Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa. Joachim Bitterlich

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Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa - Joachim Bitterlich

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dass sie uns abhörten – und ihnen „Mitarbeiter“ aus der DDR als technische Berater hilfreich zur Seite standen. Zuweilen führte dies auch zu skurrilen Folgen, aber diesmal ging es um ein positives Ereignis für das Ansehen des Landes!

      Meine Frau hatte insofern ein für sie unvergessliches Erlebnis: Sie versuchte nach Deutschland zu telefonieren, was aufgrund der beschränkten Anzahl internationaler Leitungen damals kein leichtes Unterfangen war. Sie wählte immer wieder, kam einfach nicht durch – bis sie auf einmal eine Stimme mit erkennbar sächsischem Unterton hörte: „Warten Sie doch die internationale Tonalität ab“ – das internationale Freizeichen!

      Apropos deutsche Rolle bei der Freilassung der Geiseln, damals ahnten wir nicht die besondere Rolle der deutschen Politik in diesem Zusammenhang, sei es von Hans-Dietrich Genscher selbst oder sei es von Gerhard Ritzel, dem damaligen Botschafter in Teheran, der anders als sein Vorgänger die Zeichen der Zeit früh erkannt und Kontakte zu dem neuen Regime angebahnt hatte.

      Algier war auch der Ort meiner ersten Begegnung mit Hans-Dietrich Genscher. Anlass seines Besuches am 29. Dezember 1978 waren die Trauerfeierlichkeiten für den algerischen Präsidenten, Houari Boumédiène.

      Dem jüngsten der Mannschaft oblagen neben seinen Sachgebieten zwei Bereiche: einerseits Protokoll – und zwar vor allem die Vereinbarung von Gesprächsterminen für den Minister „am Rande der Trauerfeier“ – und andererseits als Leiter des Krisenstabes die Organisation aller Abläufe. Und wie so häufig bei „Großveranstaltungen“ dieser Art lief vieles nicht immer rund. Genscher suchte nicht nur verzweifelt „seinen“ Kranz im Palast des Volkes, sondern als er im Hotel ankam und nach den vereinbarten Gesprächsterminen fragte, war – so die Kollegen – ein mittlerer Zornesausbruch die Folge: Wir hatten Termine vereinbart, die der Minister anscheinend nicht oder nicht mehr wollte. Irgendetwas war wohl in der Bonner Maschinerie schiefgelaufen.

      Und wie mir einer aus der Bonner Delegation später erläuterte, hätten alle, auf die Frage des Ministers, „wer dafür verantwortlich sei“, auf mich verwiesen. Da ich ihm völlig unbekannt war, ordnete er mein sofortiges Erscheinen an. Leichter gesagt als getan in einem von Polizeikontrollen und höchster Nervosität beherrschtem Algier. Hatte sich die Führung doch erst nach langem Hin und Her, anders ausgedrückt: nach drei Monaten Lähmung und Agonie auf einen Nachfolger verständigen können und dann erst den todgeweihten Boumédiène in Frieden sterben lassen! Im Hotel angekommen, traf ich auf eine höchst aufgeregte deutsche Delegation – nur der damalige Sprecher (und spätere Staatssekretär) Genschers, Jürgen Sudhoff, behielt die Ruhe und erklärte mir Hintergrund wie auch die Risiken meines Erscheinens: Ich solle dem Minister ruhig und sachlich meine Weisungslage vortragen.

      Ich stand dann zum ersten Male „meinem“ Minister gegenüber, dem ich – sein Zorn schien sich inzwischen gelegt zu haben – meine Weisungen erläuterte. Seine Reaktion war – im Gegensatz zu meiner Erwartung – sachlich, er erteilte mir mehrere Weisungen zu Gesprächen, die er führen wollte oder aber nicht.

      Er wollte eben mit dem saudischen Amtskollegen sprechen, der nicht auf der uns aus Bonn übermittelten Liste war, nicht aber mit dem libyschen Revolutionsführer Mouammar Kadhafi und auch nicht mit dem gerade frisch ernannten französischen Außenminister Jean François-Poncet – „der (frühere) Botschafter könne warten“! Genscher fand in Paris erst später mit Roland Dumas den politischen Partner, den er sich gewünscht hatte.

