Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa. Joachim Bitterlich

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Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa - Joachim Bitterlich

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aber nahezu beiläufig, Dankbarkeit könne man in der Politik – zumindest in der Regel – nicht erwarten – und dennoch erwartete er Dankbarkeit von Seiten des Bundespräsidenten, dessen Talent er, Kohl, in der Rechtsabteilung eines bekannten Unternehmens in Südwestdeutschland entdeckt und nachdrücklich begleitet und gefördert hatte. Mit von Weizsäckers Nachfolger war es indes etwas anders.

      Jedenfalls hatte die Stunde mit Bundespräsident von Weizsäcker für mich einen Vorteil, das Verhältnis zum Bundespräsidenten war seither entspannt – freundlich!

      Einige Jahre später hat es wohl der Zufall mit sich gebracht, dass ich, ohne mein Dazutun, zu den „Verschwörern“ um die Sondierung und Benennung eines Nachfolgers gehören sollte. Ich war mit dem Bundeskanzler aus anderem Grunde in Deutschland unterwegs. Am frühen Abend meinte er, der Tag werde entgegen der Planung etwas länger dauern, ich solle darüber eisern schweigen. Ich ahnte nicht, um was es ging. Wir waren im Raume Heidelberg – Schwetzingen und auf der Fahrt sagte mir der Bundeskanzler, ich sollte allen Charme aufbieten und mit Frau Herzog auf ihn und ihren Mann warten. Ich begann zu ahnen, Professor Roman Herzog war also der „Plan B“ des Bundeskanzlers, nachdem sich seine erste Idee mit dem Dresdner Theologen Steffen Heitmann als „error of casting“ herausgestellt hatten!

      Kurzum, ich verbrachte mit Frau Herzog einen reizenden frühen Abend, wir diskutierten über vieles, vor allem über Frankreich und das Vereinigte Königreich – bis dann zu vorgerückter Stunde der Bundeskanzler und Professor Herzog hinzukamen.

      Und der offensichtlich designierte Bundespräsident sprach mich ohne Zuwarten, und in unerwarteter Weise an, ich sei doch, soweit er wisse, Jurist und ich verstünde daher besser als der Historiker Helmut Kohl seine innere Zurückhaltung gegenüber dem Amt des Bundespräsidenten. Als Jurist habe er eine gewisse, leider unvermeidliche Tendenz zur Ironie, ja zum Sarkasmus – und dies sei mit dem Amt doch nur schwer vereinbar. Es folgte zum Abendessen eine spannende Diskussion zu viert über das Amt und Amtsverständnis, über Risiken und Grenzen des Bundespräsidenten! Von jenem Abend an bin ich oft mit Professor Roman Herzog zusammengetroffen, auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt. Für mich wurde er zu „meinem“ Bundespräsidenten!

      Die Diskussion, ja der juristisch-politische Disput, immer mit einem gewissen Augenzwinkern, war immer eine Freude! Er brauchte nicht jene berühmte „Ruck-Rede“ am 26. April 1997 um Zeichen zu setzen – er war ein unbequemer Mahner, ein Querdenker, ein politischer Florettfechter, der sich aber zugleich immer wieder fragte, wie weit er tatsächlich nach außen „von Amts wegen“ gehen sollte. Und Helmut Kohl nahm ihn nahezu „mit Samthandschuhen“!

      Schade, dass ihn Politik und Medien nach seinem Tode in erster Linie allein an seiner Initiative gegenüber Polen – erster Besuch mit der Bitte um Vergebung anlässlich des 50. Jahrestages des Warschauer Aufstandes und dem Schweigen in Auschwitz – und eben seiner „Ruck-Rede“ gemessen haben. Seine berühmt-berüchtigte „Ruck-Rede“ richtete sich eben in Wahrheit nicht nur an die Regierungskoalition, sondern vornehmlich auch an die Opposition um Oskar Lafontaine, die damals den Bundesrat zu einer systematischen Opposition und Blockade nutzte – und sie hatte bei dieser Rede und vorangegangenen „ermahnenden“ Gesprächen mit dem Bundespräsidenten die „Ohren auf Durchzug“ gestellt!

      In all den Jahren ist Helmut Kohl immer wieder unterstellt worden, sein Verhältnis zur Wirtschaft sei ein „Nicht-Verhältnis“ gewesen. Auf wirtschaftliche Themen war er vor allem durch die Kollegen um Johannes Ludewig und später Sighart Nehring bestens präpariert, auf den Auslandsreisen hatten die Gäste aus der Wirtschaft genug Gelegenheit, ihre Sorgen vor ihm abzuladen – und doch blieb das persönliche Verhältnis zu vielen im Grunde distanziert, zu weilen schienen Helmut Kohl deren „Klein-Klein“ und die Eitelkeiten mancher „auf den Wecker“ zu gehen.

