Tod unterm Nierentisch. Alida Leimbach
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Auf den Fernseher hatten sie eigentlich noch zwei oder drei Jahre warten wollen, bis sie einen Großteil der Schulden abbezahlt hätten. Aber Rolf hielt sich nicht daran. Die Fußballweltmeisterschaft war sein Antrieb. Er wollte unbedingt das Endspiel sehen, nicht nur hören. Vor zwei Tagen war er zu Radio Wischott gegangen und hatte den teuersten Fernsehschrank für sage und schreibe 748 Mark gekauft. Lieselotte war außer sich, dass er sich über ihre Bedenken hinweggesetzt und sogar ihre Mutter angepumpt hatte. Die schenkte ihm trotz ihrer mageren Rente 100 Mark dafür. Das war ihr erster großer Streit gewesen. Rolf sagte, dass er ein Leben lang der Dumme gewesen sei, der nichts besessen hatte, außer einer winzigen ungeheizten Wohnung ohne Badezimmer. Die Kunden würden nun sehen, dass er es weit gebracht hatte und sich viel mehr leisten konnte als die Konkurrenz, einfach, weil er erfolgreicher war. Er freute sich auf das triumphale Gefühl, von Fernsehsendungen zu erzählen, die seine Kunden nur vom Hörensagen kannten, wenn überhaupt. Es war schön, endlich etwas zu haben, mit dem er angeben konnte.
Dieses Argument leuchtete ihr schließlich ein. Lieselotte musste zugeben, dass der Fernsehschrank auch in geschlossenem Zustand überaus apart war und sich hübsch dekorieren ließ. Nach der Politur stellte sie eine Blumenvase mit drei weißen Nelken darauf und goss den Gummibaum, dessen große Blätter ein wenig Staub angesetzt hatten. Morgen würde sie sie mit Schmierseife bearbeiten.
Bettine, die 19-jährige Tochter, und Großmutter Wilma brachten Teller und Platten mit belegten Schnittchen, russischen Eiern und Frikadellen herein und stellten Bowle- und Biergläser bereit. Aus dem Kinderzimmer am Ende des Flurs, nur durch einen dicken Vorhang vom Schlafzimmer abgetrennt, drangen helles Lachen, Quietschen und Juchzen, weil die Kleinen sich gerade ihre Schlafanzüge anzogen und vor lauter Freude darüber, dass sie ausnahmsweise einmal länger aufbleiben durften, auf den Betten herumsprangen.
Im Vogelkäfig, der an einer Stange vor dem Wohnzimmerschrank hing, zwitscherte Coco, der blaue Wellensittich. An Weihnachten war er eingezogen und forderte seitdem sein abendliches Beschäftigungsprogramm ein. Bettine gab ihm ein Salatblatt von der Garnitur ab und kraulte durch die Gitterstäbe hindurch sein Köpfchen. »Coco brav, Coco brav?«, gurrte sie und pfiff ihm etwas vor. Der Vogel antwortete mit lautem Zwitschern. Ein bisschen klang es, als wolle er die menschliche Stimme nachahmen.
»Händewaschen nicht vergessen«, mahnte Lieselotte, während sie rasch noch etwas Ordnung im Wohnzimmer machte, die »Hörzu« weglegte und die Kissen auf der Couch mit einem ordentlichen Knick in der Mitte versah.
Plötzlich hielt sie inne und fragte nach Rolf. Die sechsjährige Karin, die gerade das Zimmer betrat, zog rasch ihr Schlafanzug-Oberteil auf die richtige Seite, bevor ihre Mutter sie dafür tadelte und möglicherweise sogar ins Bett schickte. Man konnte nie wissen.
