Goettle und der Kaiser von Biberach. Olaf Nägele
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Читать онлайн книгу Goettle und der Kaiser von Biberach - Olaf Nägele страница 3
»Du hast Geld bekommen. Genug, um unterzutauchen. Alles andere geht uns nichts an. Das ist dein Ding. Es ist eben eine schwierige Zeit.«
»Schwierige Zeiten gibt es immer. Ich will davon nichts hören. Ich bin an Lösungen interessiert. Genau wie meine Kunden. Und dafür brauche ich Geld. Schnell. Ist das klar?«
»Du hättest nicht hierherkommen dürfen. Es hat sich viel verändert, seit du weg bist. Du machst alles kaputt.«
»Aber nein. Ihr gebt mir mein Geld, und schon tauche ich wieder unter. Ich löse mich praktisch in Luft auf.«
»Wir haben das Geld nicht. Wir haben investiert. Außerdem lief es in letzter Zeit nicht so, wie wir es geplant haben. Wir brauchen Zeit.«
»Das interessiert mich nicht. Ich will meinen Anteil, und zwar sofort.«
»Bist du verrückt? Steck die Waffe weg!«
»Zwingt mich nicht, sie zu gebrauchen. Und sag dem Bürschchen, er soll stehen bleiben, sonst puste ich ihm das bisschen Hirn weg, das er mit sich spazieren trägt.«
»Lass den Scheiß. Los, nimm ihm die Knarre ab … Sei vernünftig … Das ist doch Wahnsinn … Wir können doch noch mal reden … Hört auf … Nein … Nicht … Aufhören! Sofort!!!«
…
»Oh mein Gott. Das wollte ich nicht. So viel Blut. Ist er … tot?«
4
»Du bist also auch nicht aus Biberach. Genau wie ich. Ursprünglich stamme ich aus Hannover, aber die letzten Jahre habe ich in New York zugebracht. Eine geniale Stadt, am liebsten würde ich da sofort hinziehen. Die Leute dort sind so offen und frei, so ganz anders als hier. Allein dieser Dialekt, den sie hier reden. Furchtbar.«
Greta rührte mit dem Strohhalm in ihrem Hugo und betrachtete das Pfefferminzblatt, das auf der Oberfläche schwamm, als wäre darauf eine geheime Botschaft zu entdecken. Zum Beispiel, wie sie diesen Kerl gegenüber wieder loswerden konnte, der seit einer geschlagenen halben Stunde ohne Punkt und Komma aus seinem ereignislosen Leben erzählte. Natürlich hatte sie sich mit Joachim getroffen, um ihn kennenzulernen, aber war davon ausgegangen, dass auch sie einmal zu Wort kommen würde. Das war bislang noch nicht der Fall gewesen.
Der sportliche, schlanke Mittdreißiger ohne Altlasten, der »mit beiden Beinen im Leben stand, der in Anzug und in Jeans eine gute Figur machte, mit dem man lachen und auch mal weinen konnte, der sich für Kunst, Theater und Musik interessierte, gerne reiste und auch kulinarischen Freuden nicht abgeneigt war«, hatte sich in einen Rausch geredet. Davon hatte nichts in seinem Profil gestanden, das er im Flirtportal »www.ausgesinglet.de« eingestellt hatte, um ein weibliches Pendant zu finden.
Greta fragte sich, warum sie immer wieder auf diesem Wege versuchte, jemanden kennenzulernen. Konnte sie nicht einfach in eine Kneipe gehen, ein bisschen flirten, sich auf einen Drink einladen lassen?
Nein, konnte sie nicht. Wenn sie von einem Mann angelächelt wurde, sah sie sofort an sich herunter, um einen Fehler an sich zu suchen. Einen Fleck auf der Bluse zum Beispiel oder einen offenen Reißverschluss der Jeans.
Das Selbstbewusstsein, das Greta im Job an den Tag legte, schien sie jeden Abend an der Pforte des Kriminalkommissariats abzugeben. Dann verwandelte sich die toughe Hauptkommissarin in ein unscheinbares Mäuschen, das so gar nichts mit sich anzufangen wusste und so wirkte, als existierte es gar nicht.
Dabei hatte sie sich fest vorgenommen, in der neuen Stadt alles besser zu machen als in ihrer Heimatstadt Freiburg. Der Job in Biberach hatte der erste Schritt in diese Richtung sein sollen. Es war nicht der berufliche Aufstieg, den sie sich gewünscht hatte, aber die Stelle hatte Vorteile: Neue Kollegen, ein interessantes Aufgabengebiet und vor allem war sie schnell verfügbar gewesen. Hier konnte Greta einen Neuanfang wagen, ohne die Last der Erinnerung, die sie in den ruhigen Momenten niederdrückte.
