Was ist mit deinem Ehering? Du hast ihn abgenommen?«
Sie blickte auf ihre Hände, als suche sie ihn dort. »Willst du ihn wiederhaben?«
Bekümmert schüttelte er den Kopf. »Behalte ihn ruhig. Bewahre ihn für Bettine auf. Ich habe keine Verwendung dafür.«
»Ach, Otto.«
»Es ist, wie es ist. Du brauchst mich nicht zu bemitleiden.«
Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber und tranken Tee. Als das Essen fertig war, gab sie ihm eine ordentliche Portion direkt aus der Pfanne und sah zu, wie er aß. Beim Anblick der fettigen Bratkartoffeln hatte er doch Appetit bekommen. Sie bot ihm einen Nachschlag an, aber er lehnte ab.
»Wie soll es jetzt weitergehen?« Er legte das Besteck quer auf den Teller und schob ihn ein Stück zur Seite. »Ich habe mich so auf unser Wiedersehen gefreut!«
»Ich mich doch auch, Otto, das musst du mir glauben! Lange habe ich davon geträumt, dass du zurückkehrst. Ich habe mich an der Hoffnung festgehalten, dass alles gut werden wird. Ich habe mir vorgestellt, wie es sein würde, wenn wir uns in die Arme fallen, wie du dich anfühlst, wie deine Haut riecht. Aber irgendwann … Hörst du, es war nicht leicht für mich. Hinter uns liegen schwere Zeiten. Ich musste doch an unsere Kinder denken. Der Hungerwinter 1947 war furchtbar, wir waren alle krank und bekamen keine Medizin. Ich weiß nicht, wie wir diese Zeit überhaupt überlebt haben.« Sie machte eine kurze Pause, sah ihn an. »Gerd ist tot, weißt du das überhaupt?«
Entsetzt hob er den Blick. »Nein, das wusste ich nicht. Mein erstgeborener Sohn tot? Was ist geschehen? Ist er gefallen?«
Sie nickte. »Ich will jetzt nicht darüber sprechen, sonst muss ich wieder weinen, und das will ich nicht.«
Verlegen kratzte er sich am Nacken. »Ich könnte die Wut kriegen, wenn ich noch die Kraft dafür hätte. Er war ein Kind, unerfahren, übermütig, gutgläubig. Am Ende haben sie auch die ganz Jungen geholt.«
»Gerd fehlt mir so sehr«, sagte sie. »Es gibt Momente, in denen ich besonders an ihn denke. Dann zerreißt es mich jedes Mal aufs Neue. Aber es geht vielen so. Man darf nicht ständig jammern.«
»Ich verstehe dich. Wir müssen nach vorne schauen, Lieselotte.« Seine Lippen bebten. »Was ist mit den anderen? Was macht Karl?«
Ihre Miene erhellte sich. »Eva studiert. In Hamburg«, sagte sie stolz. »Sie will Lehrerin werden!«
»Das ist ja großartig. Wie hat sie das denn geschafft? Sie war immer schon ehrgeizig, eine gute Schülerin, aber dass sie studiert? So ein Studium kostet doch eine Unmenge Geld!«
»Ihr Lehrer unterstützt sie. Er hat dafür gesorgt, dass sie ein Stipendium bekommt. So müssen wir das Hörergeld nicht bezahlen, zumindest für die ersten vier Semester. Die Miete für ihr Zimmer bezahlt Rolf. Das geht schon. Die 25 Mark kann er erübrigen.«
»Rolf. Ja«, sagte Otto. »Rolf hat genug, ich sehe schon. Dein Rolf scheint richtig im Geld zu schwimmen. Da kann ein ehemaliger Hotelkoch wie ich nicht mithalten. Und Karl? Wie geht es Karl?« Röte schoss ihm ins Gesicht. Er wollte keine Hiobsbotschaft mehr hören. Es war genug.
Sie zögerte, sah an ihm vorbei. »Karl ist im Moment in einer etwas schwierigen Phase. Er ist laut und frech. Nun ja, er ist 19, kein einfaches Alter. Oft eckt er bei Rolf an. Die zwei sind wie Hund und Katz. Aber er hat Glück gehabt«, fuhr sie munterer fort. »Das Hotel Hohenzollern hat ihn genommen, nachdem er vom Elektriker, vom Herrenschneider und vom Buchbinder wegen Unpünktlichkeit und Aufsässigkeit gefeuert worden ist. Er tritt in deine Fußstapfen, Otto, macht eine Lehre als Koch, ist im zweiten Lehrjahr, verdient schon 60 Mark. Die Hälfte davon gibt er uns als Kostgeld ab. Rolf wollte ihm nur 10 Mark lassen, das sei genug Taschengeld, meint er, aber das konnte ich verhindern, denn Karl spart auf einen Motorroller. Es gefällt ihm im Hotel, darüber bin ich sehr froh. Ich bete jeden Tag, dass er endlich bleiben kann. Schon länger habe ich keine Klagen mehr gehört. Vielleicht ist das seine Berufung!«
»Das ist schön«, sagte Otto lächelnd. »Ich wusste, dass er eines Tages meinen Weg einschlägt und im Hotel arbeitet. Als Kind wollte er immer Kellner sein, weißt du noch? Das war sein Lieblingsspiel.«
Sie schmunzelte bei der Erinnerung daran.
»Verkaufstüchtig war er immer schon. Wie geht es deiner Mutter?«
»Ausgezeichnet. Sie ist froh, wieder eine Aufgabe zu haben.«
»Eine