Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa. Joachim Bitterlich

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Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa - Joachim Bitterlich

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die im Schnitt laut Brüsseler Berechnungen jährlich um 3% des griechischen BIP ausmachte, anders ausgedrückt über 100 Mrd. € in gut 30 Jahren! Und es sollte sich zeigen, dass das Mitgliedsland Griechenland für die Partner auch in der Zukunft ein schwieriger Fall bleiben sollte.

      Das sog. „Griechische Memorandum“ wurde 1982 aus „optisch-politischen Gründen“ in die „integrierten Mittelmeer-Programme“, genannt „IMP“, eingekleidet. Das war der zweite Versuch des Aufbaus einer Mittelmeer-Politik nach dem schwachen ersten Anlauf in den 70er Jahren, aber auch 1982/83 gab es geschickte Trittbrettfahrer. Auf der einen Seite waren dies die Italiener, die damals die erste Milliarde für den Süden, den Mezzogiorno, durchsetzten. Was damit konkret geschehen ist, möchte ich auch heute noch gerne wissen. Der andere war Frankreich: „Im Hinblick auf den zu erwartenden Beitritt von Spanien müssen wir etwas für die Region des Languedoc-Roussillon tun.“ Die Franzosen haben 500 Millionen erhalten, damals ebenfalls eine stolze Summe. Ich würde auch insoweit gern sehen, was damit konkret geschehen ist. Haben nicht alle Europäer darauf einen Anspruch? Damals habe ich einiges über Effizienz und Nicht-Effizienz von EG-Geldern gelernt.

      Es kamen bald zwei gewichtige Aufgabenstellungen hinzu, die mich der Politik entscheidend näher bringen sollten: Dies war einerseits die Rolle des sog. Antici, des Koordinators für die Tagungen der Botschafter und der Ministerräte und „Verbindungsmanns“ während der Tagungen des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs, Aufgaben, die ich schrittweise von Jürgen Trumpf übernahm.

      Die „Antici's“, benannt nach ihrem Gründer, einem italienischen Gesandten, tagten ohne Übersetzung nur in französischer Sprache und bereiteten die Tagesordnung der Tagungen der Botschafter, des Ausschusses der Ständigen Vertreter, sowie diejenigen der Ministerräte, vornehmlich des Allgemeinen Rates (auf Ebene der Außenminister), vor. Zugleich sicherten sie während der Tagungen des Europäischen Rates die Verbindung zwischen dem Regierungschef und dem Außenminister im Saal und der sie begleitenden Delegation. Versorgung von Kanzler und Außenminister mit Papieren, Antworten auf Fragen, Stellungnahmen seitens der Delegation. Sie berichteten natürlich dank des laufenden Kontakts zu den anderen Mitgliedern der „Anticis“ auch über Stimmungen, Tendenzen der Beratungen. In doppelter Hinsicht konnte durch diese Aufgabe eine Vertrauensstellung entstehen, zum Regierungschef und Außenminister wie zu den Mitgliedern der Delegation, erfahrungsgemäß aus mehreren Ministerien der Bundesregierung. Ahnen konnte ich nicht, dass ich in den kommenden 15 Jahren – bis 1998 – bei allen Tagungen des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs dabei sein und diese zu einer Art „rotem Faden“ meiner beruflichen Tätigkeit werden sollten.

      Andererseits war dies die Führung der Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal in der gesamten Schlussphase auf Arbeitsebene quer durch alle wesentlichen EU-Sachbereiche.

      Aus der Bearbeitung und Schlussphase der Beitrittsverhandlungen folgten regelmäßige, fast monatliche Begegnungen mit den Spitzen der Bonner Politik, vornehmlich mit dem Außenminister; den ich in der heißen Phase der Verhandlungen auch im „restreint“ der Minister – „Minister plus 1“ begleiten durfte.

      Höhepunkt langer, allzu oft nächtlicher Verhandlungen und Marathons war zum Beispiel in einer Nacht der Hinweis des Ministers, „ich lasse Sie jetzt allein, ich muss mich etwas ausruhen. Wenn Sie ein Problem sehen, bitten Sie Roland Dumas, den Vorsitz darauf aufmerksam zu machen. Ich sage Roland Dumas Bescheid, Sie können ihm vertrauen“.

      Und so geschah es in den zwei Stunden, aufgrund der Bonner „Handlungsanweisungen“ in den „Sprechzetteln“ für den Minister musste ich in einem konkreten Fall Roland Dumas um Hilfe bitten, er führte ohne jedes Zögern mein Petitum beim Vorsitzenden ein und ich durfte es im Einzelnen vortragen. Die Minister entschieden aber während der Abwesenheit von Genscher nicht gegen ihn! Esprit de corps und zugleich Respekt gegenüber dem erfahrensten Außenminister Europas!