Wenn der Boden zu rutschen beginnt, muss man die Zelte abbrechen, um sie auf festem Grund wieder zu errichten, hatte ein Freund geraten.
Das hatte sie getan und bereute diesen Schritt keinen Moment. Von Anfang an hatte sie sich in das malerische Städtchen verliebt. Die bunten Fassaden in der Innenstadt, die Fachwerkbauten, die Türme und Erker der Häuser am Marktplatz. Dieser ruhige, unaufgeregte Strom, in dem sich die Menschen durch die Stadt treiben ließen, oder dieses Laisser-faire, mit dem sie in den zahlreichen Cafés saßen, um sich dem Müßiggang hinzugeben. Allerdings, und das war wohl das berühmte Haar in der Wohlfühl-Suppe, verwandelte sich das Zentrum nach Ladenschluss in ein Postkartenmotiv. Schön anzusehen, aber viel zu ruhig für Gretas Geschmack, die etwas mehr Umtriebigkeit von der einstigen badischen Heimat gewohnt war.
Eine Wohnung hatte sie sofort gefunden: zwei Zimmer, Küche, Bad in einem lindgrün gestrichenen Haus mit roten Fensterläden in der »Neuen Gasse«, ganz nah am Zentrum. Das Beste daran, fand Greta, war jedoch die räumliche Nähe zur Chocolaterie Maya, gleich um die Ecke. Dort genehmigte sich die Hauptkommissarin hin und wieder eine der »süßen Versuchungen«. Das half ihr beim Nachdenken.
Und doch war sie auch nach vier Monaten im Oberschwäbischen noch nicht so richtig heimisch geworden, geschweige denn, dass sie in ihrer neuen Stelle gefordert gewesen wäre. In Biberach und Umgebung dachte anscheinend niemand daran, ein Verbrechen zu begehen, das über einen Einbruchdiebstahl, eine Körperverletzung oder einen Raub hinausging.
Auch den Kollegen oder den Nachbarn war sie nicht nähergekommen, was mitunter an deren Sprache lag. Greta mochte den warmen Klang des Schwäbischen, was aber nicht hieß, dass sie alles verstand. Ständig musste sie sich das Gesagte wiederholen lassen, und dieses stetige Nachfragen nervte wohl auch die Mitarbeiter, die sie deutlich spüren ließen, dass sie eine »Reig’schmeckte« war. Eine Badenerin obendrein.
In dem Bemühen, Anschluss zu finden, war sie in den katholischen Kirchenchor eingetreten. Nicht, dass sie besonders gläubig gewesen wäre, aber der Ruf, der dem Sangeskollektiv vorauseilte, hatte sie neugierig gemacht. Denn der Leiter, Pfarrer Andreas Goettle, war ein eingefleischter Rockfan, und entsprechend war die Auswahl der Songs eher modern ausgerichtet.
Für das nächste Sommerfest hatte er die Aufführung der Rockoper »Jesus Christ Superstar« geplant. Greta war als Besetzung der Prostituierten Maria Magdalena vorgesehen. Pfarrer Goettle hatte das als »Pfondsidee« eingestuft, dass ausgerechnet eine Hauptkommissarin diese verruchte Rolle bekleiden sollte. »Da könnet Se au mol die donkle Seite ausleba«, hatte er ihr augenzwinkernd zugeflüstert. Ungewöhnliche Worte aus dem Mund eines Geistlichen.
»Weißt du, die Leute denken immer, Versicherungsmakler sei so ein langweiliger Beruf. Aber das stimmt gar nicht. Wenn man erfolgreich sein will, muss man sehr individuell auf die Wünsche der Kunden eingehen. Das erfordert ein hohes Maß an Kreativität. Ich hatte da mal eine Unternehmerin, die den Betrieb des Vaters übernommen hatte …«
Von Versicherungsmakler hatte in dem Inserat ebenfalls nichts gestanden, und auch in der sonstigen Beschreibung hatte Joachim selbstgefällig beide Äuglein zugedrückt. Eine gute Figur würde er weder in Jeans noch im Anzug machen, über dem Gürtel seiner Hose spannte ein prächtiger Bauch den Stoff seines Hemds. Die Brille, den Schnauzbart und die Halbglatze hatte er auch nicht erwähnt, und für welche Art von Literatur und Musik er sich interessierte, das wollte Greta eigentlich schon nicht mehr wissen. Dem bisherigen Gespräch nach zu urteilen,