Goettle und der Kaiser von Biberach. Olaf Nägele
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Читать онлайн книгу Goettle und der Kaiser von Biberach - Olaf Nägele страница 8
Greta konnte es nicht fassen. Sie hatte sich schon oft mit der oberschwäbischen Gemütlichkeit konfrontiert gesehen, vor allem in Dienstleistungsbereichen wie Restaurant, Bäckereien und Ämtern, aber dass der Kollege eine solche Wurstigkeit bei einem Mordfall an den Tag legte, sprengte alle Grenzen. Sie musste sich beherrschen, damit sie nicht die Contenance verlor.
»Haben Sie irgendeinen Hinweis auf die Identität des Opfers gefunden?«, fragte sie gedämpft.
»Nein, es wird im Moment niemand im näheren Umkreis vermisst.«
Schneider besah sich im Spiegel, strich mit der Hand über seine gebändigte Haarpracht und nickte selbstgefällig.
»Ist das Bild von dem Toten fertig?«
»Liegt auf Ihrem Schreibtisch.«
Greta betrachtete das Bild des Mannes genauer. Der Vollbart konnte seine markanten Züge nicht kaschieren, seine braunen Augen lagen tief in den Höhlen. Sie starrten leblos in die Ferne, es waren die Augen eines Avatars, an einer Maschine rekonstruiert, der Natur lediglich nachempfunden. Und dennoch war das durch und durch ein Mensch, der hier abgebildet war. Die Haare waren eindeutig gefärbt, das Schwarz wies einen deutlichen Blaustich auf.
»Das Foto ist schon an die Medien raus. Es wird in den Regionalnachrichten gesendet, und die Zeitung wird es morgen auch drucken. Außerdem hat der Chef mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass er morgen eine Pressekonferenz geben will. Er möchte, dass Sie dabei sind.«
Greta schluckte. Sie war nicht unbedingt erpicht darauf, mit Journalisten zu sprechen, die ihrer Meinung nach nur auf eine Schlagzeile aus waren. Diese Typen lauerten doch nur auf eine Chance, der Polizei irgendeinen Ermittlungsfehler nachweisen zu können, um die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie schüttelte den Gedanken ab.
»Und wer verfolgt Ihrer Meinung nach die Hinweise, die wir durch den Aufruf bekommen?«
Gretas Stimme klang aggressiver, als sie es wollte.
Schneider sah sie an, als hätte sie ihm eröffnet, er könne nun mit der Raumreinigung beginnen.
»Frau Behrmann ist noch da. Und Sie. Sie leiten doch die Ermittlungen. Außerdem bin ich jederzeit zu erreichen. So wie gestern, als ich Sie von Ihrem Date erlöst habe.«
Er zog sein Smartphone aus der Tasche und hielt es in die Höhe.
Greta spürte, dass hinter Schneiders Zynismus noch etwas anderes steckte. Er verhielt sich ihr gegenüber korrekt, aber nicht kollegial, befolgte ihre Anweisungen mit Unmut, machte nicht mehr als nötig. Dienst nach Vorschrift nannte man das wohl, aber diese Einstellung war bei der Polizei, und erst recht bei einem Mordfall, mehr als fehl am Platz.
Greta änderte die Strategie. »Herr Schneider, ich weiß, das ist neu für Sie. Aber wir haben es mit einem Mord zu tun, ich brauche Sie hier. Und sei es nur, um mir die Anrufe zu übersetzen.«
Sie lächelte, um die Scherzhaftigkeit der Bemerkung hervorzuheben, doch ihr Kollege hatte den Humor offensichtlich bereits in den Feierabend geschickt.
»Ich bin Polizist, nicht Übersetzer. Und ich bin auch nicht der, der die gesamte Drecksarbeit macht. Außerdem bin ich dienstlich im Stadion.«
Er schnappte sich seinen Lederblouson vom Garderobenständer, schlüpfte in einer fließenden Bewegung hinein und klopfte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust.
»Das Bild des Toten habe ich natürlich bei mir. Vielleicht kennt einer der rund 5.000 Fans des 1. FC Oberschwaben das Opfer. Ich muss los, damit ich noch alle befragen kann.« Er lächelte schief und verschwand.
