Goettle und der Kaiser von Biberach. Olaf Nägele
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Goettle und der Kaiser von Biberach - Olaf Nägele страница 11
Greta Gerber machte sich erneut eine Kajalnotiz.
»Ich werde es weiterleiten. Aber nochmals zurück zu diesem Kaiser. Meinen Sie, dass er sich durch sein Engagement beim 1. FC Oberschwaben Feinde gemacht hat?«
Goettle rückte ein wenig näher an die Tischplatte heran.
»Net bloß oin. Die Fans und die eingeschworene Mitglieder vom FV und Olympia waret net begeistert, dass es ihre Clubs nemme gibt. Aber durch den Zusammaschluss isch halt ein Verein entstanda, der es vielleicht irgendwann in die Bundesliga schafft. Da gab’s au viele Neider. Aber in letzter Zeit hat des den Kaiser nemme g’juckt«, flüsterte er.
»Wieso denn nicht?«
»Weil er scho seit drei Johr he isch.«
Der Pfarrer machte eine dramatische Pause, die Greta nutzte, um die Lücken zu füllen, die das Oberschwäbisch des Pfarrers hinterlassen hatte.
»He?«
»Tot. Karlheinz Kaiser isch scho seit drei Johr tot. Umkomma bei einem Segelunfall in der Ägäis. Hot’s g’hoißa. Komisch, oder?«
»Sehr komisch«, brummte die Hauptkommissarin. »Ein Toter, der plötzlich wieder auftaucht, um ermordet zu werden. Welchen Sinn ergibt das?«
»I kann den Frieder froga, der war früher Chefredakteur beim ›Schwäbischa Tagblatt‹«, schlug Pfarrer Goettle vor.
Er war aufgestanden, hatte auf dem halben Weg zur Tür noch einmal Halt gemacht und sich umgedreht. »Der Frieder hot sich sehr intensiv mit dem 1. FC Oberschwaben befasst. Da soll net älles mit rechte Dinge zuganga sei. Vielleicht woiß der ebbes, was ons weiterbringt. I meld mi wieder. Ond vergesset Se die Schaukel net. Grüß Gott.«
Goettle schob sich aus der Tür und verschwand. Greta hörte, wie er auf dem Gang sein Vorgehen mit sich selbst besprach. War vielleicht gar nicht schlecht, göttlichen Beistand bei diesem Fall zu haben, dachte sie. Oder besser: den Goettle’schen.
10
»Die hasset mi! Die hasset mi! Die hasset mi!«
Wie ein Unglücksmantra spuckte Thomas Heimerdinger diese drei Worte immer wieder aus. Schemenhafte Bilder wirbelten in seinem Kopf herum. Die scheußlichen Grimassen der Fans nach dem Spiel, die geschwungenen Fäuste. In seinen Ohren dröhnten noch die Verwünschungen der Zuschauer, die Schmährufe, die seinen Ausschluss aus der Mannschaft forderten. Er zog sein Kissen über den Kopf, als könnte er die Schreie und die Bilder dadurch verdrängen. Aber er konnte diese Eindrücke nicht ausblenden, auch nicht die Szenen aus der Umkleidekabine, die Rempeleien der Mannschaftskameraden, die hasserfüllten Blicke, die abweisenden Gesten des Trainers.
»Die hasset mi! Die hasset mi! Die hasset mi!«
Im Rhythmus der Worte schlug Thomas seinen Kopf gegen die Wand. Er spürte den Schmerz und war erleichtert. Erlösende Pein.
Immer heftiger stieß er die Stirn nach vorn, Blut rann ihm aus einer geplatzten Braue über die Wange, tropfte auf das Kissen, färbte das Weiß des Überzugs, breitete sich aus wie Wein aus einem umgestürzten Glas.
Das Pochen nahm zu, löste die Schreckensbilder ab, die sich aufbäumten und dennoch zerfielen. In viele kleine Mosaikstückchen, die so gar nicht zusammenpassen wollten. Thomas lachte. Stieß immer wieder zu und lachte.
Bis eine Hand ihn am Schopf zog und ihn festhielt.
Thomas blickte in die entsetzten Augen seines Großvaters, der ihn kräftig an sich presste. »Ruhig, Bua, ganz ruhig.«
»Die hasset mi, Opa. Älle hasset mi«, keuchte Thomas Heimerdinger.
