Goettle und der Kaiser von Biberach. Olaf Nägele

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Goettle und der Kaiser von Biberach - Olaf Nägele

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muss mal kurz für kleine Mädchen«, unterbrach Greta das Geschwurbel des Gegenübers und erhob sich. Sie zog den engen Rock, der hochgerutscht war, nach unten und stakste auf den für ihre Verhältnisse hochhackigen Schuhen in Richtung Toilette. Sie spürte Joachims Blicke auf ihrem Hintern und schwor sich, zum nächsten Blind Date, sollte es je wieder zu einem kommen, in Jeans und Sneakers zu erscheinen. Das fehlte noch, dass sich dieser personifizierte K.-o.-Tropfen an ihrem Outfit aufgeilte, während sie Mühe hatte, nicht ins Wachkoma zu fallen.

      Im Vorraum des WCs baute sie sich vor einem Spiegel auf, strich mit einem Finger eine Verwischung ihres Kajalstrichs weg und sah sich kritisch an. Gut, die Nase war ein bisschen zu spitz, was die schmalen Wangen noch mehr betonte. Und ja, ein Friseurbesuch konnte auch nicht schaden, und sei es nur, um die ersten grauen Strähnchen wieder in den dunklen Fluss der schulterlangen Haare zu integrieren. Aber sonst sah sie doch gut aus. Nicht zu dick, nicht zu dünn, die wenig ausgeprägten Rundungen saßen zumindest an den richtigen Stellen, und schließlich gab es ja textile Mittel und Wege, diese zu betonen. Hatte sie es wirklich nötig, noch mehr Abende wie diesen mit den männlichen Vertretern der Resterampe zu verbringen?

      Greta schüttelte den Kopf.

      Sie zog ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Kollegen Schneider. Nach einigen Sekunden nahm er ab und versuchte, das Gebrüll im Hintergrund zu übertönen. Offenbar hatte er mehr Spaß als sie.

      »Hallo, Herr Schneider, hier ist Greta Gerber. Hören Sie. Sie müssen mir einen Gefallen tun.«

      Schneider war wenig begeistert von dem Vorschlag, aber die Hauptkommissarin wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Als sie wieder an den Tisch trat und sich setzte, wurde sie von Joachim aufmerksam gemustert.

      »Was machst du eigentlich so? Ich meine … beruflich.«

      Diese Pause, dieser süffisante Ton gab seiner Frage eine anzügliche Note, und einmal mehr bedauerte Greta, ein Outfit gewählt zu haben, das ihre Weiblichkeit so eindeutig betonte. Am Ende dachte dieser Hinterhof-Casanova noch, dass sie es nur für ihn angelegt hatte.

      Sie zog am Strohhalm, verschluckte sich, hustete, um den fehlgeleiteten Tropfen aus der Luftröhre hinauszubefördern, und überlegte, ob sie Joachim die Wahrheit sagen oder ihm eine Notlüge servieren sollte. Sie würde ihn ohnehin nicht wiedersehen, das stand fest. Und irgendwie hatte sie keine Lust, über ihren Beruf zu reden. Schon gar nicht mit ihm, dem Versicherungsmakler mit seinem so aufregenden Leben.

      »Ich bin Sekretärin bei einer Gebäudereinigungsfirma«, sagte sie und sah dabei zu, wie Joachims Mimik den Fahrstuhl nach unten nahm. Offenbar hatte er sich ein spannenderes Date gewünscht.

      »Hm, ja, das ist bestimmt auch ganz nett«, hakte er ein. »Ich sage ja immer: Ein Beruf ist so interessant, wie man ihn sich macht. Ich zum Beispiel stelle mir jede Woche eine neue Herausforderung …«

      Er zog ein Smartphone aus der Tasche, wischte wie wild auf dem Display herum und präsentierte eine Liste. »Hier. Nächste Woche will ich zwei Neukunden besuchen und insgesamt mindestens 1.500 Euro Umsatz machen. Das ist hart, oder? Ich meine, ich kenne die Kunden noch gar nicht und ich habe keine Idee, wie und wo ich sie finden soll. Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Das ist einer meiner Grundsätze. Nur so kommt man weiter …«

      Die Melodie der TV-Serie »The Munsters« erklang. Der Klingelton ihres Telefons unterbrach Joachims einsetzende Wortkaskade. Mit geweiteten Augen starrte er Greta an, als sie ihr Handy aus der Tasche zog und ihn entschuldigend anblickte.