Greta starrte dem Kollegen mit offenem Mund hinterher, dann ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken.
»Herzlich willkommen in Biberach«, seufzte sie.
8
Im VIP-Zelt des 1. FC Oberschwaben herrschte dicke Luft. Eine große Videoleinwand zeigte die Zusammenfassung des Spiels gegen den FC Homburg, das vor knapp einer Stunde abgepfiffen worden war.
»Jetzt guck dir den Fliegafänger a«, entrüstete sich ein älterer Herr über die Leistung des Torwarts Thomas Heimerdinger, der soeben an einer Flanke vorbeisegelte, die vom Homburger Mittelstürmer kompromisslos per Kopf zum 1:2 ins Netz befördert wurde.
Schneider schüttelte den Kopf. »Das ist echt nicht zu begreifen. In einem Spiel zeigt dieser Heimerdinger Weltklasseformat, und heute hätte er nicht einmal gegen die Damenmannschaft von Bad Waldsee eine Chance gehabt«, maulte er, was ihm einen Ellbogencheck von seiner Begleitung einbrachte. Christine war selbst Fußballerin und schätzte es gar nicht, wenn sich Männer abfällig über ihre Sportart äußerten.
»Entschuldigung, aber es ist doch wahr. Schau dir das an.«
Schneider wies auf die Leinwand, auf der die Szene lief, in der Heimerdinger einen Homburger Spieler im Strafraum in einer sehr robusten Art zu Fall brachte. Einer seiner Teamkollegen zeigte ihm den Vogel und wurde daraufhin vom Tormann geohrfeigt. Die Rote Karte war die unweigerliche Folge.
»Der isch doch net ganz sauber. Haut der sei’m oigena Mann oine an dr Grend«, wetterte der ältere Herr.
Ein kollektives Empörungsstöhnen füllte das Zelt, als Präsident Siegfried Röder vor die Kamera trat. Buhrufe und Pfiffe ertönten.
»Natürlich hätten wir das Spiel gern gewonnen, aber Thomas hat heute einen rabenschwarzen Tag erwischt. Dennoch bleibt unbestritten, dass er ein Ausnahmetalent ist. Wir wissen, was wir an ihm haben«, kommentierte der große Mann des 1. FC Oberschwaben die Leistung seines Schützlings.
Wie immer sah er aus, als käme er von einer Gala und befände sich nicht im Stadion eines Viertligisten. Seine grauen Haare hatte er sauber in der Mitte gescheitelt, die dunkelblaue Krawatte setzte eine dezente farbliche Nuance zum hellblauen Hemd, das Sakko saß wie angegossen.
Er ließ sich von dem Reporter, der immer wieder die schwankenden Leistungen des Torhüters ins Gespräch brachte, nicht aus der Ruhe bringen. Lediglich bei der Frage, ob die handgreiflichen Entgleisungen Heimerdingers vereinsintern verfolgt würden, geriet der Präsident in Rage. »Natürlich können wir eine solche Tat nicht dulden. Thomas hat sich bereits bei Harry entschuldigt, aber das kann nicht genügen. Wir werden uns überlegen, welche Konsequenzen das haben wird.«
»Isch des älles, was der zum saga hot? 1:5 verlora, auf oigenem Platz. An Skandal isch des!« Der Alte schleuderte seine Faust in Richtung Videoleinwand und verließ heftig fluchend das Zelt.
Schneider wäre ihm am liebsten gefolgt, doch Christine machte keine Anstalten zu gehen. Sie war eine der glühendsten Verehrerinnen des FC und kostete jede Minute aus, die sie im VIP-Zelt verbringen konnte. Schneider hatte sie mit den Karten überrascht, als sie seinem Drängen, sich mit ihm zu treffen, nachgegeben hatte.
Kennengelernt hatte er die junge Frau beim »Weißen Fest« im »Alten Haus«. Alle Gäste dieser Party waren in Weiß gekleidet gewesen.
Christine war ihm sofort aufgefallen. Ihre dunklen Haare schienen durch die fast blendende Umgebung an Schwärze zu gewinnen, der rot geschminkte Mund strahlte wie ein Leuchtturm-Signal und zog ihn magisch an. Und dann dieses umwerfende Lächeln, das