»Des isch doch gar net wohr«, erwiderte Walter Heimerdinger, wiegte seinen Enkel und summte dabei eine kleine Melodie: Der Mond ist aufgegangen.
Thomas begann zu weinen. Das Lied hatte ihm seine Mutter vorgesungen, als er noch klein war. Als er noch eine Familie gehabt hatte. Als das Unfassbare noch in weiter Ferne lag. In einem Leben ohne den Nebel.
Und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
»Mama«, schluchzte Thomas.
»I woiß, Bua. I woiß. Sie fehlt mir doch au.«
Sein Großvater drückte ihn noch fester an sich. Sein Enkel sollte nicht sehen, dass auch er mit den Tränen kämpfte.
11
»Okay, fassen wir zusammen. Wir haben ein Opfer, das vor drei Jahren für tot erklärt worden ist, offenbar irgendwo unter anderer Identität gelebt hat, nun wieder auftaucht und ermordet wird. Warum war Kaiser hier, warum hat er sein Versteck aufgegeben? Und warum haben sich seine Frau, Freunde oder Bekannte nicht gemeldet? Lesen die alle keine Zeitung, sehen die nicht fern?«
Greta sah in die konzentrierten Gesichter ihrer Kollegen, die sie zur »Soko Kaiser« zusammengetrommelt hatte. Kommissar Denis Schneider pulte mit einem kleinen Holzstäbchen zwischen den Zähnen herum – in der Kantine hatte es Rostbraten gegeben – und starrte vor sich hin. Kommissaranwärterin Laura Behrmann, die Jüngste im Team, machte sich auf einem Blatt Papier Notizen, und Polizeiobermeister Ernst Fritz, von den Kollegen liebevoll mit POM Fritz bespöttelt, zwirbelte die Spitzen seines Schnurrbartes.
»Offenbar hat ihn niemand erkannt«, durchbrach Greta die Mauer aus betretenem Schweigen. »Laut Pfar… laut einem Hinweis aus der Bevölkerung hat sich Kaiser seit seinem Verschwinden vor einigen Jahren sehr verändert. Ist der Obduktionsbericht eigentlich schon da?«
»Noch nicht vollständig. Die Leiche lag wohl drei bis vier Tage im Wasser, deshalb sind viele Spuren verwischt. Aber eines ist sicher: Das Blut, das wir bei dem Einbruch in die Villa Seitz gefunden haben, stammt eindeutig von Kaiser«, erwiderte Laura Behrmann.
»Dann hat er den Einbruch begangen und auch die Waffe mitgehen lassen«, folgerte Greta. »Kaiser hat sich im Hause Seitz offenbar bestens ausgekannt, wusste, wo er die Pistole und die Munition finden konnte. Herr Fritz, könnten Sie sich mit Kurt Seitz in Verbindung setzen, um zu erfahren, ob und woher sich die beiden gekannt haben? Versuchen Sie, ein bisschen mehr über Kaiser herauszubekommen. Laura, Sie ermitteln bitte die Adressen von Freunden und Bekannten und fragen nach, ob sich Kaiser in letzter Zeit mit ihnen in Verbindung gesetzt hat. Und wir zwei« – Greta wandte sich an Schneider – »statten einmal seiner Ehefrau einen Besuch ab. Es ist doch äußerst merkwürdig, dass sie sich noch nicht gemeldet hat.«
Auf dem Weg nach Schemmerhofen sprach Schneider kein Wort. Zumindest nicht mit Greta. Für die anderen Verkehrsteilnehmer hatte er die eine oder andere Schmähung auf Lager. Eine Hand lag permanent in Nähe der Hupe, nur um sie stetig erklingen zu lassen, ob es nun einen Grund gab oder nicht. Kommissar Schneider hielt sich für einen hervorragenden Autofahrer, im Vergleich zu ihm schnitten alle anderen schlecht ab, und er ließ keine Gelegenheit aus, ihnen seine Missachtung entgegenzutröten.
»Wie war es denn beim Fußball gestern Abend?«, fragte Greta, um ihn abzulenken und dadurch eine gemäßigtere Fahrweise zu erreichen. »Verloren. 1:5«, kam es einsilbig zurück.
Hauptkommissarin Gerber sah ein, dass sich dieses Thema wenig eignete, um den Kollegen aufzuheitern oder ein Gespräch