      Auf der anderen Seite genoss der Kanzler die persönlichen Gespräche mit Alfred Herrhausen, dem von der RAF ermordeten Chef der Deutschen Bank, wie auch mit Helmut Maucher, dem langjährigen Nestlé-Chef – oder auch mit dem „ERT – European Round Table“, einer lockeren Vereinigung führender europäischer Vertreter der Wirtschaft; die Diskussion mit diesem Kreis war ihm lieber als die Gespräche mit den deutschen Wirtschaftsverbänden.

      Ich konnte am Anfang nicht ahnen, inwieweit ich zunehmend auch in die Medienarbeit des Bundeskanzlers und der Bundesregierung einbezogen werden sollte.

      Permanenter Kontakt und Abstimmung mit dem langjährigen Vertrauten Eduard Ackermann und später mit Andreas Fritzenkötter wie mit dem Bundespresseamt und dem Regierungssprecher gehörten zum täglichen Brot, zuweilen mühsam, zuweilen belastend, öfters hoch spannend, unter hohem zeitlichen Druck Sprachregelungen oder einfach gesagt „Sprache“ für den Regierungssprecher zu erarbeiten!

      Mit zunehmender Zeit entsandte mich der Bundeskanzler von sich aus zum Briefing der Presse oder nahm mich auf das Podium seiner Treffen mit der Presse mit – unbequeme Fragen konnte es für mich nicht geben, er erwartete einfach, ich werde mir schon zu helfen wissen – im Notfall gebe es noch ihn selbst!

      Schon recht früh hatte ich es in Absprache mit Eduard Ackermann und mit seiner Zustimmung übernommen, in informeller Weise eine Gruppe bekannter „Bonner“-Journalisten über wesentliche Themen, Perspektiven der europäischen und internationalen Politik zu unterrichten. Einige dieser Kontakte sind bis heute erhalten, es gab in all den Jahren ein einziges „leak“. Ich habe mit dem betreffenden Journalisten „Klartext“ geredet, ihn daraufhin nicht mehr eingeladen – er blieb über Jahre nachtragend!

      Ein besonderer Fall waren Kontakte zum „Spiegel“. Helmut Kohl und Eduard Ackermann schienen zu wissen, dass ich solche Kontakte aus dem Ministerbüro des Auswärtigen Amtes „mitgebracht“ hatte – es war ein lockerer Kontakt zu den beiden leitenden Redakteuren im Bonner Geschäft, den Herren Wirtgen und Koch.

      Helmut Kohls Haltung zum „Spiegel“ wurde mir sehr schnell klar, es war ein politisches Feindbild! Wie Andreas Fritzenkötter vor einiger Zeit im „Spiegel“ unmissverständlich und zu Recht erläutert hat „hat er sich von der Redaktion verfolgt gefühlt, und den Eindruck, der Spiegel wolle ihn wegschreiben“. Nach einer ersten Phase habe ich ihn darauf angesprochen und ihn offen gefragt, ob er etwas dagegen habe, wenn ich diesen Kontakt auch künftig – mit aller Vorsicht – nützen würde. Daraus wurde ein gewisser Disput über Nutzen und Schaden, er verbot mir den Kontakt aber auch nicht – und ich unterrichtete ihn über sensible Fragen, die die beiden Spiegelianer aufgebracht hatten. Beide hatten über die Jahre die vereinbarte Vertraulichkeit gewahrt und gehörten letztlich zu den positiven „Spiegel“-Erlebnissen meinerseits, kritische gab es in den Jahren allerdings auch! Dazu an anderer Stelle mehr!

      Einen ganz anderen Helmut Kohl konnten zum Beispiel französische Journalisten erleben. Freundlich, sensibel, entgegenkommend, klar – ich erinnere mich lebhaft an mein erstes Erlebnis. Über den Elysée war bei mir die Anfrage einer der bekannten Interview-Sendung „Heure de Vérité“ – Stunde der Wahrheit gelandet – eine Sendung geschaffen und moderiert von François-Henri de Virieu unter Teilnahme von drei bekannten Journalisten, Alain Duhamel, Albert du Roy und Jean-Marie Colombani. In der Vorbereitung hatte ich mir mehrere Sendungen angeschaut und eingehend den Stil der Sendung mit den Machern besprochen. Ich trug dem Bundeskanzler daraufhin vor, er möge kurze Antworten geben, nicht länger als 2 – 3 Minuten. Daraufhin lachte der Bundeskanzler los, ich müsse doch langsam die großen Stars kennen, sie würden eine Frage in einem 10-Minuten Statement verstecken und ihn dann bitten, sich kurz zu fassen. In der Sendung, die Anfang April 1990 im alten Palais Schaumburg aufgezeichnet wurde, habe ich einen extrem disziplinierten Bundeskanzler erlebt, der auf die ganz knappen, kurzen Fragen kurz antwortete und sich an sein Limit hielt. Dazu wollte er die Kamera-Mannschaft am liebsten

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