Ein verborgenes Leben (Steidl Pocket). Sebastian Barry
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein verborgenes Leben (Steidl Pocket) - Sebastian Barry страница 16
Als ich wieder ins Wohnzimmer hinunterkam, stand mein Vater in der Mitte des Raumes und blickte um sich wie ein scheuendes Pony, die Augen zuerst auf das Motorrad gerichtet, danach auf das Klavier, schließlich auf den Abstand dazwischen. Dann zuckten seine Hände zu einem Kissen auf dem »besten« Sessel. Als ich in die winzige Diele hinauslugte, stand meine Mutter einfach dort, sie war stecken geblieben, ohne einen Muskel bewegen zu können. Dann nahm sie wie eine Schauspielerin, die darauf wartet, die Bühne zu betreten, all ihren Mut zusammen und hob den Riegel an.
Das Erste, was mir auffiel, als Father Gaunt sich in den Raum schob, war, wie sehr er zu glänzen schien, sein Gesicht war so glatt rasiert, dass man mit einem Füllfederhalter hätte darauf schreiben können. Er wirkte so sicher, die sicherste Sache in Irland in einer unsicheren Zeit. Jeder Monat jenes Jahres sei der schlimmste Monat, hatte mein Vater gesagt, da jeder Getötete in ihm widerhalle. Der Priester dagegen sah unantastbar aus, makellos, abgetrennt, als hätte er mit der Geschichte Irlands nichts zu schaffen. Nicht, dass ich das damals dachte, weiß Gott, was ich dachte, ich weiß es nicht, nur, dass diese Reinlichkeit mir Furcht einflößte.
Ich hatte meinen Vater noch nie so aufgeregt erlebt. Er konnte nur stoßweise und lückenhaft sprechen.
»Ah, aber ja, setzen Sie sich dorthin, Hochwürden, ich bitte darum«, sagte er und näherte sich dem ernst dreinblickenden Priester so ungestüm, als wolle er ihn in den Sessel schubsen. Doch Father Gaunt ließ sich mit der Beherrschtheit eines Tänzers nieder.
Ich wusste, meine Mutter war in der Diele, in jenem kleinen Spalt von Privatsphäre und Stille. Ich stand zur Rechten meines Vaters wie ein Türhüter, wie ein Wachtposten gegen den Sturm eines Angriffs. Mein Kopf war angefüllt mit einem unbekannten Dunkel, ich konnte nicht denken, ich konnte das lange Gespräch, das wir in unseren Köpfen führen, als würde ohne unser Wissen ein Engel dort schreiben, nicht fortsetzen.
»Hmm«, sagte mein Vater. »Wir machen einen Tee, wie wäre das?«, sagte er. »Ja, das machen wir. Cissy, Cissy, würdest du bitte Wasser aufsetzen, Liebes?«
»Ich trinke so viel Tee«, sagte der Priester, »es ist ein Wunder, dass meine Haut sich nicht braun färbt.«
Mein Vater lachte.
»Das glaub ich gern, aus Pflichtgefühl, nicht wahr? Aber in meinem Haus ist das nicht nötig. Überhaupt nicht nötig. Ich, der ich Ihnen alles in der Welt verdanke, alles in der Welt. Nicht dass, nicht dass –«
Und hier verhaspelte sich mein Vater und errötete, und ich muss sagen, auch ich errötete, aus Gründen, die ich nicht verstand.
Der Priester räusperte sich und lächelte.
»Ich nehme eine Tasse Tee, aber natürlich.«
»Ah, das ist gut, das ist sehr gut«, und schon konnten wir meine Mutter in der Spülküche am Ende des Flurs hantieren hören.
»Es ist so kalt heute«, sagte der Priester und rieb sich plötzlich die Hände, »dass ich sehr erleichtert bin, vor einem Kamin zu sitzen, wirklich. Am Fluss ist es eisig. Glauben Sie«, sagte er und zog ein silbernes Etui heraus, »ich könnte eine rauchen?«
»Nur zu«, sagte mein Vater.
Der Priester entnahm seiner Soutane jetzt eine Schachtel Streichhölzer und seinem Etui eine merkwürdig längliche Zigarette, riss mit wunderbarer Präzision und Gewandtheit das Streichholz an und sog zusammen mit der Luft die Flamme durch das glatte Röhrchen. Dann atmete er aus und hüstelte leicht.