      Es folgten aber auch erste flüchtige Begegnungen mit dem Bundeskanzler anlässlich der Tagungen des Europäischen Rats, 1981/82 zunächst mit Helmut Schmidt, dann ab Herbst 1982 mit Helmut Kohl – in der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union der 10, später 12 Mitgliedstaaten waren Regierungschef und Außenminister Mitglieder des Europäischen Rats, heute ist es, nicht zuletzt aufgrund der Größe der EU mit 28 bzw. nach dem „Brexit“ 27 Mitgliedstaaten, nur noch der Bundeskanzler selbst.

      Meine einzige Begegnung mit Helmut Schmidt in der damaligen Zeit prägte für Jahre mein kritisches Bild dieses Bundeskanzlers. Als ich Jahre zuvor erstmals wählen durfte, hatte ich Willy Brandt gewählt und auch beim zweiten Mal „Ja“ zu seinem Nachfolger Helmut Schmidt gesagt.

      Am späten Abend sollte ich ihn in Brüssel zum traditionellen Nachtgespräch des Bundeskanzlers mit den deutschsprachigen Journalisten am Rande einer jeden Tagung des Europäischen Rats abholen. Ich bekam eine, wie mir Kollegen bedeuteten typisch mürrische, ja abschätzige Bemerkung seinerseits, die unterstreichen sollte, er hatte wohl wenig Lust, die gut 100 Brüsseler Korrespondenten noch zu treffen, sie könnten warten.

      Ich habe später viele seiner Bücher und Kommentare in der „ZEIT“ mit großem Interesse verschlungen. Aus meiner ursprünglichen Distanz wurde zunehmend Respekt gegenüber Helmut Schmidt, Verständnis für seinen Lebensweg, Respekt für seine grundsätzliche Einstellung, seine klare Haltung in Sachen Verhältnis zu Frankreich und den USA, zu NATO und zur europäische Integration, Hochachtung für seine Haltung gegenüber dem Terrorismus der RAF. Helmut Schmidt stand loyal zu seiner Partei, auch wenn sie ihm in entscheidenden Fragen wie dem NATO-Doppelbeschluss letztlich die Gefolgschaft verweigert und ihn im Stich gelassen hatte – gerade dieses Scheitern hatte meine Haltung zu Anfang geprägt.

      Der damalige französische Präsident François Mitterrand hatte 1982 seine persönliche Distanz zu dem Giscard-Freund Helmut Schmidt beiseitegelegt und ihm angeboten, vor dem Bundestag zugunsten der Verwirklichung des NATO-Doppelbeschlusses zu sprechen. Er hielt dieses Angebot auch gegenüber Helmut Kohl aufrecht. Seine Rede am 20. Januar 1983, zugleich zum 20. Jahrestag des Elysée-Vertrages, wurde zu einem Markstein bei der Umsetzung des Doppelbeschlusses.

      Bemerkenswert, auch und gerade in der Rückschau, dass Helmut Schmidt sich seine „Sporen“ bei einem Katastrophenfall in seinem Bundesland Hamburg, der großen Sturmflut, verdient hatte – und er danach Verteidigungs- und Finanzminister vor der Übernahme der Kanzlerschaft geworden war. Er betreute zwei große Schlüsselressorts in einer Regierung, deren Bewältigung zugleich dem „großen Befähigungsnachweis“ gleichkamen.

      Begegnungen in jüngerer Zeit haben dazu geführt, mich mehr mit Helmut Schmidt und seiner Persönlichkeit auseinander zu setzen. Bezeichnend hierfür war ein intensives Gespräch mit ihm im Jahre 2014 am späten Abend in der Residenz des deutschen Botschafters bei seinem letzten Besuch in Paris, in erster Linie über aktuelle Fragen der Europapolitik. Er wies dabei meinen Gedanken, angesichts der kritischen Entwicklung in Europa wäre es eine gute Sache, wenn die beiden Alt-Kanzler gemeinsam das Wort ergriffen, nicht zurück.

      Zu meiner Überraschung bekundete er dabei durchaus Respekt vor der politischen Leistung Helmut Kohls und bedeutete mir fast beiläufig, er habe vor einiger Zeit seine Auffassung über den Menschen Helmut Kohl revidieren müssen: Helmut Kohl habe ihm – seiner Erinnerung war es nach dem Tod seiner Frau – in Hamburg überraschend einen sehr menschlichen, einfühlsamen Besuch gemacht. Er habe den Eindruck gehabt, Kohl wollte sein Verhältnis zu ihm bereinigen. An jenem Abend spürte ich erstmals, wie sehr auch jener Mann im kleinen Kreis nicht nur Zustimmung suchte, sondern auch für die Diskussion durchaus offen war. Ich spürte nachdrücklich das, was Michael Stürmer in seinem Nachruf auf Helmut Schmidt „Klugheit durch Erfahrung“ nennen

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