Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa. Joachim Bitterlich

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa - Joachim Bitterlich страница 12

Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa - Joachim Bitterlich

Скачать книгу

vor allem was er in der Sache damit meinte. Nicht nur die Bildersprache bedurfte des Nachdenkens, des Innehaltens, der Interpretation. Dies gilt auch für seine Sprache, oft umständlich, zuweilen schwer verständlich und doch letztlich klar.

      Kohl war selten ein guter Rhetoriker, seine Stärke waren die Debatten und das Erklären von Zusammenhängen und der daraus abzuleitenden Konsequenzen. Selbst für erfahrene Konferenzdolmetscher waren Helmut Kohl und seine Sprache regelmäßig eine Herausforderung – und es gab nur wenige, die dies mit Bravour schafften.

      Helmut Kohl bestand darauf, mit ihm im Gespräch „Klartext“ zu sprechen. Er mochte lange schriftliche Vorlagen nicht, suchte eher das Gespräch. Ich habe damals den Stil der Vorlagen an den Bundeskanzler für Gespräche und wichtige Begegnungen wesentlich verändert. Entsprechend dem, was ich in Paris an der ENA gelernt hatte, habe ich eine Zusammenfassung, eine Übersicht in Stichworten auf einer Seite vorangestellt bzw. einen knappen Gesprächsleitfaden. Und dem folgte dann eine längere Aufzeichnung mit der Erläuterung der Fragen und Problemstellungen im Einzelnen. Manche nennen das heute fortschrittlich neu-deutsch den „one pager“. Nun gut, ein copyright habe ich nie dafür beansprucht, mir ging es um Arbeitserleichterung für einen Mann, der weiß genug um die Ohren hat. Die Vorlagen an Helmut Schmidt, die ich in der Registratur entdeckte, über 20, 30 Seiten und mehr schienen mir für einen Bundeskanzler unzumutbar.

      Helmut Kohl akzeptierte „meine“ Methode rasch, er sagte mir zwar, für Einzelheiten könne ich ja, wenn es sein muss, dann übernehmen, gelesen hatte er aber immer die gesamte Vorlage. Aber er nahm sich auch komplexe Texte, ob in der Europa- oder internationalen Politik, vor, arbeitete sie durch, hakte nach, stellte Nachfragen – und konnte vor allem eines nicht leiden: diplomatisches Gerede um den Kern eines Problems herum!

      Mitunter nannte er mich den „Sklaventreiber“. Ich gab ihm öfters kurze, zuweilen auch handschriftliche Notizen mit Fragen oder Ideen ins Wochenende. Ich brauchte einfach seine Reaktion, um in wichtigen Streitfragen voran zu kommen. Und oft endete dies Montagabend im Gespräch und „brainstorming“....

      Der engere Kreis war für ihn zugleich willkommenes Ventil, oft für einen kurzen Moment oder eine gegebene Situation. Stunden später war der Fehler verziehen, die Attacke vergessen. Gerade in solchen etwas schwierigen Momenten war es oft genug Juliane Weber, die sich zuspitzende Momente abfederte, dem Betroffenen, wenn sie ihn mochte, ausgleichend, helfend zur Seite stand. Sie war nicht nur eine hervorragende Leiterin seines Büros, sondern in gewisser Weise die „Seele“ des Teams um Helmut Kohl.

      Wenn ich zurückdenke, ist der erste Begriff, der mir zur Beschreibung der Persönlichkeit von Helmut Kohl einfällt ist Pater Familias im alten lateinischen Sinne, ein Patriarch. Er behandelte seine engere Mannschaft im Grunde wie eine Familie.

      Man konnte auch mit einem persönlichen Problem zu ihm gehen, ihn um Rat fragen. Er konnte zuhören, man konnte mit ihm im kleinen Kreis offen gemeinsam nachdenken, unter vier Augen konnte man auch die herrschende Meinung attackieren, querdenken war insoweit nicht nur erlaubt, sondern erbeten.

      Zugleich war er der Bundeskanzler, der uneingeschränkte „Patron“ im guten Sinne dieser klassischen – französischen wie deutschen – Definition. Was er nicht duldete, war es, auch nur indirekt, seine Autorität in Anwesenheit von Dritten bzw. in einem etwas erweiterten Kreis in Frage zu stellen. Ich bin zwei, drei Mal in all den Jahren gerade in diese Falle gerauscht. Ich hatte es gewagt, ihm im Beisein des „erweiterten Kreises“ vorsichtig zu widersprechen bzw. ihn auf einen anderen Pfad zu locken, da ich bemerkt hatte, dass er sich einfach geirrt hatte.

      Leider neige ich dann auch dazu, Recht haben zu wollen, anstatt zu schweigen und Diplomat zu sein. Folge waren dann nicht nur einmal schwere Wochen, bis er dann die Entschuldigung akzeptierte – nachtragend war er dann aber auch nicht. Ich hoffe, er sieht es mir nach, wenn ich auch ihn letztlich als einen väterlichen Freund bezeichne.