»Die … die«, sagte der Priester, »die Stellung auf dem Friedhof ist, wie Sie sich wohl denken können, nicht … haltbar. Ähem?«
Er tat einen weiteren eleganten Zug an seiner Zigarette und fügte hinzu: »Ich fürchte wirklich, Joe. Mir ist die Tatsache ebenso unangenehm, wie sie Ihnen unangenehm sein dürfte. Aber Sie werden gewiss einsehen, was für eine … was für eine große Staubwolke auf meinem Kopf niedergegangen ist – angefangen vom Bischof, der der Meinung ist, alle Renegaten müssten, wie auf der letzten Synode beschlossen, exkommuniziert werden, bis hin zum Bürgermeister, der, wie Sie vielleicht wissen, sehr gegen den jetzigen Vertrag eingestellt ist und der, als einflussreichster Mann in Sligo, großen … großen Einfluss besitzt. Wie Sie sich vorstellen können, Joe.«
»Oh«, machte mein Vater.
»Ja.«
Nun zog der Priester zum dritten Mal an seiner Zigarette und stellte fest, dass er es bereits mit einer beträchtlichen Menge Asche zu tun hatte. Mit jener Pantomimik, die Raucher so an sich haben, sah er sich nach einem Aschenbecher um, einem Gegenstand, den es in unserem Haus nicht gab, nicht einmal für Gäste. Mein Vater verblüffte mich damit, dass er dem Priester seine Hand hinhielt, zugegebenermaßen eine schwielige, vom Graben gehärtete Hand, und Father Gaunt verblüffte mich damit, dass er die Asche unverzüglich in die dargebotene Hand schnippte, die, als die Hitze sie traf, vielleicht ein klein wenig zurückzuckte. Mein Vater, die Asche in der Hand, blickte beinahe dümmlich um sich, als wäre vielleicht doch irgendwo im Zimmer ohne sein Wissen ein Aschenbecher deponiert worden, und steckte sie dann mit fürchterlichem Ernst in die Hosentasche.
»Hmm«, sagte mein Vater. »Ja, ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, diese beiden Pole miteinander zu versöhnen.«
Er sprach die Worte so bedächtig.
»Natürlich habe ich mich, besonders im Rathaus, nach einer alternativen Beschäftigung umgeschaut, und nachdem diese Möglichkeit zunächst … ähem … nicht möglich schien und ich drauf und dran war aufzugeben, teilte mir Mr Dolan, der Sekretär des Bürgermeisters, mit, es gebe da einen Posten, den man bereits seit Längerem zu besetzen versucht habe – angesichts der wahren Rattenplage, von der die Lagerhäuser am Flussufer heimgesucht werden, mit einiger Dringlichkeit. Finisglen ist, wie Sie wissen, ein durch und durch gesunder Bezirk, der Doktor selbst wohnt dort, bedauerlicherweise grenzen die Hafenanlagen gleich daran, wie Sie natürlich wissen, wie jedermann weiß.«
Nun, ich könnte ein kleines Buch über die Beschaffenheit menschlichen Schweigens schreiben, über Zweck und Anlass, doch das Schweigen, das mein Vater dieser Ansprache entgegenbrachte, war überaus bestürzend. Es war ein Schweigen wie ein Loch mit einem Sog darin. Er errötete noch tiefer, bis sich sein Gesicht purpurrot verfärbt hatte, als sei er das Opfer eines Überfalls.
In diesem Moment trat meine Mutter mit dem Tee herein. Sie sah aus wie eine, die Könige bedient. Vielleicht hatte sie Angst, meinen Vater anzublicken, und hielt die Augen deswegen auf das kleine Tablett mit der gemalten französischen Mohnwiese gerichtet. Ich hatte dieses Tablett schon oft an seinem Stammplatz auf der Anrichte in der Spülküche betrachtet, mir dabei vorgestellt, einen Wind über die Blumen streichen zu sehen, und mich gefragt, wie es wohl sei in jener von Hitze und einer unverständlichen Sprache erfüllten Welt.
»Also«, sagte der Priester, »ich freue mich, Ihnen im Namen des Bürgermeisters Mr Salmon den … ähem … Posten, die … ähem … Stelle anbieten zu können.«
»Die Stelle eines –?«, fragte mein Vater.
»Die Stelle eines –«, sagte der Priester.
»Eines was?«, fragte meine Mutter vermutlich gegen ihren Willen, das Wort sprang einfach in den Raum hinein.
»Eines