»Papa hat noch einen Kunden«, sagte die Kleine. »Ich war eben unten und wollte ihn holen. Ich soll euch sagen, es dauert noch ein bisschen.«
Lieselotte warf seufzend einen Blick auf die Wanduhr. Es war kurz vor sechs, eigentlich wollten sie längst alle zusammen auf der Couch sitzen und es sich gemütlich machen. »Einen Kunden? Er hat versprochen, pünktlich Feierabend zu machen. Und nun will er lieber arbeiten, ach, du liebe Zeit!«, sagte sie zu ihrer Mutter. »Ich verstehe ihn nicht. Willst du nicht mal nachsehen, Bettine, wie weit er ist? Karin hat schon ihren Schlafanzug an und kann sich unten so nicht zeigen.«
»Warum nicht?«, fragte die Sechsjährige, bekam aber keine Antwort.
»Gleich«, sagte Bettine, rollte die Augen und ging in die Küche, um Knabbergebäck in Schälchen zu füllen.
Lieselotte klappte den Fernsehschrank auf und drehte den oberen Knopf nach rechts, bis das erwartete Knacken ertönte. Gespannt blieb sie vor dem Apparat stehen, ob sie auch alles richtig gemacht hatte. Das schwarz-weiße Testbild wackelte und war grobkörnig. Sie zog den Apparat ein paar Zentimeter hervor und richtete die Antenne aus, stellte sie immer wieder um. Das Bild wurde klarer. Dabei blieb es aber. »Gleich sehen wir Fußball in echt«, sagte sie.
Bettine hatte an der Schwelle mitgehört. »Das glaubst auch nur du. Ich habe gehört, dass wir nicht alle Spiele sehen können, wahrscheinlich sogar nur das Endspiel. Die deutschen Spiele werden nicht gezeigt. Man kann sie nur am Radio verfolgen und später in der Wochenschau.«
Lieselotte fuhr herum. »Das kann doch nicht sein! Dann hätte Vati nicht so viel Geld ausgegeben!«
Bettine zuckte mit den Schultern und drehte sich auf dem Absatz um. »Nur am Radio, du wirst schon sehen. Und beim Endspiel sind wir sowieso nicht mehr mit dabei! Wir werden viel früher ausscheiden. Das Geld hätte er sich sparen können.«
»Freches Gör«, schimpfte Lieselotte und richtete erneut die Antenne aus.
Als Bettine mit zwei weiteren Schalen aus der Küche kam, schaltete Lieselotte gerade das Radio ein. Es kamen die 18-Uhr-Nachrichten.
Dann war es so weit. Der Sprecher Herbert Zimmermann stellte die deutsche Mannschaft vor, mit den besonderen Stärken und Schwächen der einzelnen Spieler. Auch die gegnerische Mannschaft wurde genau unter die Lupe genommen. Wortreich legte er Chancen, Risiken und Fallstricke dar. Lieselotte setzte sich kerzengerade auf einen der beiden neuen Cocktailsessel und vergaß fast zu atmen. Noch immer hoffte sie darauf, dass Herbert Zimmermann auch auf dem Bildschirm erscheinen würde, aber das war nicht der Fall. Außer dem Testbild war nichts zu sehen. Enttäuscht drehte sie den Apparat schließlich aus.
»Und?«, fragte Bettine provozierend. »Wer von uns beiden hatte nun recht?«
Lieselotte winkte ab. Herbert Zimmermann war viel interessanter, wenn auch im Radio. Leider sah es nicht gut aus: Die Deutschen würden es gegen die Türken nicht leicht haben. Sie mussten sich gewaltig ins Zeug legen, um das desaströse Spiel gegen Ungarn vom Sonntag wieder wettzumachen.
Großmutter Wilma kam zur Tür herein, nachdem sie mehrmals zwischen Küche und Wohnstube hin- und hergelaufen war. »Was sagt er? Wie sieht’s aus heute?«
»Zimmermann meint, dass eine Chance besteht, weil Sepp Herberger die wichtigsten Spieler noch geschont hätte.«
»Denn man tau«, murmelte Wilma Müller, während sie ihrer Tochter ein Glas Bowle mit frischen Erdbeeren reichte.
Dann verteilten sich alle auf die Sofas und Sessel. Die beiden Kleinen quetschten sich dazwischen und wurden regelmäßig ermahnt, still zu sein.
»Peter, noch einmal, und es geht in die Klappe!«, sagte Großmutter Wilma streng.
*
Schwungvoll