      Als die Luftwaffen-Maschine am Abend abhob, waren die letzten Aufregungen des Kurzbesuches – Genscher hatte auf dem chaotischen Wege vom Friedhof zum Flughafen einen Teil seiner Delegation „verloren“ und wollte ohne diese abfliegen – rasch vergessen, wir waren einfach erleichtert! Genscher hatte Delegation und Botschaft während des ganzen Tages unter höchstem Druck „auf Trab“ gehalten, ich versuchte die politische Bedeutung einer solchen Trauerfeier zu verstehen, mich beeindruckte er damals in dieser ersten Begegnung durch seine Professionalität. Ich sollte ihn einige Jahre später in Brüssel, an der Ständigen Vertretung bei den – damals – Europäischen Gemeinschaften wiedertreffen, der nächsten Station meiner Tätigkeit im Auswärtigen Amt.

      Dort landete ich mehr durch den Zufall oder dank der Widrigkeiten der Versetzungspolitik des AA, nachdem im Frühjahr 1981 eine erste Versetzung mit Ziel Madrid aus Zeit- und Verfügbarkeitsgründen gescheitert war. Mein Botschafter in Algier, inzwischen Gerd Berendonck, bis dahin die Nummer 2 an der Botschaft Moskau, bestand gegenüber Bonn darauf, einen Juristen für die komplexe Konsulararbeit in der Mannschaft zu haben. Und wieder sollte sich diese Versetzung als eine Riesenchance erweisen.

      In den kommenden vier Jahren sollte ich mich in alle wesentlichen Materien der europäischen Politik einarbeiten und an wesentlichen Verhandlungen teilnehmen bzw. diese bearbeiten. Dies vor allem dank eines Botschafters – Giesbert Poensgen – und eines Gesandten – Jürgen Trumpf, dem späteren Staatssekretär des AA und dann Generalsekretär des EU-Rates –, die den Neuankömmling nachdrücklich förderten.

      Diese Etappe brachte mich vor allem auch der Politik näher, ohne zu ahnen, dass diese in den nächsten gut 13 Jahren zu meinem Lebensmittelpunkt werden sollte. Die Arbeitsbereiche wechselten und nahmen mit der Zeit spürbar zu – und wieder waren die Themen ewig jung!

      Es fing an mit den Beziehungen zu den damaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts einschließlich der Sowjet-Union – und zwar mit Sanktionen gegen die Sowjet-Union wegen der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 in Polen durch Präsident Wojciech Jaruzelski – er wollte Polen vor einer Tragödie bewahren, d. h. einer befürchteten sowjetischen Intervention zuvorkommen.

      In Brüssel lief ein mehr als kurioses, ja skurriles internes Puzzle-Spiel unter den Mitgliedstaaten ab, die die Vorschläge der Kommission „zerpflückten“, um die für sie wichtigen Produkte aus der Liste von Sanktionen herauszubekommen: was blieb, war eine Liste, die man kaum als eine wirkliche Liste von harten Sanktionen bezeichnen konnte. Das Ost-West-Verhältnis wurde damals letztlich allein von einer Arbeitsgruppe wahrgenommen, die aus Gründen der Vertraulichkeit ohne Dolmetscher – als ob diese insoweit ein Risiko bedeuteten – in französischer Sprache tagte. Mein britischer Counterpart, mit dem ich mich in der Sache gut verstand, fiel in der Gruppe durch seine häufigen Versuche auf, Englisch als zweite Arbeitssprache zu etablieren. Ich meldete mich dann und sprach Deutsch! Nur so war er in der Umsetzung seiner Londoner Weisungen zu stoppen!

      Die Sprachenfrage begann aber schon damals für uns Deutsche zu einem leidvollen Thema zu werden! Und den Kollegen sollte ich Jahre später wieder treffen – es war der spätere Sir Charles Powell; er, einer der besten seines Fachs, wurde über lange Jahre zu dem engsten Berater von Margaret Thatcher in internationalen Fragen.

      Weitere Sanktionsfälle sollten folgen: neben dem Iran ging es um Argentinien wegen des Falkland – Krieges – mit einer meisterhaften Behandlung seitens des italienischen Vorsitzes, Außenminister Giulio Andreotti, der im April 1982 erstmals die Verabschiedung von Sanktionen mit Mehrheit – natürlich fast unbemerkt en passant bei Enthaltung Italiens! – ermöglichen sollte!

      Parallel dazu durfte ich Zeuge einer ersten gelungenen „politischen Erpressung“ in der EG seitens des jüngsten Mitgliedslandes sein. Ich hatte damals auch die Mittelmeerpolitik mitzubetreuen. Andreas Papandreou hat ab 1982 den Rat der EG neun Monate lang blockiert, weil er eine sofortige Hilfe über damals drei Milliarden Rechnungseinheiten, heute Euro beanspruchte.

      Das war nur ein Jahr nach Inkrafttreten des Beitritts, frei nach dem Motto: Ihr habt Griechenland beim Beitritt überfordert, „über den Tisch gezogen“, ihr habt uns Probleme

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