      Frei nach Max Weber – „Politik als Beruf“ – verfügte Helmut Kohl über die drei entscheidenden Qualitäten des Politikers: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß! Hinzu kam eines: Helmut Kohl hatte längerfristige Zielvorstellungen, eine gewisse Vision – oder besser gesagt einen Kompass für seine politischen Vorstellungen. Dies galt insbesondere auch für die Grundparameter seiner Europa- und Außenpolitik wie für die Stellung Deutschlands in diesem Gefüge.

      Ich möchte versuchen, der Persönlichkeit Helmut Kohls und seinen politischen Überzeugungen, seinem Handeln mit Hilfe einer Reihe von konkreten Beispielen, Erlebnissen näher zu kommen; auf einige wird an anderer Stelle konkret einzugehen sein.

      Helmut Kohl war hochgebildet, im Gegensatz zu dem, was manche Journalisten verbreitet haben. Er versuchte aber zugleich, dies in eine Sprache zu übersetzen, die der Bürger, der Wähler auch verstehen konnte – eine Fähigkeit, die manchen Politikern heute abhandengekommen scheint. Für viele Angehörige der Bonner Szene und des Auswärtigen Amtes blieb er der Mann „aus der Provinz“., für manche Journalisten „Kohl = Birne“.

      Ich kann dazu nur Alice Schwarzer zitieren, die bestimmt nicht als CDU-nah angesehen werden kann: „Billige Komik, ganz übel. Das fand ich schon beim Umgang mit Strauss. Man sollte den politischen Gegner in der Sache kritisieren, aber nicht als Person diffamieren“.

      Dass Helmut Kohl auch und gerade in der Bildungspolitik in seiner Mainzer Zeit beachtliche Reformen angestoßen und langfristige Grundüberzeugungen hatte, wurde in Bonn nicht zur Kenntnis genommen. Dies galt insbesondere für die Vernachlässigung des Schulfaches „Geschichte“, die aus seiner Sicht, als Politiker und Historiker, „zu den schlimmsten bildungspolitischen Fehlern“ gehörte. So bezeichnete Ulrich Schnakenberg 2017 (!) in der FAZ in einer bemerkenswerten Laudatio Helmut Kohls kritische und engagierte Rede vor dem Philologenverband in Bonn vom 1. Juni 1984 als „mehr als ein Dokument der Zeitgeschichte“

      Beispielhaft stehen dafür auch zwei ganz einfache Begebenheiten. Bei einer der Reisen, das war Anfang der 1990er Jahre, kamen wir öfters, typisch der Pfälzer und der Saarländer, auf das Saarland, meine Heimat zu sprechen. Das lief zuweilen etwas lästerhaft ab, weil das Verhältnis der Pfälzer und Saarländer seit der Nazi-Zeit immer gespannt war. Meine letzte Rettung war dann dem Kanzler zu sagen: „Sie wissen ja, bei uns gilt das geflügelte Wort 'Auf die Bäume, die Pfälzer kommen!'“ Er kannte genau den Hintergrund der Entstehungsgeschichte dieses Satzes: Der damalige Nazi-Gauleiter saß in Neustadt an der Weinstraße, er war ab 1935 auch zuständig für das Saargebiet. „Heim ins Reich“ wollten die Saarländer schon, sich von einem Pfälzer regieren zu lassen, ging für sie aber doch zu weit.

      Ich erzählte dem Bundeskanzler, es hätte im Landtag in Saarbrücken ein Kolloquium stattgefunden über die Geschichte des Saarlandes von 1945 bis zur Saar-Abstimmung 1955. Das Buch sei jüngst herausgekommen, es sei irre spannend. Ich hätte viel gelernt. Darauf Helmut Kohl: „Bringen Sie mir bitte das Buch mit, mich interessiert das.“ – „Herr Bundeskanzler, das ist halb französisch, halb deutsch. Das war ein zweisprachiges Kolloquium.“ „Ich lese das gerne!“ Er konnte Französisch lesen.

      Apropos französische Sprache, wir Mitarbeiter waren oft Zuschauer eines kurzen Rundgangs von Präsident Mitterrand und Helmut Kohl durch den Garten des Elysée. Wir mussten feststellen, die beiden sprachen miteinander – was, das haben wir nie herausgefunden. Es konnte nur in französischer Sprache sein, und die beiden verstanden sich! Ich erinnere mich an einige, wenige Male, in denen er in meiner Gegenwart in französischer Sprache antwortete – freilich mir gegenüber mit dem Zusatz, Schweigen Sie darüber; wenn meine Frau oder meine Söhne dies hören, bekomme ich fürchterlichen

Скачать книгу