      Sie nahm ab. »Gerber? Ja … Ach so … Jetzt gleich? … Gut, ich komme.«

      Sie legte Joachim eine Hand auf die Schulter.

      »Es tut mir leid, aber ich muss dringend weg. Einer unserer Fensterputzer ist vom Gerüst gefallen. Nicht schlimm, nur aus dem ersten Stock. Das macht er oft. Wahrscheinlich will er sich eine Krankmeldung erschleichen. Ich muss die Unfallversicherungsunterlagen für ihn raussuchen. War wirklich nett mit dir.«

      »Aber wir wollten doch noch einen Nachtisch …«, stammelte Joachim und sah ihr dabei zu, wie sie sich die schwarze Jeansjacke über die Schulter warf.

      »Vielleicht ein anderes Mal. Ich ruf dich an«, sagte Greta und rauschte davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszuprusten. Eine dümmere Ausrede hätte sie wohl kaum finden können, aber offenbar zog Joachim die Geschichte keine Sekunde in Zweifel. Blieb zu hoffen, dass dieser Langweiler ihre Aussage richtig interpretierte und seine Balz anderweitig fortsetzte.

      »Was soll denn der Blödsinn, Frau Gerber?«, quäkte Denis Schneiders Stimme aus dem Handy. »Haben Sie getrunken?«

      »Ich bin derartig stocknüchtern, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Und ernüchtert. Danke, Schneider, Sie haben etwas gut bei mir«, sagte Greta und legte auf.

      Vor der Tür der Cocktailbar atmete sie tief ein und ließ die frische Frühlingsluft in die Lungen strömen. Sie fröstelte. Obwohl die Temperaturen tagsüber schon ab und an die 20-Grad-Marke überstiegen, waren die Nächte noch kühl.

      Aus der Grünanlage neben der Stadthalle war jugendliches Johlen zu hören. Flaschen rollten über den Boden, Gelächter. Die jungen Biberacher schienen sich schon auf den nahenden Sommer einzustimmen, der, wie in anderen Städten auch, mit Alkoholgenuss in Freianlagen einherging.

      Greta wurde ein wenig wehmütig, als sie daran dachte, dass sie die warmen Abende wohl allein verbringen musste. Einen Moment schoben sich die Gesichter ihrer Mutter und ihrer Schwester ins Gedächtnis und legten sich wie ein Band aus Stahl um den Brustkorb. Sie ließ sich von einer Heimwehwelle überrollen und kämpfte gegen die Selbstmitleidstränen an. Sie sah zum Weißen Turm, der sich stolz und mächtig über die Innenstadt erhob. Wie oft war sie in den letzten Wochen den Weg hinauf zu ihm gestiegen, hatte seine Nähe genossen und sich von ihm behütet gefühlt.

      Geduld, das war es, was ihr fehlte. Und Gelassenheit. Es war alles eine Frage der Zeit, bis sie sich zurechtfand und nette Menschen kennenlernte. So viel besser war es ihr in Freiburg schließlich auch nicht gegangen. Der Beruf und die vermeintliche Karriere standen dem privaten Glück im Weg, und sie konnte in diesem Punkt auch nicht aus ihrer Haut. Vielleicht war sie keine gute Freundin, womöglich hatte sie als Liebhaberin Schwächen, aber eines war sie ganz gewiss: eine gute Polizistin. Das würde sie den Menschen hier in Biberach schon noch beweisen.

      »Wenn nur mal etwas Interessantes passieren würde«, murmelte sie. Langsam schlenderte Greta die Theaterstraße in Richtung Marktplatz hinunter und nahm sich vor, sich in ihrer Wohnung noch ein Glas Rotwein zu genehmigen.

      5

      »Ist er tot?«

      »Keine Ahnung … Warte … Nein, er atmet noch …«

      »Lass uns abhauen.«

      »Das können wir nicht riskieren.«

      »Was schlägst du vor?«

      »Heb die Knarre auf!«

      »Wieso …?«

      »Mach schon!«

      »Aber das geht doch nicht.«

      »Gib sie ihm in die Hand.«

      »Was soll das denn?«

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